Kapitel 12 - Voyeur

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„Was ist mit dem Hengst? Warum ist er so aggressiv?", fragte ich Danielle wenig später. Es war schon lange dunkel geworden. Wir saßen in unserer Hütte auf dem Sofa und nippten an unserem Tee. Im Kamin knisterte ein Feuer und ließ mich fühlen, als wäre es Oktober und nicht August.

„Er war schon so, als er zu uns kam."

„Wem gehört er?"

„Dad. Aber keiner kann ihn reiten. Er ist wirklich der Teufel persönlich!", sagte Danielle.

„Wieso hat dein Vater ihn dann gekauft?", ich war wirklich verwirrt. Ein solches Pferd kaufte doch kein Mensch freiwillig. Die meisten Menschen würden so ein Pferd nicht einmal geschenkt annehmen.

„Er hat eine unglaublich gute Abstammung. Dad dachte, er würde mit ihm klar kommen, sodass er ihn für die Zucht einsetzen könnte. Aber uns wurde schnell klar, dass wir bei ihm keine Chance haben. Er ist aggressiv und bösartig."

„Ist ihm etwas passiert? Er ist doch nicht grundlos so, oder?", fragte ich mehr als verwirrt.

„Nein, ihm ist nie etwas zugestoßen. Er wurde die geschlagen und hatte keinen Unfall oder so. Zumindest ist uns nichts bekannt. Aber du weißt ja, wie das heutzutage mit dem Pferdehandel ist. Die verkaufen dir einen Koppelunfall aus Rumänien als Gribaldi-Sohn. Dad sagt, er hat rausgefunden, dass er stärker ist als wir Menschen. Und jetzt kommt man kaum an ihn ran."

„Wieso behaltet ihr ihn dann?"

„Es wundert mich, dass du mich das fragst, Roxy. Wer möchte denn ein solches Pferd kaufen?"

„Du hast Recht, niemand.", beantwortete ich die unausgesprochene Frage nachdenklich.

„Siehst du... Er würde getötet werden, denn das passiert mit Pferden wie ihm."

Das sah Richard überhaupt nicht ähnlich. Er war natürlich ein Pferdeliebhaber, doch noch mehr war er Geschäftsmann. Der Hengst verursachte nur Kosten, die Richard zu tragen hatte. Es wunderte mich, dass er ihn nicht hergab.

„Erzähl mir von ihm. Wie alt ist er?"

„Voyeur ist sechs Jahre alt, hat, soviel wir wissen, eine gute Ausbildung erhalten. Er ging schon einige Springpferdeprüfungen und das mit Erfolg. Er war immer hoch platziert. Doch dann, anscheinend muss es ziemlich schnell gegangen sein, war er beinahe unreitbar. Er schmiss jeden noch so guten Reiter herunter, ging teilweise sogar auf den am Boden liegenden Reiter los. Er beißt und tritt. Er weiß einfach genau, wie viel Kraft er hat!"

Ich staunte nicht schlecht. Wenn Pferde sich ihrer Kraft bewusst waren, hatten wir Menschen kaum eine Chance. Durch diesen Rappen wurde mir wieder einmal bewusst, wie wunderbar diese Tiere doch waren. Wenn man erst mal ihr Vertrauen hat, sind sie wirklich die besten Freunde. Niemals würden sie lügen oder dich hintergehen. Es war unglaublich, dass diese Tiere uns auf ihren Rücken duldeten. Doch nicht jeder hatte das Glück eine solch enge Verbindung zu einem Pferd zu haben. Voyeur war der lebende Beweis. Wir schwiegen, beobachteten die Flammen die um das Holz im Kamin herum züngelten.

„Du... Roxy...!", begann Danielle plötzlich und ich hob meinen Blick um sie ansehen zu können. „Wegen neulich... was ich da über Leo und dich gesagt habe... das tut mir leid."

Ich schluckte. Sie konnte ja nicht ahnen, was er mir an diesem einen Abend im Stall an den Kopf geworfen hatte. Danielles Worte, die mich zuerst so sehr getroffen hatten, wirkten plötzlich niedlich im Gegensatz zu den Worten, die Leo gesagt hatte.

„Schon gut. Ist vergessen!", antwortete ich und grinste sie an. Sie wirkte erleichtert und erwiderte mein Lächeln.

***

Parcours des LebensWhere stories live. Discover now