Kapitel 20

66 13 2
                                    

Chris

Ein letztes Mal blicke ich prüfend durch mein Büro.

Ich habe die letzte Stunde damit verbracht, jeden einzelnen Staubkorn wegzuwischen und all die Dinge loszuwerden, die anderen beweisen würden, wie wenig ich mich in den vergangen Tagen um meine Arbeit gekümmert habe.

Dinge, die es meinen Eltern beweisen würden.

Die haben sich nämlich vor zwei Stunden unerwartet angekündigt, um nachzusehen, ob alles nach dem Rechten läuft.

Dumm von mir zu denken, es würde bei zwei Telefonaten in der Woche bleiben.

Ich hoffe einfach nur, dass ich ihnen vorspielen kann, wie gut ich mit allem klarkomme. Dass die beiden sich sorgen machen müssen, ist das letzte, was ich möchte. Vor allem für meinen Vater. So sehr er seinen Ruhestand genießt und die Hälfte seiner Zeit mit Angeln verbringt, so sehr vermisst er seine Firma und Mitarbeiter.

Die Mitarbeiter, die mich noch immer nicht wirklich leiden können. Zugegeben, dazu gebe ich ihnen auch keinen wirklichen Grund.
Selbst Giulia hat seit mindestens drei Tagen nicht mehr mit mir geredet. Hauptsächlich deswegen, weil wir uns nicht mehr sehen. Ich denke, sie geht mir absichtlich aus dem Weg. Die Zeichnung, die sie gefunden hat, hat sie scheinbar doch mehr beunruhigt, als sie zugeben wollte.
Verständlich. Gott, mehr als nur verständlich.

Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Keine Ahnung, warum ich den verdammten Skizzenblock nicht einfach in meinem verdammten Schrank verstaut habe.

Würde nicht die Möglichkeit bestehen, dass meine Eltern jede Sekunde auftauchen, dann würde ich mir gerade wahrscheinlich jeden meiner Haare einzeln von meinem Kopf reißen.

Es geht nicht darum, dass ich Giulia nicht vertraue, sondern einfach darum, dass ich ihr ein schlechtes Gefühl gegeben habe. Sie fühlt sich an ihrem eigenen Arbeitsplatz unwohl. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gutmachen kann. Ob sie das überhaupt möchte. Am besten wäre es, wenn ich ihr erst einmal etwas Zeit gebe und Abstand von ihr halte. Ich möchte ihr nicht das Gefühl geben, als würde ich sie zu irgendetwas drängen wollen. Wenn sie mit mir reden möchte, dann kann sie das zu jederzeit tun.
Wenn nicht, dann...nicht. Dann war's das einfach, schätze ich.

"Da ist der Big Boss", platzt mein Vater plötzlich in mein Büro und reißt mich aus meinen Gedanken.

Ein breites Grinsen tritt auf meine Lippen, welches von meiner Mutter erwidert wird.

Als ich mich dazu entschieden habe, das Zeichnen zu meinem Beruf zu machen, wusste ich sofort, dass ich meine Eltern in diesem Leben nicht mehr stolz machen kann. Aber dieses Funkeln, dass ich jetzt in ihren Augen sehe, kommt dem ganzen doch schon ziemlich nah. Für eine einzige Sekunde bedauere ich es mal nicht, hier zu sein.

"Hey, kommt rein", fordere ich sie verwirrend nervös auf.

Meine Mutter hat mir in den letzten Wochen mehr als nur klargemacht, wie wenig sie mir vertraut. Sie hat von Anfang an nicht geglaubt, dass ich im Stande wäre, die Firma zu übernehmen. Mein Vater musste sie regelrecht überreden, mir wenigstens eine Chance zu geben.

Mit meinem Verhalten in den ersten Wochen habe ich sie in ihrer Vermutung natürlich nur bestätigt. Irgendwie hofft ein erbärmlicher Teil in mir, das hiermit wieder gutmachen zu können.

Wo Unsere Seelen AtmenWhere stories live. Discover now