10. Das zweite Verhör

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Dienstag, 10:36 Uhr, Verhörraum 3, Polizeipräsidium, Hagangre

Johanna hatte sich, zusammen mit der überwiegenden Zahl der Mitarbeiter aus der IPÜ, die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, um mehr über den Zauberer Lesaja herauszufinden. Dies in Verbindung mit dem Alptraum heute Morgen trug nicht gerade zu ihrer Aufmerksamkeit bei, und sie ertappte sich mehrmals während des Verhörs, ungeniert zu gähnen. Ihr fiel nicht eine der ach so tollen Verhörtechniken ein, die sie in den Schulungen gelernt hatte. Also versuchte sie das, was sie aus den Fernsehkrimis kannte: Mühlenartig wieder und wieder dieselben Fragen zu stellen. Leider fehlte ihr die passende Tischlampe, um ihm damit ins Gesicht zu leuchten.

»Wer sind Ihre Auftraggeber?«, fragte sie zum x-ten Mal.

»Ich bin mein eigener Herr«, antwortete Lesaja zum ebensovielten Mal, seelenruhig zurückgelehnt und die Arme verschränkt, so gut das eben mit Handschellen ging. Ja, es wirkte fast, als ob er die Situation genießen würde.

»Wer hat Ihnen von unserer Insel erzählt?«

»Der Wind.« Es machte ihm Spaß, sich jede Runde eine neue sarkastische Antwort zu überlegen.

InWahrheit kannte Johanna die Antwort und war froh, dass Lesaja stur blieb. Schließlichwar sie es selbst gewesen. Damals hatte Lesaja sie gefragt, warum sie nicht wiederkommen würde, und sie hatte ihm davon erzählt und damit die Grundregel der Agenten gebrochen. Gewiss, sie hatte ihm nicht gleich Längen- und Breitengrad genannt, aber immerhin die Himmelsrichtung. Und sie hatte ihm verraten, dass sie von einem anderen Planeten stammte, und dass ihre Zivilisation über fortschrittliche Technologie verfügte. Damals war er enttäuscht gewesen darüber, dass sie ihn mit diesen vermeintlichen Märchen abspeisen wollte, anstatt ihm den wahren Grund für ihren Fortgang zu sagen. Heute, nach Jahren der Recherche in den Bibliotheksruinen Mors' (und angesichts der Tatsache, den Aliens leibhaftig gegenüberzusitzen), tadelte er sich für sein früheres Misstrauen gegenüber Johanna.

Sie wiederum bereute zutiefst, ihm am Lagerfeuer diese Geschichten erzählt zu haben. Es sollte eine Art Vertrauensbeweis sein, und sie hatte ihm eingeschärft, dass er sie und ihr Volk in große Gefahr brächte, würde er irgendeiner anderen lebenden Seele davon berichten. Und nun saß er hier und erpresste SQ, und gewissermaßen auch sie selbst. Wenn herausbekäme, was sie getan hatte, würde sie wegen Staatsverrat lebenslänglich hinter Gitter wandern. Wenigstens schien sich Lesaja an die schriftliche Bitte zu halten, die ihm Johanna gestern heimlich auf ihrem Pad gezeigt hatte. Keine Silbe wies darauf hin, dass sie sich bereits vorher schon kannten. Er war dabei ein besserer Schauspieler als Johanna, welche befürchtete, ihn nicht grob genug zu behandeln. Vermutlich hatte Danh nach ihrer Aktion gestern bereits einen Verdacht geschöpft, den es um jeden Preis auszuräumen galt.

Nun gut, dann griff sie eben ein wenig Lesajas Stolz an. »Wir haben einiges über Sie herausgefunden«, begann sie, und blätterte durch die digitale Akte. »Sie haben eine Zauberschule aufgemacht. Die Wände der großen Städte sind voll von Ihren Plakaten.«

»Das ist richtig. Die ›Akademie Lesaja‹, wenn ich das in aller Bescheidenheit hinzufügen darf.«

»Ziemlich bescheiden sind auch Ihre Schülerzahlen. Sie haben... genau einen Schüler, korrekt?«

Er hüstelte verlegen. »Woher...? - Ja, aber ich rechne im nächsten Semester mit einem großen Ansturm.«

»Nur wird Direktor Lesaja nicht mehr in die Hallen zurückkehren«, bemerkte sie kalt. Verdammt, es tat ihr weh, ihn so zu behandeln. »Die zur Hälfte nicht einmal beheizt sind, wie ich lese. Da haben Sie sich finanziell ganz schön übernommen. War Ihre Reise hierher auch so eine fixe Idee?« Sie setzte ein spöttisches Lächeln auf. »Sie wissen das wahrscheinlich nicht, aber solche Projekte muss man planen. Sonst sitzt man vielleicht für den Rest seines Lebens in Gefangenschaft.«

Zorn wallte in ihm auf, und er war kurz davor, ihr einen Schluckauf anzusingen. Doch er besann sich eines Besseren, auch weil er in seiner fensterlosen Zelle keinen Blick auf den Himmel erhaschen konnte. Astromagie war eine gefährliche Kunst; eine Note unter dem falschen Stern, und man musste tagelang mit Fieber das Bett hüten.

