Kapitel 13

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Chris

"Okay, Dankeschön. Vielen Dank, wirklich. Es freut mich sehr, dass wir ihre Erwartungen erfüllen konnten. Wir freuen uns auf weitere Geschäfte mit ihnen", verabschiede ich mich und beende das Telefonat.

Ich lege den Hörer vor mir auf den Schreibtisch und vergrabe mein Gesicht fassungslos lachend hinter meinen Händen.

Innerhalb der letzten vier Minuten habe ich zwei neue Kunden für die Firma gewonnen.

Eigentlich wäre jegliche Art von Rückmeldung direkt zu Giulia's Abteilung gegangen, aber sie wollten unbedingt mit dem Leiter der Firma sprechen, um seine Mitarbeit für ihre Arbeit zu lohnen. Ihre Worte, nicht meine.

Natürlich habe ich ihnen nicht erzählt, dass ich die Arbeit geleistet habe, denn so groß das Siegesgefühl gerade auch ist, so viel größer ist das Bedürfnis, diesen Teil meines Lebens nicht in die Geschäfte der Firma mit einzubringen.

Ich möchte diese beiden Aspekte meines Lebens einfach nicht miteinander verbinden. Die Grenzen würden überschwemmen und es würde mir umso schwerer fallen, das alles hier hinter mir zu lassen.

Wie kontradiktorisch, dass ich mich genau in diesem Moment auf den Weg zu Giulia's Büro mache, um ihr davon zu erzählen.

Keine Ahnung, warum ich diese Nachricht unbedingt mit ihr teilen möchte. Keine Ahnung, warum ich es nicht einfach übers Telefon mache.

Ich schätze, ich möchte ihre Reaktion sehen. Schließlich war sie diejenige, die die Arbeit für mich weggeschickt und mein Geheimnis bewahrt hat. Sie verdient auch einen Teil der Dankbarkeit. Meiner Dankbarkeit, auf jeden Fall.

Das soll jedoch nicht passieren, als eine Stimme kurz vor ihrem Büro mich in meinem Gang zu einem Halt kommen lässt.

"Nein, Alter, ich schwöre dir, ich habe es selbst gehört. Landry Junior hat sich während der Feier schon an seine Mitarbeiter rangemacht", kann ich Lex mit gesenkter Stimme sagen hören.

Mein Herz sinkt direkt in meinen Magen.

"Und von wem hast du das gehört?", fragt Kaan unbeeindruckt.

Durch meinen Kopf schießen ungefähr zwanzig Namen, doch keiner davon wäre eine plausible Erklärung. Niemand hätte irgendetwas davon mitbekommen können. So leichtsinnig waren Giulia und ich nicht.

Bei unserem ersten Kuss waren wir wortwörtlich zu zweit eingesperrt, und bei unserem zweiten war es weit über den Feierabend hinaus. Keiner wäre an einem Freitag auch nur eine einzige Minute länger geblieben, wenn es nicht wirklich nötig gewesen wäre.

"Von ihr selbst."

Der einzige Name, an den ich nicht gedacht habe.

Giulia.

Sie hat ihm davon erzählt.

Es kann nur sie gewesen sein. Ich habe niemandem davon erzählt, geschweige denn wen anders geküsst.

Aber wieso hat sie das getan?

"Und wer ist sie?"

Ich bete zu Gott, dass Lex wenigstens genug Anstand hat, seine Klappe zu halten und Giulia's Vertrauen nicht zu missbrauchen.
Auch, wenn es ihr daran zu fehlen scheint.

Und ich dachte, wir wären uns einig darüber gewesen, dass wir niemandem davon erzählen und es einfach als kleines Geheimnis zwischen uns halten sollten.

In den letzten Tagen schien alles in Ordnung gewesen zu sein. Wieso ist sie nicht zu mir gekommen, wenn sie ein Problem hatte? So weit hätten wir doch eigentlich schon sein müssen. Vielleicht habe ich das zwischen uns aber auch einfach falsch interpretiert.

