Kapitel 35 - Dream on

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Am späten Abend saß ich gelangweilt in meinem Zimmer und zappte durch die Kanäle. Danielle war mit Josh ausgegangen und Luke hatte sich vor einer halben Stunde in die Hütte verabschiedet. Dadurch, dass ich den ganzen Tag nichts machen konnte außer mich auszuruhen, war ich abends nicht so müde wie sonst. Leo hatte ich seit dem Morgen nicht mehr gesehen, er war nach dem Frühstück in seinen Audi gestiegen und seither nicht mehr aufgetaucht. Etwas Angst hatte ich schon, dass er doch einen Rückzieher machte und einfach wieder aus meinem Leben verschwand. Doch ich verbot mir diesen Gedanken, wenn ich uns noch eine Chance geben wollte musste ich ihm etwas Vertrauen entgegen bringen. Ich stöhnte genervt als ich ungefähr das fünfte Mal alle Kanäle durch hatte. Ich beschloss gerade einfach den Fernseher auszuschalten als meine Tür sich leise öffnete. Obwohl es dunkel war merkte ich sofort, dass Leo der nächtliche Gast war.

„Roxy, bist du wach?", er redete leise. Schnell hob ich meine Hand und knipste die kleine Lampe neben mir an.

„Ja. Alles in Ordnung?", ich flüsterte und sah ihn gespannt an. Er sah so unglaublich fertig aus. Leo nickte schnell.

„Sam ist jetzt in Untersuchungshaft.", ich bekam bei Leos Aussage große Augen.

„Was?"

„Sie haben ihn heute geschnappt, in ein paar Tagen ist die Gerichtsverhandlung. Du wirst als Zeugin aussagen müssen, aber ich denke Sam wird die nächste Zeit hinter Gittern verbringen."

„Ich weiß nicht was ich sagen soll.", gab ich völlig geplättet von mir. Leo grinste mich schief an und in diesem Moment schmolz ich nur so dahin. Da waren sie, seine Grübchen, und er lächelte nur für mich.

„Also, schlaf schön, Roxy.", Leo wandte sich ab um zu gehen.

„Warte noch!", rief ich und war selbst erschrocken über meine laute Stimme. Leo blieb stehen und sah mich abwartend an.

„Können wir noch reden?", fragte ich. Leo nickte unsicher, setzte sich jedoch neben mich und sah mich abwartend an. Ich räusperte mich und merkte, wie mein Gesicht wieder einmal knallrot anlief. Ich war dankbar über das dämmrige Licht, so bemerkte Leo meine ungesunde Gesichtsfarbe wenigstens nicht.

„Diese Frau... ich habe ihren Namen vergessen!", ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Himmel, so begann man doch kein Gespräch! Doch Leo verstand sofort worum es ging, oder besser um wen.

„Das war nichts, Roxy, das musst du mir glauben. Ich habe keine Gefühle für sie!"

„Wieso war sie bei dir?"

„Ich war ein Idiot, ich weiß nicht, was mit mir los war, dass ich ausgerechnet dich so scheiße behandelt habe! Ich hätte meinen Job schon viel länger kündigen sollen, doch stattdessen war ich so blöd und habe mich von dir entfernt!", ich beobachtete ihn, nahm jede seiner Regungen auf und versuchte einfach ruhig weiter zu atmen. Es tat weh, doch es musste sein.

„Sie war wirklich nur eine Mandantin, zumindest zuerst. Doch als sie mehr wollte, dachte ich, wenn ich darauf eingehe...!", Leo stoppte und ich bemerkte, wie er seine Hände zu Fäusten ballte. „Ich dachte wenn ich darauf eingehe würde ich dich vergessen können."

Ich räusperte mich weil mein Hals unangenehm kitzelte.

