Kapitel 4 - I'm back!

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Die freie Zeit verging viel zu schnell. Ich genoss es, zuhause zu sein und Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Doch schneller als mir lieb war kam der Tag der Abreise. In zwei Tagen würde ich in England sein. Eigentlich hatte ich mich auf die vier Wochen gefreut, die ich in den Hollingworth Stables verbringen würde, doch Leos Abweisung vor einigen Tagen hatte mir die Vorfreude gründlich kaputt gemacht. Natürlich freute ich mich auf Danielle und ganz besonders auf Josh und Luke, doch ich hatte gehofft, dass ich dort auch Zeit mit Leo verbringen konnte. Um ehrlich zu sein hatte ich gedacht, dass wir alles regeln und irgendwie hinbekommen könnten, wenn ich erst mal wieder in England war. Jetzt war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob er London verlassen und für wenigstens einen kleinen Besuch auf das Gestüt kommen würde. Ihn anzurufen und nachzufragen kam für mich nicht infrage. Wahrscheinlich würde ich es sowieso irgendwann tun, doch jetzt im Moment war ich einfach nur bitter enttäuscht von ihm.

„Ich kann nicht glauben, dass du schon wieder weg musst!", Charly, die auf der dreckigen Vita saß, sah mich schmollend an.

„Ich weiß, aber es ist eine einzigartige Chance!", gab ich zurück und fuhr zärtlich über Ladys Hals. Die Kleine schnappte spielerisch nach Vita, die das jedoch überhaupt nicht lustig fand und das Spiel der Jüngeren mit angelegten Ohren und Schweifschlagen quittierte.

„Wirst du Leo sehen?"

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.", meinte ich leise. Ich hatte ihr von dem Telefonat erzählt. Sie hatte sich, ganz wie es sich für die beste Freundin gehörte, tierisch aufgeregt.

„Wenn doch, was wirst du ihm sagen?"

„Ich weiß es nicht. Ein Teil von mir will ihn unbedingt sehen und mit ihm reden, doch der andere, größere Teil, wünscht sich, dass er sich überhaupt nicht blicken lässt. Ich möchte nicht hören, dass es nicht funktionieren wird. Das weiß ich selbst."

„Oh Roxy, das tut mir wirklich so leid. Ich wünschte, ich könnte dir helfen!", Charlys traurige Miene sorgte nicht gerade dafür, dass sich meine Laune besserte.

„Hör erst einmal auf zu so zu schauen, da bekommt man ja Angst!", versuchte ich die Stimmung etwas aufzulockern.

„Blöde Kuh!", Charly streckte mir die Zunge raus und trabte Vita an. „Komm schon, oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen?"

„Na los Lady, zeig denen mal was du kannst!", sagte ich leise und gab der Stute eine Galopphilfe. Trotz des beachtlichen Größenunterschieds war die kleine Lady innerhalb von Sekunden an der größeren Vita vorbeigezogen.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich überhaupt noch nicht wissen, was mich in England erwarten würde und dass ich sehr bald auf Leos Hilfe angewiesen sein würde...

***

Eigentlich sollte man meinen, dass das Fliegen für Embassy und mich inzwischen zur Routine geworden wäre. Doch ich war vor, während und nach jedem Flug, egal ob zwei oder neun Stunden, ein einziges Nervenbündel. Was, wenn Embassy Panik bekam? Was, wenn sie sich verletzte? Was, wenn irgendetwas schief ging und Embassy versehentlich nach Thailand flog, statt nach England? Was, wenn sie durch das Fliegen so verstört war, dass sie niemals wieder in eine so enge Transportbox steigen würde und ich sie nicht mit nach Hause nehmen konnte?

„Miss, bleiben sie bitte ruhig!", „Miss, möchten Sie eine Beruhigungstablette?", „Miss, wenn Sie sich nicht sofort ruhig verhalten, werden wir Maßnahmen ergreifen müssen!"

Das waren so die Standartsprüche, die ich von den Stewardessen zu hören bekam. Zu deren Leidwesen, und wahrscheinlich das aller anderen Fluggäste, interessierte es mich einen feuchten Kehricht. Alle fünf Minuten erkundigte ich mich nach dem Wohlbefinden der mitreisenden Pferde.

„Sind sie alle ruhig?", „Die Schimmelstute ziemlich in der Mitte, ist bei ihr alles in Ordnung?", waren noch die harmlosesten Fragen, die ich stellte.

