Kapitel 8

83 13 2
                                    

Giulia

Es ist jetzt fast eine ganze Woche vergangen, seit Chris mich geküsst hat.

Genau so lange ist es auch her, seit ich ihn wirklich gesehen habe. Seine Anwesenheit in der Firma blieb begrenzt, und wenn er dann doch da war, war er viel zu gestresst, um überhaupt mal still zu stehen.

In einer Gruppen E-Mail hat er uns alle darüber informiert, dass er noch ein paar Dinge zu klären hat und wir uns nur bei ihm melden sollen, wenn es wirklich wichtig ist und nicht umgangen werden kann.

Nach dem Kuss hat er sich ungefähr fünf mal bei mir entschuldigt, den Aufzug wieder in Bewegung gesetzt und ist fast schon rausgerannt, als die Türen aufgegangen sind. Den Rest des Abends hat er sich von mir ferngehalten. Als Theodore ihn kurz vor dem Ende zu einer Rede gezwungen hat, hat er seinen Blick auf den Boden gerichtet, als hätte er Angst davor gehabt, mich aus Versehen anzusehen.

Ich frage mich, ob meine unaussprechliche Wut wichtig genug wäre, um mich bei ihm zu melden, denn ich kann sie nicht umgehen.

Ich erwarte nichts von ihm, aber er soll wenigstens zu dem stehen, was er getan hat.
Er verhält sich so, als wäre es meine Schuld, dass alles so komisch geworden ist.

Zugegeben, ich hatte nichts gegen den Kuss. Und ja, hätte ich mehr Zeit gehabt, dann hätte ich ihn auch erwidert. Und vielleicht kann ich auch nicht aufhören daran zu denken. Es besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass ich letzte Nacht von Chris geträumt habe.

Der Kuss hat mich verwirrt, aber nicht abgestoßen. Keine Ahnung, ob es das ist, was Chris denkt, doch so fühle ich nicht. Hätte er sich wenigstens zwei Minuten für ein Gespräch genommen, dann hätte er es herausfinden können.

"Der Boss kommt, Leute. Schnell so tun, als würdet ihr arbeiten", stürmt Kaan in unser Büro und verschwindet dann genauso schnell wieder.

Reflexartig setze ich mich aufrecht hin.

Izzy äugt mich misstrauisch. Sie fragt mich schon seit letzter Woche, was zwischen uns vorgefallen ist. Weil ich Chris nun mal eben nicht in eine unangenehme Situation bringen wollte, habe ich niemandem davon erzählt, was passiert ist. So langsam bereue ich es jedoch. Ihm scheint es immerhin genauso egal zu sein, wie ich mich fühle.

Gerade, als ich meinen Mund aufmachen und Izzy endlich erzählen möchte, was passiert ist, geht die Tür erneut auf.

Bei diesem Mal ist es Chris, der in den Raum sieht. Direkt auf mich.

Mein Bauch zieht sich leicht zusammen.

"Giulia, können wir kurz reden?", fragt er.
Der bittere Unterton in seiner Stimme passt zu dem Ausdruck auf seinem Gesicht.

Entweder hat er plötzlich erkannt, was für ein Verhalten er an den Tag gebracht hat, oder irgendetwas anderes ist passiert.

So gerne ich ihm seine Bitte auch verweigern würde, so schnell stehe ich auf und nicke.
Dabei ignoriere ich Izzy's Blick auf mir.

Ich hatte einen festen Plan, auch einfach so zu tun, als würde er nicht existieren, doch im nächsten Moment laufe ich bereits in Stille und völliger Aufregung neben ihm her in sein Büro und werfe meinen Plan über Bord.

Er schließt die Tür hinter uns und fährt mit einer Hand über sein Gesicht. Um sicherer zu wirken, als ich mich gerade fühle, verschränke ich meine Arme vor meiner Brust und sehe ihn wartend an.

"Ich muss mich nochmal bei dir entschuldigen", fängt er an.

Ich muss meine Lippen aufeinander pressen, um nicht laut loszuschreien. Noch einmal kann ich das nicht hören. Als wäre es sein größtes Bedauern, mich geküsst zu haben.

Wo Unsere Seelen AtmenWhere stories live. Discover now