„Das hat aber, wie du weißt, nicht funktioniert. Ich war ein Arsch zu dir weil ich einfach mit dem Druck nicht klar gekommen bin. Ich weiß, du hast keinen Grund mir zu verzeihen, ich bitte dich nur darum es trotzdem zu versuchen.", als seine blauen Augen endlich aufblickten und mich ansahen war ich nichts als Wachs in seinen Händen. Ohne ein Wort nickte ich leicht. Er hatte Mist gebaut, großen Mist sogar, aber er hatte mir auch so sehr geholfen. Er hatte dafür gesorgte, dass Sam und Brian Miller ihre gerechte Strafe erhielten. Brian Miller, der Mann, der meine geliebte Embassy beinahe umgebracht hätte! Und er war die ganze Zeit da gewesen, als ich im Krankenhaus gewesen war. Er hatte dafür gesorgt, dass Sam eingesperrt wurde und für mich gekämpft. Er hatte wirklich alles dafür getan, seine Fehler wieder gut zu machen. Schweigend schlang ich meine Arme um seinen Bauch und drückte mich an ihn. Als ich seine Arme spürte, die sich fest um mich schlossen und seinen Atem direkt an meinem Nacken spürte, weil er sein Gesicht in meinen Haaren vergrub und seinen Duft tief einatmete, fühlte es sich alles richtig an. Er war mein Gegenstück, mein sturer, bockiger Seelenverwandter! Und als ich seine Finger vorsichtig an meinem Kinn spürte und er meinen Kopf anhob, sodass ich in seine Augen, die ihr Leuchten wieder gefunden hatten, blickte und er schließlich seine Lippen so vorsichtig auf meine legte wusste ich, dass ich wenn es sein musste, wegen ihm hier in England bleiben würde!

***

Träumen darf man, diesen Satz hatte mein Vater immer zu mir gesagt, als ich noch klein war und von einer Karriere als Springreiterin träumte. Jetzt war mein Vater zwar nicht mehr da, doch seit wenigen Wochen wagte ich es wieder zu träumen. Die Heilung meines Beines verlief gut. Zumindest sagten das die Ärzte. Auch Embassys Arzt war zufrieden mit der Entwicklung ihrer Verletzung. Inzwischen war ich sogar soweit, dass ich auf die Witze die Leo, Josh und Luke über mich machten, einging. Sie lachten über mich und meine Stute, weil wir, wie sie sagten, beide Krüppel waren. Ja, so war es auch. Embassy und ich waren beide lahm und kurierten uns gemeinsam aus. Inzwischen durfte Embassy fünfzehn Minuten im Schritt gehen. Da ich noch nicht so flott unterwegs war setzte ich mich auf ihren blanken Rücken und ritt mir ihr den geteerten Weg zum Wald entlang und wieder zurück. Diese fünfzehn Minuten am Tag gehörten eindeutig zu meinem Höhepunkt des Tages. Ich genoss die Ruhe, die ich in dieser kurzen Zeit nur mit Embassy teilte. Der zweite Höhepunkt waren die Abende, die ich mit Leo verbrachte. Für lustige Schwimmabenteuer am Strand oder einen Spaziergang durch die Mall war ich leider nicht in der Lage, doch mit Kino und Leo's eigens entworfenes und nicht jugendfreies Sportprogramm, wie er es nannte, waren die Abende wunderschön. Zu Lukes Leidwesen wurde er an den sogenannten Sporttagen, aus der Hütte geworfen. Josh war meistens sowieso nur noch zum Duschen in der Hütte, die restliche Zeit des Tages verbrachte er im Stall und die Nächte bei Danielle im Haupthaus. Luke arrangierte sich mit der Situation ziemlich schnell. Er machte jetzt öfters nachmittags eine Pause und schlief eine Weile auf dem Sofa. Während Leo und ich die Hütte abends in Beschlag nahmen hatte er noch die Verkaufspferde zu bewegen. Doch was ich in meiner rosa Seifenblase gerne vergaß war, dass Voyeur noch immer nicht zurück war und dass ich keine Ahnung hatte wo er war und wie es ihm ging. Dieser verrückte und eigensinnige Hengst fehlte mir unheimlich. Noch weiter als den Gedanken an Voyeur schob ich den Gedanken an meine Abreise weg. Embassy ging es gut, in wenigen Tagen würde unser Flug gehen und mich und Embassy weit weg von Josh, Danielle, Luke, Voyeur und Leo bringen. Wenn ich daran dachte begann mein Herz zu rasen, doch nicht vor Vorfreude, wie es das eigentlich tun sollte sondern aus Angst. Ich würde es nicht überleben wenn es mit Leo so ablaufen würde wie beim letzten Mal. Das wäre mein Untergang, soviel war sicher!


Parcours des LebensWhere stories live. Discover now