12. Der Cowboy

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Dienstag, 14:37 Uhr, Final Meadows Ranch, Hagangre

Carlos Wayne, genannt ›Cowboy‹, traute seinen Augen nicht, als er mit dem Traktor die Hügelkuppe erreichte. Mitten auf dem Feldweg hatte irgendein Spinner seinen roten Sportwagen geparkt.

»Verdammte Städter«, presste Wayne zwischen den Zähnen hervor und brachte die hustende Maschine zum Stehen. Er konnte diese Leute auf den Tod nicht ausstehen, was nicht viel hieß, da ganz Hagangre im Grunde eine einzige, riesige Stadt war und er somit selbst dazu zählte. Aber in der Fantasie von Carlos Wayne gehörte das weitläufige Grundstück mit seinem Abstand von zwei Kilometern zu den nächsten Wolkenkratzern zu einer eingeschworenen Gemeinschaft, die er als ›Landbevölkerung‹ verstanden haben wollte. Hier, so seine Vorstellung, kannte jeder jeden, und griff sich gegenseitig unter die Arme. Tatsächlich kannten alle nur ihn und nicht umgekehrt, was nicht verwunderte, da sich sein ruppiger Charakter und seine Erscheinung in der Cowboykluft, die er tagaus, tagein trug, schnell in der Nachbarschaft herumgesprochen hatte.

Unweit des Wagens konnte er eine Gestalt ausmachen, die von ihm abgewandt seine Pferde beobachtete. Wayne wollte nach seiner selbstgebauten Armbrust greifen, bis ihm wieder einfiel, dass er das verfluchte Ding seit gestern nicht mehr auffinden konnte. Nun gut, dann würde er den Fremden eben von seinem Grund und Boden vertreiben, ohne mit einem Stahlbolzen zwischen dessen Augen zu zielen.

»Hey, Sie!«, brüllte er und ging mit großen Schritten auf den Unbekannten zu, von dem bisher nur die riesige Afro-Frisur zu sehen war. Dieser drehte sich erschrocken um. »Ja, Sie meine ich, Mister! Das ist Privatbesitz, Sie haben hier nichts verloren!«

»Carlos Wayne?«, fragte der Mann, der mit dunkler Sonnenbrille und Nadelstreifenanzug nicht besonders vertrauenerweckend wirkte.

Wayne blieb stehen und hielt Abstand. Wenn das wieder ein Eintreiber für die Rundfunkgebühren war, konnte er was erleben. »Ja?«

Der bullige Fremde trat näher, wobei er die rechte Hand ausgestreckt hielt. »Pius Lamont. Ihre Frau sagte mir, dass ich Sie hier draußen finde.«

»Ein bedauerliches Versehen«, gab Wayne kalt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, anstatt einzuschlagen. »Was wollen Sie?«

Der Fremde kratzte sich am Hinterkopf. »Wie erkläre ich das am besten... Mir hat letzte Woche ein Selbstfahrer mit seinem Seitenspiegel den Lack zerkratzt. Anschließend hat er Fahrerflucht begangen.«

»Wie furchtbar. Und was hat das mit mir zu tun?«

»Das kann ich Ihnen sagen«, sagte der Fremde, der durch die feindliche Einstellung Waynes allmählich gereizt wurde. »Der Typ hatte hinten an seinem Auto einen Aufkleber, so eine goldene Plakette, und da stand ›Final Meadows Ranch‹ drauf. Daher wollte ich fragen, ob Sie wissen, wer alles so eine Marke hat. – Vielleicht könnte ich auch einen Blick in Ihr Kundenregister werfen...«, fügte er vorsichtig hinzu.

»Kunden? Ich habe keine Kunden.«

»Die Pferde?«, half der Fremde nach und deutete in Richtung der Koppel.

»Die sind nicht zum Verkauf«, blaffte Wayne. »Wissen Sie überhaupt, was das für Tiere sind?«

Der andere schüttelte eingeschüchtert den Kopf. Wayne trat näher an den Zaun heran, stieß mit den Fingern einen gellenden Pfiff aus und gab einige unverständliche Laute von sich. Daraufhin trennte sich eines der Pferde von der Herde und trabte an die Menschen heran. Aus der Nähe erkannte der Fremde, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Tier handelte. Der Hals war so sehr verkürzt, dass er kaum vorhanden schien. Auch wirkte es ausgesprochen drahtig, da der Bauch keine Wölbung aufzeigte. Was ihm an Fett fehlte, machte es durch Muskelmasse an den Beinen wett.

MimesisWhere stories live. Discover now