Kapitel 24 - Reptiles

3.2K 257 13
                                    

Vielleicht war er traurig, mit Sicherheit aber nicht so sehr wie ich. Ich kannte Leo, er war hart im nehmen und Meister darin, seine Gefühle zu verbergen. Ich war mir manchmal gar nicht sicher, ob er überhaupt welche besaß. Während ich litt und es mir richtig elend ging, war er mit Sicherheit mit Blondie beschäftigt. Seine Ablenkung wie er das so dreist formuliert hatte. Ich dagegen hatte keine Ablenkung. Das könnte ich auch niemals einer Person antun! Das Problem war nur, dass die Gedanken an Leo mich vom Qualifikationsspringen ablenkten. Ich war hundemüde als wir wahnsinnig früh am nächsten Morgen Voyeur in den Transporter brachten. Ich regte mich nicht einmal darüber auf, dass er zuerst in meine Schulter zwickte und kurz darauf gegen die Außenwand des Transporters trat. Das Springen würde erst mittags beginnen, wir hatten genügend Zeit. Meine Aufregung war unbeschreiblich. Zuerst war das das Springen mit Voyeur, dann würde ich Sam wieder sehen. Ich wollte ihn nicht sehen. Ich stellte mir immer vor wie er mich hämisch angrinste weil die Polizei ihm bisher nichts nachweisen konnte. Da wird Voyeur heute nicht im Stallzelt unterbrachten, würde ich Sam dort wenigstens nicht sehen, doch spätestens auf dem Abreiteplatz würde ich auf ihn treffen. Ich ging aber davon aus, dass Voyeur meine gesamte Aufmerksamkeit einfordern würde und ich mich nicht auf den Jungen konzentrieren konnte, den ich schon beinahe als Freund angesehen hatte.

Die Fahrt verlief reibungslos. Sobald Richard das Gespann in Bewegung gesetzt hatte, hörte Voyeur auf zu randalieren. Die gesamte Fahrt über war kein Mucks von ihm zu hören. Ich hatte ehrlich gesagt schon damit gerechnet, dass wir alle paar Kilometer anhalten müssten, um den Hengst zu beruhigen, wobei beruhigen wohl nicht der passende Ausdruck wäre. Diskutieren, schimpfen, tadeln waren Begriffe, die viel besser gepasst hätten.  

„Und, Roxy? Bist du aufgeregt?", Richard schaute mich erwartungsvoll an. Ich schüttelte nur meinen Kopf. Mir war kotzübel, so nervös war ich. Kurz darauf kamen wir auf dem Gelände an, welches ich inzwischen zu gut kannte. Nur mit Widerwillen erinnerte ich mich an die Nacht zurück, in der Danielle und ich ewig rannten um Embassy zu finden. Als ich den Parcours sah wurde ich wehmütig. Was würde ich nicht dafür geben, wenn statt Voyeur jetzt Embassy in diesem Hänger stehen würde. Ich würde voller Vorfreude in diese Prüfung reiten und nicht mit zittrigen Händen. Als ich Leute mit Kameras und Mikrophonen auf dem Parkplatz entdeckte, wurde ich schon wieder unglaublich wütend. Da die Anzahl der Teilnehmer sich aber erheblich verringert hatte, da von Springen zu Springen aussortiert wurde, entdeckten diese Geier uns natürlich sofort. Ich war kaum vom Beifahrersitz geklettert, da hatte ich auch schon in Mikrophon im Gesicht kleben. Genervt verdrehte ich meine Augen.

„Roxanne Fleming, guten Tag. Mein Name ist Michael Lewis, ich komme von Daily News! Bitte, haben Sie einen Moment Zeit?", fragte der Mann der mir das Mikrophon unter die Nase drückte. Er hatte blondes Haar, ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. Die Brille, die auf seiner schiefen Nase saß vergrößerte seine Augen unnatürlich und verlieht ihm ein etwas gruseliges und suspektes Aussehen.

„Nein, Michael, ich habe keine Zeit!", knurrte ich und wendete mich ab.

„Miss Fleming, ist es wahr, dass sie mit dem Hengst Voyeur reiten werden? Miss Fleming, ist es wahr, dass Sie Ihre Stute verkauft haben, weil sie verletzt ist?", fragte er einfach ungeachtet meiner Aussage.

„Ja und nein!", beantwortete ich seine blöden Fragen in einem Satz und ging dann endgültig von ihm weg. Doch kaum hatte ich die Tür des Transporters geöffnet, um nach dem Rappen zu sehen, kam eine kleine Braunhaarige auf mich zugerannt. Auch sie hielt ein Mikrophon in der Hand. Sie trug lila Lippenstift und hatte einen grässlichen, kanariengelbfarbenen Rock an, der sich fürchterlich mit den roten Stiefeln biss. Ich hatte ja gewiss auch keinen Sinn für Mode, doch dass das, was diese Frau an hatte, eine absolut tödliche Sünde war, erkannte sogar ich. Ich wollte gerade zu der bunten Frau sagen, dass sie gleich wieder gehen konnte als mir von rechts ein Mikrophon ins Gesicht gehalten wurde und plötzlich eine Kamera in meinem Sichtfeld auftauchte, die mich filmte. Ich war so kurz davor sie alle zu beleidigen, mit den schlimmsten Ausdrücken die ich kannte! Danielle und Richard standen ratlos beim Wagen. Ein wenig Hilfe wäre ganz nett, dachte ich mir und verfluchte auch die beiden innerlich. Die Reporter redeten alle gleichzeitig los, mein Kopf drohte zu explodieren! So viele Fragen auf einmal und alle durcheinander, da wurde ja jeder verrückt! Vor meinen Augen sah ich schon Sterne tanzen. Ich überlegte gerade ob Schreien oder Weglaufen die bessere Option wäre als ich eine raue Stimme hinter mir hörte:

„Gehen Sie hier weg und lassen Sie meine Mandantin in Ruhe!"


Parcours des Lebensحيث تعيش القصص. اكتشف الآن