Kapitel 6 - What are our chances?

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„Geben Sie sie mir!", forderte ich einen der Helfer auf, der an Embassys Strick hing und versuchte, die nervöse Stute zu halten.

„Bleiben Sie weg!", warnte er mich.

„Himmel, geben Sie mir mein Pferd!", widersprach ich und trat wieder einen Schritt näher. Es war ja nett von ihm, dass er mich in Sicherheit wissen wollte, doch kannte er Embassy nicht, ich dagegen schon und noch wichtiger: Embassy kannte mich!

„Ich schwöre Ihnen, wenn Sie mir nicht sofort meine Stute geben, können Sie was erleben!", drohte ich dem Wichtigtuer, der mit vollem Körpereinsatz am Strick des Schimmels hing. Er warf mir einen unsicheren Blick zu, den ich mit einem strengen Nicken quittierte. Endlich kam der Mann zur Vernunft und übergab mir Embassy. Sobald der Mann sich ein paar Meter entfernt hatte beruhigte die Stute sich etwas. Zumindest stieg sie nicht mehr hoch. Ihren edlen Kopf hatte sie hoch erhoben, die Nüstern gebläht. Sie schnaubte unruhig und musterte ihre Umgebung.

„Schon gut Mädchen, beruhig dich!", murmelte ich und ging zu ihr um ihr sanft über den muskulösen Hals zu streichen. Erst als sie ihre Aufmerksamkeit auf mich richtete, führte ich sie in das Stallzelt hinein. Auch wenn die Stute ein abgeklärter Profi im Parcours war, fremden Menschen gegenüber war sie noch immer misstrauisch und verfiel schnell in alte Muster. Als sie schließlich in ihrer Box stand, war sie wieder die Ruhe selbst. Ich befestigte mit Hilfe von Danielle das Schild auf welchem stand, dass Fremde ihr nicht zu nahe kommen durften. Ich hatte keine Lust für ein Stallzelt zu bezahlen, welches mein Pferd wegen einer Panikattacke zerstört hatte.

„Wow, das war... wow!", stöhnte Danielle und strich über Embassys Stirn.

„Ich weiß nicht wie oft ich diesen Trotteln noch sagen muss, dass sie die Finger von ihr lassen sollen!", regte ich mich schon wieder auf.

„Bleib cool, das bringt doch jetzt nichts!", meinte Danielle während sie unseren Reiseschrank ordentlich einräumte.

„Wo ist eigentlich dein Vater?", fragte ich die Braunhaarige und schaute mich suchend um. Über die Hälfte der Boxen im Stallzelt waren noch leer, die meisten der Teilnehmer würden erst morgen anreisen. Ich erkannte Samuel Miller, den ich in Aachen knapp geschlagen hatte. Sein Brauner Wallach wieherte laut und schien sehr aufgeregt zu sein. Samuels Gesicht war zu einer genervten Grimasse verzogen. Erst als er an seinen Braunen herantrat entspannten sich Pferd und Reiter. Ich sah sofort, dass diese beiden eine tiefe Freundschaft verband. Als er mich entdeckte grinste er und kam auf uns zu.

„Hallo Roxanne!", grüßte er freundlich und reichte mir die Hand.

„Nenn mich Roxy!", sagte ich lächelnd.

„Und ich bin Sam. Hattet ihr eine angenehme Anreise?", fragte er und schaute zu Embassy, die Danielle um eine Nascherei anbettelte.

„Natürlich. Dein Brauner wirkt etwas nervös?"

„Ja, das ist er immer, wenn er irgendwo neu ist.", erklärte er schulterzuckend. Ich betrachtete sein braunes Haar, es war verwuschelt und stand in alle Himmelsrichtungen ab. Seine braunen Augen glitzerten belustigt als er beobachtete, wie Danielle meiner Stute eine Karotte gab. Er trug eine Jeans und ein einfaches, schwarzes Poloshirt.

„Mädchen, wir sollten im Hotel einchecken!", Richards laute Stimme ertönte plötzlich und ließ einige der Pferde aufhorchen.

„Wir sind hier gleich fertig!", antwortete Danielle während sie Embassy noch eine Ladung Heu in die Box schmiss.

