Kapitel 9 - Nightmare

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Ich konnte nicht viel erkennen. Es regnete. Es war kalt, mein eigener Atem und der des braunen Pferdes unter mir, wurde in Form von weißen Wölkchen in die nasskalte Luft gewirbelt. Da war dieses Schmatzen, das Schmatzen der im Matsch versinkenden Hufe. Das Pferd und ich waren in Nebel gehüllt, ich erkannte keine Zuschauer. Ich wusste nicht einmal, ob welche anwesend waren. Ich fühlte mich allein gelassen und nicht einmal das braune Pferd unter mir konnte mir dieses drückende Gefühl, welches mich zu ersticken drohte, nehmen. Als ich jedoch den Sprung sah, wusste ich, dass wir es gleich geschafft hätten. Der Nebel würde sich lichten, ich wäre in Sicherheit. Der mannshohen Doppelsprung kam mit jedem donnernden Galoppsprung näher. Ich wusste, dass ich ihn überwinden musste.

„Nicht, Roxy!", brüllte eine verzerrte Stimme. Ich sah niemanden. Hier war keiner.

„Pop?", schrie ich, doch der Sprung kam näher. Das braune Pferd zog den Sprung an. Ich ließ sie. In diesem Moment wusste ich, dass es Daylight war. Sie drückte sich ab doch ihr Hinterbein fand keinen Halt auf dem aufgeweichten Boden und ich wusste, obwohl es noch nicht geschehen war, was passieren würde. Alles war so langsam, wie in Zeitlupe. Langsam, so unwirklich langsam, wurde ich aus dem Sattel gerissen. Sie stürzte. Ich schlitterte über den braunen Matsch, sah nichts mehr.

„Nein!", hörte ich Pops rufende Stimme. Ich richtete mich auf, hatte jedoch keine Chance. Ich versank im Matsch. Es regnete einfach weiter. Ich versuchte mich frei zu kämpfen, fiel wieder hin. Versank im Matsch. Dann, spürte ich, wie jemand mich umfasste. Dieser Jemand hob mich einfach auf, stellte mich auf meine Füße. Ich sah ihn an. Blaue Augen. Panisch drehte ich mich um. Da lag sie. Meine geliebte weiße Stute. Ich rannte zur ihr, fiel neben ihr auf die Knie, streichelte ihre Stirn, schaute in ihre Augen, die mich so hilflos ansahen. Dann brach ihr Blick. Das Licht war weg.

„Nein! Nein, Embassy nein!!!", brüllte ich, ich brüllte so laut ich konnte. Da war keiner, keiner der mich hörte...

„Roxy! Roxy, wach auf!", ich spürte, wie jemand meine Schultern gepackt hatte und mich schüttelte.

„Nein! Embassy! Wo ist sie?", schrie ich und wollte aufspringen doch ich wurde sanft zurück auf die Matratze gedrückt.

„Du hast geträumt, Roxy, es ist alles gut!", ich erkannte Josh, der neben mir saß und mich festhielt. Ich zitterte, mein Shirt war nass, mein Hals kratzte. Und ich heulte, heulte wie ein kleines Mädchen. Als Josh seinen Arm um mich legte und Luke im Türrahmen erschien und mich mitleidig und sorgenvoll ansah, brach ich erneut heulend zusammen. Sie waren wieder da. Diese Bilder. Dieser Traum. Er war wieder da. Schon seit über zwei Jahren hatte ich diesen Traum nicht mehr gehabt und jetzt war er wieder da. Ich wollte sie nicht mehr sterben sehen. Früher war es Daylight gewesen, jetzt war es Embassy. Ich wollte diesen Fehler, den ich damals begangen hatte vergessen, einfach nur vergessen! Jetzt war alles wieder da und es tat genauso weh, wie damals.

***

„Mann, siehst du Scheiße aus!", Danielle trat neben mich. Ich ließ den Striegel, mit dem ich bis eben noch Embassys Fell gesäubert hatte kraftlos sinken.

„Vielen Dank.", gab ich sarkastisch zurück. Danielle hob abwehrend ihre Hände.

„Hey! Ich mein ja nur, ist nicht böse gemeint!", sie grinste mich spitzbübisch an.

