Von Pillen und Plänen

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Nürnberg, 23. Oktober 2013

Nur ein paar Minuten, nachdem er sich auf die Toilette verzogen hatte, kam Lukas wieder in den kleinen Raum im Backstage zurück, wo wir alle zusammen saßen und uns vor der Show noch ein bisschen entspannten. Der Reißverschluss seiner Jeans war nicht ganz geschlossen, die untersten drei Knöpfe seines Hemdes waren schief geknöpft und sein Gesicht war etwas gerötet. Ich fragte mich, ob die anderen ihm wohl auch sofort ansahen, was er gerade getrieben hatte, obwohl sie es nicht, so wie ich, wussten. Weiterhin fand ich es etwas amüsant, dass Lukas sich dabei anscheinend extra sein Hemd geöffnet hatte, statt es einfach nur ein bisschen hochzuschieben. Ich nahm mir ein Bier von Tisch und versuchte, mir gar nicht so detailliert vorzustellen, wie genau er es sich selbst machte, da mich das nur unnötig nervös machen würde.

Er setzte sich hin und griff nach einer kleinen Flasche Mineralwasser, die ihm erst mal aus den Händen rutschte. Als er sie wieder aufhob und in einem Zug austrank, konnte ich beobachten, dass er ein kleines bisschen zitterig war. Auch, als er die leere Flasche dann wieder abstellen wollte, kippte sie ihm um und rollte vom Tisch runter. Ich nahm sie und stellte sie wieder auf den Tisch, während Lukas sich entspannt und grinsend nach hinten an die Lehne des Sofas lehnte. Einen Moment später ließ er sich erschöpft auf die Seite fallen und lag ausgestreckt da.
Ich fand es sehr süß, wie sehr er gerade neben der Spur war und hätte ihn am liebsten einfach nur festgehalten, bis er sich wieder richtig von der kleinen Liebelei mit sich selbst erholt hatte. Aber das ging ja nun eher schlecht hier, mit allen anderen im gleichen Raum.

Als Lukas mich angrinste, machte ich ihm durch Blicke und Kopfnicken darauf aufmerksam, dass so einiges an seinen Klamotten gerade nicht stimmte. Er warf einen Blick nach unten und lachte kurz auf, dann brachte er sein Hemd und seine Hose in Ordnung, ohne dass es jemand von den anderen mitbekam.

Lukas hatte sich also in mich verknallt, wie er mir vorhin gesagt hatte. Ich grinste ein wenig vor mich hin, denn an eine solche Entwicklung hätte ich noch bis vor wenigen Tagen im Traum nicht gedacht. Eigentlich hatten wir uns ja nur darauf geeinigt, dass wir beide eventuell ein bisschen bi-neugierig waren und einfach nur mal so ein paar Sachen im Bett testen wollten, um etwas über uns selbst herauszufinden.
Von diesen Dingen, die man ausschließlich mit einem anderen Männerkörper anstellen konnte, hatten wir aber noch nicht wirklich was ausprobiert. Stattdessen waren wir dazu übergegangen, uns bei jeder kleinen Gelegenheit, die sich da bot, zu küssen, obwohl sich diese Küsse ja nicht wirklich von denen, die man mit Frauen austauschte, unterschieden.
Ich war jedoch extrem froh, dass das so gekommen war und wir nicht einfach nur mal etwas zusammen ausprobierten, wie ursprünglich angedacht.
Mittlerweile war das für mich nun wirklich kein reines Austesten mehr. Auch bei mir hatten sich ein paar romantische Gefühle entwickelt, die ich auch gar nicht mehr verleugnen wollte.

Ich hoffte, dass Lukas und ich bald mal die Gelegenheit dazu bekommen würden, mehr zu machen. Denn sollte mir der Sex mit einem Mann doch nicht zusagen, wäre es wohl sehr suboptimal, wenn ich mich vorher so richtig in ihn verlieben würde. Oder wären die Gefühle dann einfach von alleine wieder weg? Das konnte ich mir kaum vorstellen.
Doch als ich seinen Körper, der da ausgestreckt vor mir lag, so begutachtete, hatte ich kaum noch Zweifel daran, dass es mir mit ihm nicht gefallen könnte.

Nach einem gelungenen Konzert hatte Benni uns dann wieder einmal dazu überredet, dass wir noch feiern gehen. Schon direkt nach dem Auftritt hatte ich total oft ungeduldig auf die Uhr geschaut und gehofft, dass wir bald endlich im Hotel zurück wären. Lukas hatte mir auf der Bühne nur einen mickrigen Schmatzer aufgedrückt, der den gleichen Effekt hatte, als würde man einen Tropfen Wasser auf die Lippen eines Verdurstenden fallen lassen.
Selbstverständlich genoss ich unser Konzert genau so sehr, wie immer, und auch die Gespräche mit ein paar Fans im Anschluss machten mich zufrieden, wie eh und je. Aber trotzdem gab es derzeit eben etwas, was ich noch weniger erwarten konnte, als die abendlichen Auftritte.
Glücklicherweise gelang es mir, mich wieder, anders als in den vergangenen Tagen, besser auf meine Parts zu konzentrieren. Ich schaute einfach nicht ganz so oft zu Lukas hin, aber immer noch oft genug, damit es nicht irgendwie verdächtig aussah.
Denn ich wollte auf keinen Fall, dass irgendjemand fragte, was zwischen mir und ihm derzeit los war. Ich war schon immer ein ziemlich schlechter Lügner gewesen und hatte etwas Angst, dass man mich direkt durchschauen würde.
Obwohl es mich schon sehr wunderte, dass überhaupt niemand etwas ahnte, so auffällig wie sich Lukas manchmal verhielt. Doch solange niemand fragte, war ja alles gut.

Zehn SekundenWhere stories live. Discover now