14. Das dritte Verhör

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Sonntag, 10:26 Uhr, Penthouse, Carlsgatan 73, Hagangre

Am Frühstückstisch der Familie Oakley herrschte eisiges Schweigen. Die Stille wurde nur vom gelegentlichen Klimpern eines Teelöffels und dem krachendem Geräusch unterbrochen, das entsteht, wenn man in ein frisch gebackenes Brötchen beißt. Jerry erschien das Ganze nicht geheuer, und er schaute unablässig von Evelyn zu Johanna und zurück, auf der Suche nach einer geheimen Zeichensprache, die ihm möglicherweise entging.

»Das ist doch irgendwie albern«, meinte Johanna endlich. »Ich habe dir gestern gesagt, dass es mir leid tut, und ich habe es heute Morgen wiederholt. Wie oft muss ich mich denn noch entschuldigen?«

»Du verstehst es einfach nicht, oder?«, gab Evelyn zurück. »Du bekommst von mir nur deine eigene Medizin zu schmecken. Du kommst seit Jahren nach Hause, verkriechst dich in deinem Zimmer und heulst, und erwartest dass wir das einfach so akzeptieren?«

»Du lauschst an meiner Tür?«, fragte Johanna vorwurfsvoll.

»Darum geht es doch nicht!« Mit einem schnellen Hieb köpfte sie ein Ei und schabte den Inhalt auf ihren Teller. »Sag einfach einmal was los ist. Dieser Job macht dich kaputt. Oder besser gesagt, das hat er schon längst.«

»Du weißt, dass ich nicht darüber reden darf.«

»Dann umschreib es halt. Es müssen ja keine Details sein. Ich will einfach nur wissen, warum du so bist!«

»Nein. Nein, du willst es ganz sicher nicht wissen. Nicht das.« Und als ob mit diesen kryptischen Worten alles gesagt sei, fuhr sie wieder mit dem Frühstück fort. Kopfschüttelnd tat es ihr Evelyn gleich.

»Hey!«, rief Jerry unvermittelt und sprang auf. Der Affe, der sich trotz Verbot im Wohnzimmer aufhielt, hatte sich Jerrys Frühstücksei geschnappt und kletterte mit der Beute über Schränke und Tische, bis er mit einem beherzten Sprung auf der Deckenlampe landete. Vergeblich versuchte Jerry, das Tier zu erfassen, indem er auf dem Sofa balancierte und dabei seine Hand nach dem Lampenschirm ausstreckte.

»Gib es wieder her!«, befahl er in strengem Ton. Das Äffchen gehorchte – allerdings war Jerry nicht aufs Fangen vorbereitet, und so machte das Ei unsanfte Bekanntschaft mit seinem Schädel. Die klebrige Flüssigkeit breitete sich über seine Frisur aus und rann seine Wange hinunter. Evelyn musste bei dem Anblick laut losprusten, und auch Johanna konnte nicht an sich halten. Selbst das Äffchen schien in das Lachen einzustimmen.

»Ich verstehe nicht, was daran lustig sein soll«, murmelte Jerry gekränkt. Das Malheur hatte wenigstens auch ein Gutes: Die gestrige Ohrfeige schien vorerst vom Tisch, die Eiszeit zwischen Evelyn und ihrer Mutter zu Ende. Evelyn konnte sich nicht erinnern, wann sie ihre Mutter das letzte Mal lachen gehört hatte.

»Wisst ihr, was wir schon lange nicht mehr gemacht haben?«, fragte Johanna in die fröhliche Stimmung hinein. »Einen gemeinsamen Familienausflug. Los, schlagt etwas vor.«

»Das Architekturmuseum«, sagte Jerry wie aus der Pistole geschossen, während er sich mit einem feuchten Küchenlappen notdürftig von dem Glibber befreite.

Evelyn stöhnte genervt auf. »Ich durfte dich allein dieses Jahr schon viermal in dieses blöde Museum begleiten.«

»Dann eine Wanderung zur Küste«, schlug Johanna vor. »Die Spätlilien stehen zu dieser Jahreszeit in voller Blüte und sollen einen atemberaubenden Anblick bieten.« – »Oh ja!« stimmte Jerry ein.

Aber auch dieses Ausflugsziel missfiel Evelyn. »Wie wäre es, wenn wir die Kirmes im japanischen Viertel besuchen? Die ist nur noch bis heute.«

»Einverstanden«, sagte Johanna, die ihrer Tochter heute nicht widersprechen wollte, und so war es beschlossene Sache.

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