23. Kapitel | Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Gedanken habe (Archie)

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»Was tippst du da eigentlich schon wieder auf deinem Handy, amigo?« Hugo stößt mir unsanft seinen Ellbogen in die Seite, sodass mir mein Telefon beinahe aus den Händen fällt. »Schreibst du mit deiner kleinen Freundin? Ich wusste gar nicht, dass sie schreiben kann.«

Wütend blicke ich zu ihm herüber. Ich schätze, er meint Hailey und obwohl sie nicht meine Freundin ist, glaube ich auch nicht, dass sie nicht schreiben kann. Hugo ist einfach nur ein Arschloch.

Flürrrrrrrrrp!

Laut schlürft er an seinem Bubble Tea und ich rolle mit den Augen. »Gino hat mir erzählt, dass du am Freitag endlich mit Hailey abgezogen bist«, labert er weiter.

Wir sitzen im Auto und warten auf Gino, der neuen Stoff zum Verkaufen besorgt. Hoffentlich fahren wir hinterher nicht wieder zu dieser Schule, wo Matteo uns beim letzten Mal gesehen hat.

»Wurde aber auch Zeit, die hast du echt verdammt lange hingehalten. Wir haben uns schon gefragt, ob du irgendeine andere Tussi am Start hast, die du uns nicht zeigen willst, weil du ab und zu einfach abgetaucht bist.«

Wahrscheinlich spielt Hugo auf die Sonntage an, an denen ich in der Kirche bei Matteo war. Und damit genau das nicht auffällt, bin ich auch extra letzte Woche nicht ein einziges Mal zur Kirche gegangen, obwohl ich unentwegt an Matteo denken muss.

Leider weiß ich nicht mal, ob er ein Handy hat; ich hab vergessen, ihn nach seiner Nummer zu fragen. Er hatte ja gesagt, dass er seine Gedanken einfach aufschreibt, also bin ich vorgestern oder so dazu übergegangen, mir die ganzen Fragen und Überlegungen, die mir in den Kopf kommen, in der Notizapp auf meinem Handy zu notieren.

Und krass, ich hab echt viele Gedanken!

Die meisten sind Fragen an oder über Matteo und ich kann es kaum erwarten, sie ihm zu stellen. Weil ich Hugo und Gino, diesen beiden Pennern, nicht traue, habe ich die Gedanken aber so formuliert, dass sie Matteo direkt ansprechen. Am Ende stelle ich die Fragen ja auch so.

Da stehen also so Sachen in meinem Handy wie

Was isst du normalerweise zum Frühstück? Die Frage fiel mir ein, als ich selbst ein paar Frootloops mit Orangensaft gegessen habe.

Hugo und Gino sagen immer, ich bin voll komisch, weil ich meine Frühstücksflocken mit Orangensaft esse, aber die haben das auch einfach noch nie probiert!

Ich selbst musste das auch erst lernen, als einer von den beiden mal wieder die Milch leer gemacht und keine Neue gekauft hatte. Und ich muss morgens nun mal meine Frühstücksflocken essen, sonst hab ich schlechte Laune.

Wieso hast du das Grübchen nur auf der einen Seite? Eigentlich ist das eine blöde Frage, weil Matteo mir die kaum beantworten können wird. Aber ich finde das Grübchen schön. Vielleicht ändere ich das einfach.

Trägst du Boxershorts oder Slips? Diese Frage kam mir offenbar unter der Dusche oder beim Umziehen in den Sinn. Gino trägt diese superengen Slips, die aussehen wie Badehosen von alten Männern. Hugo hat immer solche wabbeligen Boxershorts, die auch als kurze Hose durchgehen könnten; besonders die Karierten. Ich mag lieber Boxershorts, aber die Engen, die rutschen mir nicht so in die Arschritze.

Was für Sushi bestellst du? Offensichtlich hab ich beim Sushi-Essen darüber nachgedacht.

Kannst du Auto fahren? Das habe ich zuletzt getippt, denn ich sitze ja gerade in einem Auto und meistens fahre ich. Gino hat auch einen Führerschein und bei Hugo weiß ich es gar nicht so genau. Meistens will er eh was essen und ich fahre gerne, also bin ich einfach immer der Fahrer.

»Was ist los mit dir, amigo?« Hugos dicke Finger reiben fest auf meinen kurzen Haaren. »Hast du deine Zunge in ihrer Pussy verloren? Wieso sagst du denn nichts?«

Augenrollend stoße ich seinen Arm weg. »Hör doch mal auf damit, Hugo.«

»Ohhhh!« Er bricht in schallendes Gelächter aus und klatscht in die Hände. »Ist unser Archie etwa verknallt? Ohne Scheiß, amigo. Die ist zwar süß, aber lass dir sagen: Nimm nicht gleich die Erstbeste, sonst entgeht dir was. Mach's lieber wie ich und halt dir alle Möglichkeiten offen.«

Ich schnaube abfällig, schiebe das Handy in meine Hosentasche zurück und schaue nach draußen zur Straße.

Wo bleibt Gino denn?

Eins dieser kleinen Putzautos fährt langsam an der anderen Straßenseite entlang und ich beobachte gebannt, wie diese rotierenden Besen alles zu sich heranbürsten, was vor ihnen auf der Fahrbahn liegt. Staub, Blätter, Müllfetzen.

Der Fahrer scheint genau zu wissen, mit welchem Abstand zur Bordsteinkante er fahren muss und ich frage mich, ob er anfangs wohl öfter dagegen gefahren ist. Und was passiert, wenn da was Größeres liegt? Eine Dose oder sowas.

Was für ein Beruf ist das wohl? Putzautofahrer? Klingt irgendwie merkwürdig.

»Hast du schon mal überlegt, was anderes zu machen, Hugo?«, frage ich meinen langjährigen Mitbewohner.

»Eh?« Er nimmt den Strohhalm seines Bubble Teas aus dem Mund und rülpst einmal laut. »Was anderes?«

Ich nicke und lasse das Reinigungsfahrzeug nicht aus den Augen. »Ja. Einen normalen Beruf, weißt du?«

Der dicke Latino kichert ungläubig. »Normale Arbeit ist was für Idioten, güey (*Alter). Jeden Tag früh aufstehen und schuften für wenig Geld, das einem irgendwer wegnehmen will. Pfffft! Dann nehme ich lieber weg. Die sind Fische, wir sind Haie, amigo.« Er schlägt einmal mit der flachen Hand gegen meinen Hinterkopf. »Die Kleine muss dir wohl deinen Verstand durch deinen Schwanz gesaugt haben, dass du über sowas nachdenkst.«

Die hintere Tür wird geöffnet und Gino rutscht auf die Rückbank. »Alles klar, kann losgehen.«

»Wohin denn?«, frage ich und starte den Motor.

»Zum Friedhof, da wartet unser Kontaktmann«, antwortet Gino von hinten und ich trete aufs Gas.

Holy Shit | ✓Where stories live. Discover now