22. Kapitel | Psalm 19:15 (Matteo)

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Lass dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor dir, HERR, mein Fels und mein Erlöser.

»Okay, hast du schon mal was geklaut?« Archie sitzt neben mir auf dem Boden des Raumes, von dem aus man in den Garten gelangt, sein Rücken an die Kirchenwand gelehnt und grinst breit.

Nachdenklich lege ich mir die Hand ans Kinn. »Ja, habe ich leider.«

Überrascht reißt er die Augen auf und lacht. »Echt? Was denn?«

Schmunzelnd schüttle ich den Kopf. »Nein, nein. Das ist eine weitere Frage. Ich bin wieder dran.«

Schmollend schiebt er die Unterlippe nach vorn und lehnt sich zu mir herüber. »Aber erst die Abwechslung«, murmelt er und dann sind seine Lippen wieder auf meinen.

Das Küssen fällt mir inzwischen fast ein wenig schwer, weil mein Mund unentwegt lächeln will, so glücklich bin ich. Aber eben nur fast. Ich genieße jeden Moment, in dem Archie mir so nah ist. Seine leicht rauen Lippen, das Prickeln seiner Barthaare an meinem Kinn, seine warme Zunge an meiner.

Seit Archie unerwartet an der Kirchentür aufgetaucht ist und mich noch viel unerwarteter geküsst hat, sind bestimmt schon zwei Stunden vergangen.

Überraschenderweise er ist noch hier, obwohl ich ihm bei manchen meiner Fragen ansehen konnte, dass er am liebsten weggelaufen wäre. Stattdessen habe ich ›die Abwechslung‹ in Form von Küssen angeboten und diese wurde dankbar von ihm angenommen.

Auf diese Weise konnten Archie und ich uns dank dieser ungewöhnlichen Methode viel besser kennenlernen. Und dabei feststellen, dass wir mehr Gemeinsamkeiten haben, als es zunächst den Eindruck machte.

Wir beide haben vorher noch nie einen Mann geküsst. Ich selbst habe vor Archie noch niemanden geküsst, Archie musste in der Schule ein paar Male bei Spielen Mädchen küssen, der letzte Versuch war eine Hailey, die ihn zu mögen scheint, allerdings direkt mehr als Küsse von ihm wollte.

Bis wir uns begegneten, waren wir beide anscheinend der Meinung, dass wir niemand anderen brauchen, um zufrieden zu sein.

Der Kuss nach diesen Fragen war besonders lang und intensiv.

Außerdem hat keiner von uns beiden noch Kontakt zu seinen Eltern. Das Thema ist ganz offensichtlich für uns beide heikel, weshalb wir es nicht weiter vertieft haben.

Aber es gibt auch Unterschiede zwischen uns, manche offensichtlicher als andere.

Ich wohne allein in einem kleinen Ein-Zimmer-Appartment, Archie lebt in einer Art Wohngemeinschaft mit Hugo und Gino. Für wen sie arbeiten, hat er nicht erwähnt und ich habe nicht weiter nachgefragt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich es besser nicht wissen sollte.

Während ich noch zur Schule gehe und in wenigen Wochen mein Vikariat beenden werde, hat Archie die Schule nach der achten Klasse abgebrochen.

Lernen wäre nie sein Ding gewesen, sagte er.

Dabei finde ich ihn alles andere als dumm. Er macht sich erstaunlich viele Gedanken über so ziemlich alles und ich schätze, er lässt sich einfach sehr schnell von diesen Gedanken oder auch anderen Dingen ablenken.

Mehr als einmal hat er in unserer Unterhaltung einfach das Thema gewechselt und eine vollkommen irrelevante Frage gestellt. So wollte er zum Beispiel aus dem Nichts wissen, ob ich auch schon mal einen Bart hatte oder wann ich zum letzten Mal einen Hund gestreichelt habe.

»Ich bin dran mit einer Frage«, wispere ich, als wir uns wieder voneinander lösen. Langsam lasse ich meine Finger über seine tätowierten Unterarme fahren.

Holy Shit | ✓Where stories live. Discover now