27. Kapitel | So viel hab ich noch nie geredet (Archie)

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Ich glaube, so einen schönen Tag hatte ich noch nie.

Matteo und ich haben den ganzen Nachmittag und Abend zusammen verbracht. Wir haben gemeinsam Pizza gegessen, wir haben gelacht, viel geredet und uns noch mehr geküsst.

Oh Mann, haben wir uns viel geküsst. Mein Bauch hat so sehr gekribbelt, dass ich zwischendurch dachte, ich hätte die Pizza nicht vertragen, dabei bin ich wohl einfach nur richtig verliebt in ihn.

Jetzt bin ich auf dem Weg zurück zu Hugo und Gino und meine Beine fühlen sich richtig schwer an. Dort, wo ich wohne, ist nicht mein Zuhause. Das wusste ich auch vorher schon. Aber jetzt ist es mir richtig klar. Ich will, dass mein Zuhause bei Matteo ist.

Matteo hat mir erzählt, dass er nächste Woche seine Prüfung für das Vikar-Dings hat und er dann ein richtiger Pastor ist. Ich hab's nicht laut gesagt, aber ich habe mir überlegt, ob wir dann nicht einfach irgendwo hingehen können, wo er Pastor sein kann. Irgendwo weit weg, wo es keinen Hugo, keinen Gino, keinen Boss gibt.

Ich hätte mir ein Taxi oder den Bus nehmen können. Wahrscheinlich hätte Gino mich sogar mit dem Auto abgeholt, wenn er nicht gerade irgendwo irgendwelche Mädels klarmacht, aber ich möchte lieber zu Fuß gehen. Nachdenken.

Ich konnte tatsächlich meine gesamte Liste mit Matteo besprechen und wow, sind mir noch viele Fragen währenddessen eingefallen, über die wir auch reden konnten. Inzwischen glaube ich, dass er mehr über mich weiß als alle anderen.

Sogar von meiner Kindheit habe ich ihm erzählt und das weiß wirklich niemand! Aber mit Matteo fühlt es sich irgendwie ... richtig an.
Sein Kopf lag auf meiner Brust, seine Finger waren mit meinen verschränkt und ich habe einfach nur geredet. Und es tat richtig gut.

Hugo und Gino reden nicht über Sachen von früher. Gino ist irgendwie mit dem Boss verwandt und in Italien, oder wo die eben alle zusammen mit ihren Cousins und Cousinen waren, aufgewachsen. Ich glaube, Hugo ist in einem Kinderheim aufgewachsen und geht schon immer davon aus, dass es bei mir genauso war.

Dabei sind meine Eltern nicht tot. Sie leben beide, sind noch verheiratet – da bin ich mir zumindest sicher, und wohnen immer noch in unserem Haus in Oklahoma.
Sie sind beide Lehrer, meine Mutter an der Grundschule, mein Vater an der Highschool der Kleinstadt, in der sie wohnen. Und sehr, sehr wahrscheinlich sind sie noch genauso streng wie früher. Wenn nicht noch strenger.

Ich habe keine Geschwister und ich durfte auch nie einen Hund oder andere Haustiere haben. Die machen nämlich zu viel Dreck.
Am Kühlschrank in der Küche hingen immer Pläne. Sonntagabends saß meine Mutter am Küchentisch und hat die Pläne vorbereitet.
Einen für die Mahlzeiten, die wir in der kommenden Woche essen werden.
Einen für die Dinge, die in der kommenden Woche geputzt werden.
Und einen für mich. Mit Aufgaben und Terminen.

Da standen dann Sachen drauf wie 30 Minuten Frühsport, Flötenunterricht, Violinenunterricht, Schachclub, Klavierunterricht und Nachhilfe.
Das Wort Nachhilfe stand für jeden Nachmittag da und immer in rot. Sogar am Wochenende.

Ich hasste diese Pläne. Nie stand da was von Freizeitpark, Kinoabend oder einfach mal nichts.

Mit der Nachhilfe wechselten meine Eltern sich ab. Und ich kann nicht mal sagen, wer schlimmer war. Meine Mutter mit ihrer monotonen Stimme, die die Dinge einfach endlos wiederholte, ohne dass ich sie verstehen würde. Oder mein Vater, der mit jeder Rückfrage von mir wütender wurde und oft mit hochrotem Kopf und geballten Fäusten den Raum verließ.

Es war vollkommen egal, wie oft sie mir Sachen erklärten, nichts wollte in meinem Kopf bleiben. Es war, als würde alles, was sie sagten, einfach wie bei einem Sieb hindurchfallen.

Holy Shit | ✓Where stories live. Discover now