4. Der Zauberer

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Montag, 18:07 Uhr, IMINT, Innerplanetarüberwachung (IPÜ), Hagangre

Die automatische Tür glitt auf. Johanna Oakley stürmte so schnell in den Kontrollraum der Satellitenaufklärung, dass ihr schulterlanges, gelocktes Haar Lufttänze vollführte.

»Wie viele?«, fragte sie und tippte parallel in ein Terminal.

Danh, der sich eben noch aufgeregt gestikulierend mit Sigurd unterhalten hatte, ließ alle Bilder der Überwachungskameras von Farminsel Alpha auf dem großen Bildschirm erscheinen. »Wir sehen bisher nur eine Person - hier«: er trat vor und zeigte mit seinem Stift auf eines der Bilder. Es zeigte ein Silo, in dem geerntetes Getreide trocknete und auf den Weitertransport wartete. Man konnte eine Gestalt in einem Regenmantel erkennen, die Kapuze tief über den Kopf gezogen, sodass das Gesicht nicht zu erkennen war. Sie drosch mit einem dicken Ast auf die Ähren am Boden ein. Immer nach etwa einem halben Dutzend Schlägen hielt sie inne und stopfte die freigelegten Körner in eine Umhängetasche.

»Es gibt einige tote Winkel auf der Insel«, warf Sigurd ein, die mit dem Rücken an ihrem Pult lehnte. »Es ist aber auch möglich, dass es die Person ganz allein hierher geschafft hat.«

Danh drehte sich zu ihr um. »Ein Boot dieser Größe allein segeln? Die ganzen 3000 Meilen?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich sage ja nur, dass wir es nicht ausschließen können.«

»Wir werden kein Risiko eingehen«, sagte Johanna Oakley scharf. Dann sah sie zur Wand auf, wo nun das Gesicht von General Fowādo erschien.

Er trug wie immer seine indigofarbene Uniform. Johanna hatte ihn noch nie ohne gesehen. Selbst zu privaten Festen erschien der großgewachsene Mann mit den buschigen Augenbrauen in voller militärischer Montur. Und stets glänzten die vier goldenen Abzeichen an seiner Brust wie frisch poliert.

»Gut, dass ich Sie erreichen konnte, General.«

»Ich bin jederzeit bereit, Miss Oakley. Gibt es ein Problem?«

»Wir haben Grenzgänger. Farminsel Alpha.« Mit einem Fingerzeig wies sie Danh an, die Livebilder an Fowādo weiterzuleiten.

»Kamera 9 zeigt eine nicht identifizierte Person, Kameras 3 und 2 das Schiff, mit dem sie vermutlich hergekommen sind. Keine weiteren Personen sichtbar.«

»Sind Zivilisten anwesend?«

»Nein, nur Roboter. Der Hausmeister der Insel ist hier in Hagangre.«

»Gut.« Die Stimme des Generals war vollkommen ruhig. »Wir machen das wie trainiert. Ich schicke eine Einheit rüber.«

Johanna Oakley musste schlucken. »Aber Sie... Sie lassen sie doch am Leben, oder?«

»Wie trainiert«, wiederholte Fowādo. »Aufklärung und Extraktion. Sie können den Einsatz mitverfolgen, ETA der Einheit ist 9 Minuten.« Er trennte die Verbindung.

Überwältigt von den Ereignissen setzte sich Johanna auf einen freien Stuhl. Eine solche Ausnahmesituation hatte sie in ihren zehn Jahren als Leiterin der IPÜ noch nie erlebt. Sicher, sie trainierten im Vierteljahresturnus den Fall einer Grenzverletzung (sofern man eine Grenze überhaupt verletzen kann, die man nicht kennt). Es gab einen Plan für jede erdenkliche Situation und speziell ausgebildete Teams als eine Art Feuerwehr in ständiger Bereitschaft. Aber wie gut war eine Feuerwehr, die seit ihrer Gründung vor über 100 Jahren noch nie einen echten Brand löschen musste?

Montag, 18:18 Uhr, Farminsel Alpha

Die rohen Haferkörner waren sehr hart, aber darauf nahm Lesaja keine Rücksicht und spülte sie unzerkaut mit Wasser hinunter. Vor zwei Tagen hatte ein Sturm sein letztes Fass mit Trockenfleisch von Bord gerissen. Noch ein wenig länger, und das Schiff hätte einen ganz anderen Kurs genommen - hinab in das Totenreich.

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