Also fragte er stattdessen: »Haben Sie eigentlich kein Herz?«

»Ich verstehe die Frage nicht.«

»Auf dem Kontinent sterben Menschen wie Fliegen«, sagte er ruhig. »Männer, Frauen, Kinder. Ihnen scheint das ja völlig egal zu sein.«

»Unser Gesetz ist es, sich nicht in die Angelegenheiten des Kontinents einzumischen.«

»Dann kann mich das Gesetz mal am Allerwertesten!« Zur Bekräftigung trommelte er mit den Füßen. »Sie würden also etwa jemanden sehenden Auges verrecken lassen, der in einem brennenden Haus festsitzt?«

Lesajas Worte bohrten sich ihr mitten ins Herz. Es war reiner Zufall, dass er diesen Vergleich wählte, aber er rief ihr die Traumbilder wieder ins Gedächtnis. Mit nicht mehr ganz so fester Stimme sagte sie: »Das Gesetz wurde nach einem Fehler geschaffen, den wir vor langer Zeit begangen haben. Er hatte uns die schrecklichen Folgen unserer Einmischung vor Augen geführt.«

»Ach kommen Sie, welcher Fehler kann denn so schlimm sein, dass Sie eine so dämliche Vorschrift erlassen?«

»Kennen Sie Behemoth und Leviathan?«

»Der Schattendrache und der Seelindwurm, natürlich kenne ich die. Mors hat uns ja den Krieg nur deswegen erklärt, weil wir angeblich damals absichtlich mit der Verbannung der Bestien gewartet haben, da sie letztendlich ihr eigenes statt unser Land in Schutt und Asche legten.« Er schüttelte den Kopf. »Als wir was dafür können, was unsere Vorfahren vor über hundert Jahren vielleicht, vielleicht aber auch nicht angerichtet haben.«

»Nun...« Sie schluckte. »Wir haben sie erschaffen.«

»Oh.« Mehr fiel dem Zauberer in diesem Augenblick nicht ein.

»Die Technologie, die wir verwendeten, nennt sich genetische Anreicherung. Es ist zu schwierig, Ihnen das zu erklären, aber kurz gesagt, haben wir je einen Drachen und einen Lindwurm genommen und ihre innersten Bausteine neu zusammengesetzt. Mors war damals ein Verbündeter von uns, und wir wollten sie in einem Krieg aus selbstsüchtigen Motiven unterstützen.«

»Aber wie kann Mors davon heute selbst nichts mehr wissen?«, fragte Lesaja erstaunt.

»Wir haben großen Aufwand betrieben, ihre Kenntnis von uns zu zerstreuen. Als wir sahen, wie Mors die Bestien auf die Zivilbevölkerung Tauweilers losließ, schworen wir, nie wieder unsere Technologie in fremde Hände zu geben. Wir verboten außerdem die genetische Anreicherung, und zogen uns auf diese Insel zurück.«

Lesaja war sprachlos. Die Wesen aus dem All, welche er sich als heilsame Samariter vorgestellt hatte, entpuppten sich als Abkömmlinge von Teufeln.

»Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum wir Ihnen nicht helfen können«, fügte Johanna hinzu. »Unsere Waffen, unser Wissen darf nicht noch einmal in die Hände des Kontinents fallen. Sie sind dafür nicht bereit.«

»Vielleicht ist es aber auch Ihre Chance, vergangenes Unrecht wieder gut zu machen.«

Sie lachte trocken. »Sie denken immer noch, mich auf irgendeine Art überzeugen zu müssen, aber ich bin da der falsche Ansprechpartner. Ich habe strikte Befehle, auf keinen Ihrer Vorschläge einzugehen. Selbst wenn ich wollte, ich könnte Ihnen nicht helfen.«

»Nun«, sagte Lesaja ruhig, »vielleicht sollten Sie nicht das tun, was andere Ihnen sagen, sondern was das Richtige ist.«

Diese Worte sollten auf Johanna eine größere Wirkung haben, als sie selbst oder Lesaja zu diesem Zeitpunkt erahnen konnten. Vorerst versetzten sie Johanna nur in nachdenkliches Schweigen.

»Du solltest jetzt besser eine Pause machen«, schepperte da die Stimme Clinchers über die Lautsprecheranlage und riss sie aus ihrer Starre.




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