7. Der doppelte Mann (2/2)

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Dienstag, 09:14 Uhr, Archiv, Verteidigungsministerium, Hagangre

Sie quetschten sich mehr schlecht als recht zu dritt in den kleinen Raum. Blix musste den Bauch einziehen, damit er überhaupt hineinpasste.

Evelyn vergewisserte sich, dass die Tür fest verschlossen war, dann begann sie ihre Ausführungen mit einer Frage an den Detektiv: »Was, glauben Sie, sind unsere stärksten Gedanken?«

»Gefühle vielleicht?«

»Nah dran! Aber die Antwort lautet: Bewegung. Und zwar freiwillige, geplante Bewegungen, anders also als Reflexe. Wenn Sie etwa Ihre Hand heben oder Ihre Stimmbänder benutzen, sendet Ihr Gehirn einen vergleichsweise starken neuronalen Impuls zu Ihren Muskeln.«

»Ach ja, der Motorcortex, richtig?« Blix kramte längst verdrängtes Wissen hervor.

»Genau«, nickte sie anerkennend, »das ist der Teil des Gehirns, der dafür verantwortlich ist. Dieser Impuls sondert elektromagnetische Strahlung nach außen ab. Schwach, aber messbar. Was Sie vermutlich nicht wissen: Diese Strahlung hinterlässt in der Umgebung Spuren.«

»Moment! Du willst sagen, dass Strahlung quasi in der Luft hängen bleibt?«

»Nicht in der Luft«, meldete sich Jerry zu Wort. »Dann würde sie sich verflüchtigen. Ich habe die Hypothese, dass sich die Strahlung in den Resten des Hyperraums manifestiert.«

»Wie auch immer«, fuhr Evelyn fort, bevor Jerry einen Monolog halten konnte. »Jede Bewegung und jedes Wort eines jeden Menschen wird gewissermaßen auf ewig festgehalten. Und wir sind mit der Gabe beschenkt worden, diese Spuren der Vergangenheit in uns aufzunehmen und nachzuspielen. Unser Gehirn sendet – so vermuten wir – dann dieselben Impulse an unsere Muskeln wie einst die Personen, die wir verkörpern.«

»Du willst mich auf den Arm nehmen.«

»Keineswegs.« Sie seufzte. »Sie können uns glauben, dass wir total erstaunt waren, als es vor vier Jahren damit anfing. Aber wir sind uns sicher... besser gesagt, Jerry ist sich sicher, dass es dafür eine wissenschaftliche Erklärung gibt. Ich persönlich halte es einfach für Magie.«

»Auch die Magie der Festlandbewohner lässt sich gewiss auf Naturgesetze zurückführen«, sagte Jerry. »Wir wissen nur noch nicht, welche. Drittes Clarkesches Gesetz: ›Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.‹«

Blix verspürte den Wunsch sich zu setzen, um das eben gehörte besser verdauen zu können, doch das erlaubten die Umstände nicht. Als Kompromiss lehnte er sich an die Tür.

»Einmal angenommen, das stimmt alles, was ihr mir da erzählt. Wie findet ihr dann diese Spuren? Das müssen doch selbst bei einer Einzelperson hunderte sein, wenn jede Bewegung eine solche Strahlung verursacht!«

»Millionen«, korrigierte ihn Evelyn. »Dazu nutzen wir die Gefühle, die Sie vorhin angesprochen haben. Wenn wir die Augen schließen (sie demonstrierte es) sehen wir vergangene Gefühle als bunte Formen im Raum. Vorausgesetzt, es waren besonders starke Gefühle, wie etwa Hass, Trauer, oder... Liebe.« Für einen kurzen Augenblick saß sie wieder im Café von gestern Abend.

»Wir nennen diese Gefühle Anker«, ergänzte Jerry. »Wenn wir eine Spur nachspielen, und bei der entsprechenden Person ließ das Gefühl nach, dann verlieren wir meistens auch die Verbindung. Außerdem können wir anhand der Farbe und Form das Alter der Spuren einschätzen.«

»Es ist am einfachsten, wenn wir es Ihnen zeigen. Aber dazu bräuchten wir etwas mehr Platz.«

Nachdem sie festgestellt hatten, dass sich niemand auf dem Flur aufhielt, schickten sie Blix nach draußen und begannen ihr Ritual. Dieser Raum war gut besucht, sodass sie sich zunächst durch die Fülle von unbrauchbaren Ankern arbeiten mussten, indem sie die ersten Sekunden der jeweiligen Bewegungsabfolge anspielten.

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