2. Besuch

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Montag, 17:59 Uhr, IMINT, Innerplanetarüberwachung (IPÜ), Hagangre

Danh Sherman hasste Montage.

Sein Kater brachte ihn um. Der pulsierende Schmerz in seinem Schädel fühlte sich an, als ob ein kleines Männchen mit einem Klöppel pausenlos dagegen schlagen würde. Erschöpft stützte er sein Gesicht in seine Hände. Die Erinnerungen an gestern Nacht waren bruchstückhaft. Zwar kehrten im Laufe des Tages immer mehr Fetzen in sein Gedächtnis zurück, aber er konnte sie in keine chronologische Abfolge bringen. Er sah, wie er einen eimergroßen Trinkpokal stemmte und die schaumige Flüssigkeit in seinen Rachen stürzte; wie sein Kumpel John mit verbundenen Augen versuchte, eine Piñata mit einem Baseballschläger zu treffen, aber stattdessen eine Deckenlampe in Scherben schlug, was die Runde mit lautem Johlen begleitete; diese scharfe Blondine mit den ungewöhnlich grünen Augen... Er war sich einigermaßen sicher, ihre Nummer irgendwo notiert und eingesteckt zu haben, aber seine Jacke war seit dem Morgengrauen unauffindbar. Danh nahm das Röhrchen mit den Kopfschmerztabletten von seinem Pult und spülte eine davon mit großen Schlucken aus seiner Wasserflasche herunter. Das war schon die zweite heute. Stöhnend lehnte er sich zurück, legte die Beine über Kreuz auf den Monitor vor sich, und wartete darauf, dass die Wirkung einsetzte und das Männchen mit dem Hammer verschwand.

Wenigstens feierst du nicht jedes Wochenende deinen Junggesellenabschied, dachte er beruhigt.

»Kannst du bitte leiser stöhnen?«, sagte Sigurd Earl, ohne von ihrem Pult aufzusehen. Die Stimme hallte in Danhs Kopf wider und verstärkte die Schmerzen.

Für eine schlagfertige Antwort war Danh zu müde, also schwieg er. Sigurd soll sich nicht so aufspielen. Auch wenn er seine Kollegin nicht sah, da sie am Platz direkt hinter ihm saß, war er sich sicher, dass sie wieder eines ihrer Sudoku-Puzzles löste, anstatt den ihr zugewiesenen Quadranten zu beobachten. Nun ja, ihm sollte es Recht sein. Auch er hatte in seinem Zustand keine Lust zu arbeiten. Außer ihnen beiden befand sich gegenwärtig niemand in der Satellitenüberwachung, sodass der Raum abgesehen vom leisen Rauschen der Computerlüfter angenehm ruhig war.

Danh zückte sein Handy, um auf die Uhr zu sehen. Noch eine Viertelstunde, dann war seine Schicht rum. Zufrieden wiegte er das glänzende Gerät in seiner Hand. Es war erst sechs Monate alt - ein unerhörter Luxus.

Üblicherweise behielten Einwohner von SQ ihre Werkzeuge, technischen Geräte, Möbel usw., bis diese irreparabel beschädigt waren. Nachhaltigkeit zählte gewissermaßen zum guten Ton, was auf die Geburt des Staates zurückging. Als die Raumschiffcrews vor über zwei Jahrhunderten in diesem Sternsystem strandeten und unfreiwillig zu Siedlern des einzigen lebensfähigen Planeten wurden, verloren sie auch den Kontakt zu ihrer Heimatwelt. Das gesammelte Wissen der Menschheit, über Jahrtausende vermehrt und an nachfolgende Generationen weitergegeben, wurde reduziert auf die Kopien der Enzyklopädie im Bordcomputer der Schiffe. Von den unzähligen Kunstwerken der Geschichte, den Erzählungen, Musikstücken, Filmen, Videospielen, blieb nur jene im direkten Vergleich stecknadelgroße Sammlung, die die Besatzung zur persönlichen Unterhaltung mitgeführt hatte. So begann der Aufbau einer Zivilisation, die in der Enzyklopädie zwar fantastische technische Maschinen vorfand, aber Monate, wenn nicht gar Jahre benötigte, sie anhand der sehr allgemein gehaltenen Beschreibungen nachzubauen. Mit den Jahren verblassten auch die Erinnerung der Kolonisten an die Musikstücke, deren Chartplatzierungen der letzten Jahrzehnte zwar akribisch im Nachschlagewerk verzeichnet waren, ohne abereine einzige Aufzeichnung davon anzubieten.

Dieser einmalige Verlust lehrte die Menschen, sorgsam mit den Dingen und Daten umzugehen, die sie im Laufe ihres Lebens nutzten oder gar schufen. ›Löschen‹ kam einer Beleidigung gleich, die selbst der schlechteste Roman nicht verdient hatte, und stattdessen von seinen Kritikern als ›was für's Archiv‹ bezeichnet wurde. Die Heime der Bewohner SQs waren vollgestopft mit allerlei Gerätschaften, Datenwürfeln, Möbeln, Kleidern, Nippes; für den Fall, dass man etwas davon im späteren Leben noch einmal benötigte. Diese Einstellung hatte ihre Schattenseiten. Zwar hielten manche der Produkte mehrere Jahrzehnte, nachdem sie die Fabrikhalle verlassen hatten, und die Stadt kam mit einer einzigen, fußballfeldgroßen Mülldeponie aus. Das Horten von Altgeräten und der Fokus der Forschung auf die Wiederherstellung des in der Enzyklopädie festgehaltenen technischen Standes verhinderten jedoch nahezu vollständig den wissenschaftlichen Fortschritt. Die wirklich neuartigen Erfindungen des letzten Jahrhunderts ließen sich an zwei Händen abzählen.

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