Irgendwas ist immer

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Braunschweig, 19. September 2013

Ich sah Lukas kurz nach, wie er sich durch die Menschenmenge zurück in den Club drängelte und blieb noch eine Weile draußen an der frischen Luft stehen, wo ich mit immer noch rasendem Herzen und einem leichten Grinsen im Gesicht eine Zigarette rauchte.
Ich fand es so unglaublich bewundernswert, wie locker Lukas mit der Sache zwischen uns umging. Für ihn war das schließlich genau so neu, wie für mich und ich wünschte, er könnte mir einfach etwas von seiner Gelassenheit abgeben. Er hatte mit jedem Wort, was er gerade da draußen gesagt hatte, recht. Ich nahm mir fest vor, das jetzt auch ein bisschen entspannter zu sehen und mich nicht verrückt zu machen. Selbst, wenn ich wirklich schwul oder bisexuell sein sollte, was wäre dann überhaupt das Problem? Okay, ein schwuler Rockstar hätte es in der Öffentlichkeit wohl ziemlich schwer. Aber man musste es ja nicht unbedingt öffentlich machen. Ob wir alle eine Freundin hatten oder nicht konnten wir bisher ja schließlich auch vor den Fans geheim halten. Warum also sollte es dann ausgerechnet rauskommen, dass ich neuerdings eventuell auch auf Männer stand?

Ich trat meine Zigarette auf dem Boden aus und ging ebenfalls wieder rein. Als ich an dem Mädchen vorbei kam, das vorhin so heftig mit Lukas geflirtet hatte und fast von ihm gefickt worden war, verspürte ich eine nahezu euphorisierende Schadenfreude. Sie stand mit verheulten Augen inmitten von drei ziemlich schlampig gekleideten Weibern und meckerte vor sich hin.
„Wenn du wüsstest", murmelte ich grinsend in mich hinein und machte mich auf den Weg zu Lukas, Benni, Stefan und Igor, die alle zusammen an der Bar standen.

„Na Lukas, erzähl doch mal", sagte Benni gerade und schlug Lukas mit voller Wucht auf den Rücken. „Du hast doch die Kleine geknallt, war es gut?"
Lukas suchte meinen Blick und zwinkerte mir kurz zu, dann drehte er sich zu Benni und grinste breit. „Also, ich bediene mich für diese Antwort mal an deinem Vokabular. Ich hab die Alte weg geknallt, das spürt die in einer Woche noch. So richtig volle Rotze gebuttert!"
Benni lachte laut auf und tätschelte Lukas anerkennend die Schulter. „Ich wusste doch, dass du kein Schwanzlutscher bist."
„Richtig, Benni. Bin ich nicht. Wie kommst du auch auf das schmale Brett?", fragte Lukas und kniff ihm in die Wange.
Vielleicht würde Benni ja durch dieses Ablenkungsmanöver erst einmal mit seinen dummen Sprüchen aufhören.
„Stefan!", rief Benni diesem zu. „Du stehst nah am Barkeeper! Order mal ein paar Kurze für unseren Superstecher hier!"
Stefan tat, wie ihm befohlen und kam kurze Zeit später mit einem ganzen Brett voll Jägermeister näher zu uns heran.
Aus ein paar Kurzen wurden viele Kurze, aus einem Brett wurden fünf und irgendwann war Lukas so richtig hackedicht. Somit hatte sich das, dass ich heute Nacht zu ihm kommen sollte, wohl erledigt.
Als ob er meine Gedanken lesen könnte, schwankte er zu mir rüber und legte mir seinen Arm um die Schultern.
„Wir haben heute noch ein Date, Timi. Ich bin noch nicht zu betrunken dafür", flüsterte er mir ins Ohr.
„Na, ich weiß nicht", sagte ich und lachte.

Da wir alle mal eine Zigarette rauchen wollten, aber zu faul waren, um ganz raus zu gehen, fanden wir uns kurz darauf in einem kleinen, stickigen Raucherraum wieder, in dem es deutlich leiser war, als im Club selbst. Lukas zog sein Handy aus seiner Hose und sah ungeduldig auf die Uhr. Igor, Benni und Stefan machten noch keine Spur von Anschein, dass sie bald ins Hotel zurück wollten.
„Sagt mal, wie lange wolltet ihr eigentlich noch hier bleiben?", fragte Lukas.
„Ham doch grad erst angefangen!", meinte Benni. „Willst du schon gehen?"
„Ja, eigentlich schon so langsam."
„Naja, kannst ja dann fahren. Aber zuerst trinken wir nochmal, dann bist du für heute entlassen!"

Warum konnte Lukas bloß so schlecht „Nein" sagen, wenn es ums Saufen ging? Eine viertel Stunde später stand er erneut mit Benni an der Bar und trank seinen fünften, letzten Schnaps für heute.
Schwankend und mit zusammengekniffenen Augen nahm er wieder sein Handy und tippte etwas. Kurz darauf vibrierte es in meiner Hose.

Zehn SekundenWhere stories live. Discover now