„Hallo Mr. Hollingworth, schön Sie hier zu sehen!", sagte Sam und schüttelte dem Älteren die Hand.

„Hallo Samuel! Starke Konkurrenz hier, was?", fragte Richard und zwinkerte mir belustigt zu. Ich lächelte schwach.

„Klar, aber dieses Mal werde ich Roxy nicht so einfach gewinnen lassen.", sagte er grinsend.

„Na das werden wir sehen.", Richard legte einen Arm um seine Tochter und nickte Sam noch einmal zu. „Gute Nacht!"

„Wir sehen uns morgen auf dem Abreitplatz!", sagte ich schnell ehe ich Richard und Danielle aus dem Stall folgte. Sam winkte mir hinterher und ging wieder zu seinem Pferd zurück, welches inzwischen unruhig mit den Hufen scharrte.

***

Die Atmosphäre war aufgeheizt. Hier ging es um etwas. Das hier war das, was jeder Springreiter sich wünschte. Das hier, konnte meine Zukunft sein. Das war die Chance. Meine Chance. Hier waren nur die Besten der Besten, die Creme de la Creme, sozusagen. Das Gelände war riesig. Genutzt wurden nur ein Sandplatz, auf dem wir Reiter unsere Pferde vorbereiteten, und der große Rasenplatz, auf dem der Parcours aufgebaut war. Zuschauer gab es kaum welche, lediglich Freunde und Familien der Reiter, Richter, Mitarbeiter und die Presse waren anwesend. Embassy trabte unter mir mit schwungvollen, federnden Tritten über den Sandplatz. Sie wölbte ihren Hals, arbeitete mit der Hinterhand fleißig mit und zog wie immer sämtliche Blicke auf sich. Wenn diese Maschine unter mit erst einmal los legte, gab es kaum jemanden der sie nicht beachtete. Richard, der am Rand des Platzes stand, winkte mich zu sich her. Ich parierte meine Stute durch und sah auf den Mann herab, der stolz den Hals von Embassy klopfte.

„Bisher gibt es nur drei fehlerfreie Ritte!", sagte er und zwinkerte mir zu. Ich nickte entschlossen und ritt, von Richard begleitet, den geteerten Weg zum Parcours entlang. Als mein Vorreiter das letzte Hindernis überwunden hatte galoppierte ich Embassy an und konzentrierte mich auf die Reihenfolge der Hindernisse, die Distanzen und mein Pferd. Das Spiel der Muskeln, wenn Embassy galoppierte, ihre Atmung, das gleichmäßige Aufschlagen der Hufe auf dem Rasen. Alles war gut. Die Startglocke ertönte und ich visierte den ersten Sprung an. Eins, zwei, drei, Sprung. Embassy landete sicher, die Ohren auf mich gerichtet. In einer relativ einfach zu reitenden Wendung ging es auf den zweiten Sprung zu. Embassy zog an und überwand das Hindernis fehlerfrei. Auch die Mauer, die dreifache Kombination, eine knifflige Distanz und den Wassergraben brachten wir ohne einen Fehler hinter uns. Als wir die Ziellinie überquerten konnte ich mir ein lautes Auflachen nicht verkneifen. Wir waren in der nächsten Runde! Ich lobte Embassy ausgiebig. Wie immer buckelte sie, ich griff in ihre Mähne um nicht abzustürzen und wusste, dass sie sich mit mir freute.

Das erste Qualifikationsspringen hatten wir somit erfolgreich hinter uns gebracht. Wie sich bei einem Gespräch mit Rick Cromwell herausgestellt hatte, hatte ich gegenüber den anderen Reitern einen kleinen Vorteil. Da ich den Großen Preis in Aachen gewonnen hatte, musste ich nur an zwei der insgesamt drei Qualifikationen teilnehmen. Im ersten Springen wurden wir zweite, direkt hinter Sam, der das Springen ein Zehntel schneller als Embassy und ich gemeistert hatte. Jetzt müsste ich nur noch im nächsten Springen unter den ersten vier sein und ich wäre in der englischen Nationalmannschaft.



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