„Herrgott nochmal, sagen Sie diesem unfähigen Piloten er soll die Turbulenzen umfliegen!", „Wenn meinem Pferd etwas zustößt werde ich in diesem verdammten Flugzeug Amok laufen!", waren schon eher mein Stil und wohl die Sätze, die Fluggäste und Stewardessen in Aufruhr versetzten. Ich verstand schon, dass ich bei einem Neun-Stunden-Flug ziemlich nervig war, doch was sollte ich tun? In diesem Flugzeug befand sich ein Pferd, welches vertrauensvoll sein Leben in meine Hände gegeben hatte. Es war bereitwillig in die enge Transportbox gestiegen und das was mich so aufregte war, dass ich in keiner Situation hätte reagieren können. Ich flog das Flugzeug nicht, also musste ich wohl oder übel den Piloten vertrauen, es machte mich wahnsinnig!

Nach neun aufreibenden Stunden war es endlich geschafft. Richard erwartete mich schon, als ich aus dem Flugzeug stieg. Wie eigentlich immer, war Embassy die Ruhe selbst. Sie trat aus der Flugzeugbox und stieg brav um in den Pferdehänger, den Richard mitgebracht hatte. Meine Aufregung war mal wieder umsonst gewesen. Doch besser so, als anders herum. Wir hatten das Flughafengelände relativ schnell hinter uns gelassen. Während Richard das Gespann sicher die Straße entlang manövrierte, tippte ich schnell Nachrichten an meine Familie und Charly in mein Handy, dass alles in Ordnung wäre und es Embassy und mir gut ging.

„Ich hatte mir überlegt, dass wir einen Tag früher nach London fahren. So kann Embassy sich schon einmal eingewöhnen.", Richards Stimme ließ mich vom Handydisplay aufschauen.

„Oh... okay... sicher.", gab ich zurück. Ehrlich gesagt war mir das herzlich egal. Ich betrachtete die Gegend. Wiesen auf denen unzählige Schafe weideten, wolkenverhangener Himmel... Genau so hatte ich England in Erinnerung. Als wir schließlich durch das große Tor der Hollingworth Stables rollten schlug mein Herz schneller. Gleich würde ich alle wieder sehen. Danielle, Luke und Josh! Ich freute mich riesig und Richard schien meine Nervosität zu bemerken. Er schmunzelte und lenkte das Gespann dabei vor das große Stallgebäude. Ich wollte gerade nach dem Türgriff greifen als die Tür von außen aufgerissen wurde.

„Roxy!", brüllte mich eine tiefe Stimme an. Ich erkannte gerade noch Joshs blonden Haarschopf, da wurde ich auch schon an den Hüften gepackt und aus dem Wagen gezerrt. Laut lachend umfasste ich meinen alten Freund und wir drückten uns gegenseitig halb kaputt.

„Weg da, ich bin dran!", Danielles zarte Stimme drang an mein Ohr und es war vorbei mit meiner Fassung. Ich drückte sie fest an mich, schließlich wurde ich noch von Luke durch die Luft gewirbelt.

„Es ist so schön, dass du wieder da bist!", rief Luke, der noch immer einen Arm um mich gelegt hatte.

„Wir haben dich wahnsinnig vermisst!", Danielle quiekte und klatschte wild in ihre Hände. Ich lächelte und wischte mir die Freudentränen aus den Augen während ich mich verstohlen umsah. Von Leo war natürlich keine Spur. Ich hatte die kleine Hoffnung gehabt, dass er hier sein würde um mich zu begrüßen, doch er war es nicht.

„Lasst das Mädchen doch erst mal ankommen!", Mrs. Hollingworth trat in mein Sichtfeld und umarmte mich zu meiner Überraschung herzlich.

„Herzlich willkommen zurück, Roxanne!"

„Danke, Mrs. Hollingworth!", antwortete ich höflich. Im Augenwinkel sah ich, wie Josh und Luke Embassy aus dem Hänger führten. Sie blickte sich neugierig um, schien ihre alte Heimat aber wieder zu erkennen. Sie wieherte einmal laut und bekam prompt mehrere Antworten aus dem Inneren des Stallgebäudes.

„Ich habe dir eines der Gästezimmer herrichten lassen. Die Reise war lang, du möchtest dich sicher erst einmal frisch machen.", fuhr Mrs. Hollingworth fort. Danielle stand fröhlich grinsend neben ihr.

„Mrs. Hollingworth, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber ich würde gerne bei Josh und Luke wohnen.", sagte ich vorsichtig und in der Hoffnung Richards Frau nicht zu verletzen. Verletzt sah sie nicht gerade aus, dafür aber pikiert. Zu meiner Erleichterung ertönte Richards schallendes Lachen direkt neben mir.

„Was anderes habe ich von dir überhaupt nicht erwartet, Roxy!"

Ich grinste den großen Mann dankbar an, der eine Hand auf meine Schulter legte.

„Na komm, ich helf dir mit den Koffern!", bot sich Danielle an und schnappte sich einen der Rollkoffer.



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