„Ich hab nicht gut geschlafen.", gab ich ihr eine kurze Erklärung.

Danielles Geburtstagparty hatte ich relativ früh verlassen. Nachdem ich Leo entdeckt hatte, war der Abend sowieso ruiniert. Nach seiner kalten Begrüßung, wenn man das überhaupt so nennen konnte, hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Für die nächsten zwei Stunden hatten Luke und Josh mit abgelenkt. Nach Mitternacht ergriff ich die Flucht. Josh und Luke begleiteten mich. Wir schafften es uns an Danielle vorbei zu schleichen, die gerade „Get the Party started" von Pink in das Mikrophon der Karaoke-Anlage brüllte. Ich hatte mich sofort schlafen gelegt, nur um wenig später schweißgebadet wieder aufzuwachen und festzustellen, dass die Alpträume zurückgekehrt waren...

„Also, was ist nun. Gibst du mir eine Reitstunde?", fragte Danielle und tippte mir auf die Schulter.

„Ja. Später."

„Was ist denn los? Du siehst aus als hättest du eine Woche durchgefeiert!", Danielle klang anklagend. Wahrscheinlich weil ich ihr nicht zugehört hatte.

„Nichts, sagte ich doch schon, ich habe schlecht geschlafen!", keifte ich die Freundin an. Danielles Augen wurden groß, sie ging einen Schritt zurück.

„Was kann ich dafür, huh?", gab sie genauso zickig zurück.

„Nichts, aber ich habe gerade keine Nerven für dein ständiges Geplapper!"

„Geplapper?! Geplapper?!", keifte sie und funkelte mich mehr als nur ein bisschen wütend an.

„Ja, Danielle. Ständig plapperst du irgendeinen Müll, pinke Luftballons und rosa Champagner! Ich könnte kotzen, ich bin es leid!"

„Dir ist der Ruhm wohl zu Kopf gestiegen, Roxanne!", zischte sie.

„Ach, halt doch die Klappe! Du weißt genau, dass das nicht wahr ist!"

„Du bist echt gemein, weißt du das? Ich versuche dir eine gute Freundin zu sein, dass du nicht ständig an meinen Bruder denken musst! Und was machst du? Benimmst dich wie eine blöde Kuh! Kein Wunder, dass Leo dich verlassen hat!", schrie sie, dann trampelte sie die Stallgasse entlang und verschwand im Regen. Und ich stand da. Schwer atmend. Mein Magen schmerzte. War es mein Magen? Ich krümmte mich. Schon wieder diese seltsamen Schmerzen. Ich presste meine Hände gegen meinen Bauch, atmete. Doch wieder bekam ich überhaupt keine Luft. Dann wurde mir auch noch schwindelig.

Kein Wunder, dass Leo dich verlassen hat.

Das hat er also gesagt? Er hatte mich verlassen? Leo war ein Feigling, dass er das nicht auch mir gegenüber erwähnt hatte. Allmählich ließen die Schmerzen nach. Ich atmete noch immer hektisch, doch ich konnte wieder gerade stehen. Ich war einfach nur wütend und enttäuscht. Vielleicht hatte ich Danielle gegenüber auch ein schlechtes Gewissen. Nein, nicht nur vielleicht. Sie hatte Recht. Ich war eine blöde Kuh. Ich striegelte das seidige Fell meiner Stute weiter, so, als wäre nichts gewesen. Sie jedoch spürte meine innere Unruhe. Ich merkte es, weil sie mich bei jedem meiner Schritte beobachtete. Ansonsten stand sie mit hängender Unterlippe entspannt da und genoss die Züge mit dem Striegel.

„Leider kannst du heute nicht auf die Koppel.", murmelte ich um die Stille im Stall zu übertönen. Zwar war das Schnauben der Pferde und der Regen auf dem Dach zu hören, doch es war zu still. Luke und Josh waren in die Stadt gefahren um Futter zu holen. Danielle hatte ich vergrault. Richard war mit drei Jährlingen unterwegs, die auf einer Auktion versteigert werden sollten. Übrig blieben Embassy und ich. Und, wie ich mit Entsetzen feststellen musste, als sich das große Stalltor wieder öffnete... Leo.


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