"Sag ich dir doch nicht", reißt Lex's Stimme mich aus meinen Gedanken.

Wenigstens etwas.

"Dein Ernst? Warum erzählst du es mir dann?"

Ich kann mir nicht auch nur ein weiteres Wort anhören, also mache ich auf meinem Absatz kehrt und stürme zurück in mein Büro, die Tür laut hinter mir ins Schloss fallend.

Giulia ist mir nichts schuldig, das weiß ich. Aber Scheiße, von ihr hätte ich sowas am wenigsten erwartet.

Mir fällt nicht ein einziger Grund ein, warum sie ihm von unserem Kuss hätte erzählen sollen. Meinem Anschein nach sind sie nicht die besten Freunde, und auch wenn, dann wäre das keine Entschuldigung dafür.

Selbst meinem eigenen Bruder, der hunderte von Kilometern weit weg wohnt und nichts und niemanden hier kennt, habe ich die Sache mit Giulia vorenthalten. Es hätte sich falsch angefühlt, darüber zu reden, weil ich sie nicht hintergehen wollte. Warum sollte ich damit prahlen, sie geküsst zu haben? Sie ist wunderschön und verdammt witzig, aber sie ist keine Trophäe, die man für irgendeine Angeberei benutzen sollte. Das ist kein Mensch. Auch ich nicht.

Anscheinend denkt sie anders darüber.

Ich wünschte, es gäbe etwas winzig kleines in mir, das an Lex's Worten zweifeln könnte.
Es macht mir selbst keinen Spaß, Giulia so etwas vorzuwerfen, aber die Zeichen sind nun mal eindeutig. Anders, als von ihr, kann er es einfach nicht wissen.

Ich lache bitter auf und schüttle meinen Kopf über mich selbst.

Mir war bereits bewusst, wie unsinnig mein Verhalten war, aber woher hätte ich wissen sollen, dass es so endet?
Genau deswegen mache ich sowas nie. Eigentlich.

In mir herrscht gerade ein Emotionales Chaos, welches es mir unmöglich macht, mich auf ein Gefühl festzulegen. Bin ich wütend auf mich selbst? Enttäuscht von Giulia? Vielleicht trauert ein Teil von mir sogar um so etwas wie eine Freundschaft, die wir hätten haben können?

Wüsste ich sicher, was ich gerade fühle, könnte ich vielleicht besser damit umgehen.

Stattdessen stehe ich verloren hinter meinem Schreibtisch und sehe auf die Tür.

Die Tür, die in genau diesem Moment aufgeht.

"Chris!", kommt ausgerechnet Giulia aufgeregt in den Raum gerannt. "Haben sie dich auch angerufen?!"

Das breite Lächeln auf ihren Lippen verrät mir, dass sie die Antwort darauf bereits kennt. Sie will es bloß mir von mir hören. Und so sehr ich auch mit ihr darüber reden will, so plötzlich kommt in mir die Frage auf, ob ich ihr damit wirklich hätte vertrauen sollen.

Was hält sie davon ab, nicht auch das einfach weiterzuerzählen?

Auf meine Frage folgt keine Antwort, sondern bloß Aufgebrachtheit, weswegen ich mich dazu entscheide, mich aus dieser Situation zu entfernen. Wenigstens so lange, bis ich mich etwas abreagiert habe. Ich konnte noch nie wirklich gut mit negativen Gefühlen umgehen, und viel zu oft habe ich in so einem Zustand Dinge gesagt, die ich im Nachhinein bereut habe. Das möchte ich niemandem antun.

Erst recht nicht der Frau, die mir hoffnungsvoll dabei zusieht, wie ich in ihre Richtung laufe.
Ganz egal, was sie getan hat. Keiner verdient das.

Ich kann mir nur vorstellen, wie schnell diese Hoffnung wieder von ihrem Gesicht tritt, als ich einfach an ihr vorbei direkt aus dem Raum stürme.

"Chris-", kann ich sie noch hinter mir sagen hören.

"Keine Zeit."

Wo Unsere Seelen AtmenWhere stories live. Discover now