Die Story vom Pferd

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Chemnitz, 02. November 2013

Als Lukas und ich in Bennis Zimmer rüber gingen, staunten wir nicht schlecht. Er hatte beileibe nicht untertrieben, was sein Überschätzen beim Pizza bestellen anging. Der Karton, der neben ihm auf der anderen Seite des Bettes lag, war auf den ersten, sowohl auch auf den zweiten Blick bald so groß wie die halbe Matratze.
„Ich kotze gleich", keuchte er leise. Er lag auf der Seite, hielt sich den Bauch mit einer Hand fest und stopfte nur wenige Sekunden später noch ein winziges Stückchen Pizza in seinen Mund. Auf seinem Kopfkissen lag eine Scheibe Salami und seine Wange glänzte leicht vom Fett.
„Ich auch", murmelte ich leise und grinste Lukas an, der neben mir am Türrahmen stand. Lukas grinste zurück und schüttelte den Kopf über unseren gefräßigen Freund.
„Dann hör doch auf", sagte er und ließ sich neben Benni ins Bett fallen. Dieser jammerte wegen der unvorhergesehenen, ruckartigen Bewegung und ich drehte mich vorsorglich schon mal weg, da ich befürchtete, er würde seine gerade ausgesprochene Drohung wahrmachen.
„Alles gut, er hat alles drin behalten", sagte Lukas und lachte amüsiert auf. Ich drehte mich wieder um, ging zu den beiden und setzte mich aufs Fußende des quietschenden Bettes in den Schneidersitz.
„Die Pizza ist echt arschgeil, aber ich kann jetzt absolut nicht mehr", sagte Benni und ließ den letzten Bissen in seinem Mund verschwinden.

Lukas und ich nahmen uns jeweils ein Stück und Lukas nahm sich den Karton, welchen er vorsichtshalber auf den Sessel neben dem Bett stellte. Es war zu befürchten, dass Benni doch nochmal schwach werden würde und noch mehr würde er niemals bei sich behalten können.
„Manchmal überkommt es mich einfach", erklärte dieser und rollte sich langsam auf die Seite, um uns besser ansehen zu können.
„Du bist unglaublich", sagte ich nur und schüttelte kichernd den Kopf.
„Erzähl mal von gestern Nacht. Was habt ihr so getrieben?", fragte Lukas.
Benni lachte sein dreckigstes Lachen, welches aber nicht lange anhielt, da er husten musste. Lukas und ich spannten unsere Körper sichtbar an und befürchteten das schlimmste, was aber glücklicherweise ausblieb.

„Wir waren in so nem Club, ich weiß nicht mehr wie er hieß. Auf jeden Fall stand da ein Typ an der Bar, der feiert unsere Musik voll ab, deswegen haben wir einfach alles für lau gekriegt! Wir haben also extrem gesoffen und irgendwann dachte ich, Stefan fällt gleich tot um. Aber ein, zwei Nasen Koks haben ihn dann wieder hergestellt. Punsen waren auch echt geile da. Igor der Idiot hat sie aber vertrieben, weil er irgendwann einfach voll auf die Bar gekotzt hat. Die Tussen haben halt gesehen, dass der zu uns gehört und haben dann von uns auch Abstand gehalten. Aber egal, wir mussten dann eh bald raus, weil Igor nicht aufgehört hat zu kotzen."
Lukas legte sein angebissenes Stück in die Schachtel zurück. Auch mir war der Appetit erst mal vergangen und ich tat das gleiche.
„So genau weiß ich auch nicht, was dann noch passiert ist. Wir wollten dann zu Fuß zum Hotel, weil wir kein Taxi gefunden haben und keiner es hingekriegt hat, eins zu rufen. Dann müssen wir an nem Pferdestall oder so irgendwas ähnlichem vorbeigekommen sein. Keine Ahnung. Eigentlich kann das ja nicht sein, weil ja mitten in Mannheim eher kein Pferdestall ist, oder? Vielleicht wars ein Zirkus oder so. Egal. Jedenfalls stehen wir irgendwann einfach vor nem Pferd, okay?"
„Okay."
„Und Stefan kriegt voll die Panik und fängt an zu schreien und will wegrennen, hängt aber mit dem Fuß in irgendeinem verfickten Seil fest. Dann fliegt er voll auf die Fresse und zappelt und schreit und versucht aufzustehen. Ging aber nicht. Igor und ich liegen neben ihm auf dem Boden und pissen uns ein vor lachen. Und neben uns steht halt die ganze Zeit dieser Gaul und macht gar nichts. Steht einfach nur da."

Lukas und ich warfen uns einen irritierten Blick zu. Wahrscheinlich dachten wir genau das gleiche und waren beide froh, dass wir uns gestern für eine romantische, zweisame Nacht im Hotel entschieden hatten und gegen das Feiern mit den anderen.

Benni ließ sich von unseren Blicken nicht sonderlich beeindrucken und setzte seinen leicht absurden Bericht fort. „Stefan schafft es irgendwann also, sich aus dem Seil zu befreien und rennt weg. Igor und ich lachen nur wie zwei behinderte Spasten und kommen auf die Idee, das Pferd auszuleihen. Ich geh an das Tor, und das war nicht verschlossen. Igor setzt sich dann einfach auf das Vieh drauf und reitet los. Ich renne hinterher und irgendwann holen wir Stefan ein. Der schreit und schreit und rennt und rennt. Es war herrlich. Irgendwann dann Schreie hinter uns. Der Pferdestallbesitzer, oder Zirkuschef, oder von wo auch immer der Gaul her war, rennt hinter uns her. Wir sollen das Pferd zurückgeben, bla bla. Irgendwann landen wir also in einer Gasse, wo es nicht mehr weitergeht und der Typ reißt Igor vom Pferd runter. Stefan steht auf nem Müllcontainer und zittert wie so ne Jungfrau vor ihrem ersten Schwanz!"
Lukas lachte leise auf.
„Dann meint der Typ, er ruft jetzt die Polizei. Ich kann ihn aber mit ein paar hundert Euro zufrieden stellen, er nimmt sein Pferd und zieht Leine. So ungefähr war die Nacht."
„Alles klar", antwortete ich langgezogen und Lukas schüttelte grinsend den Kopf.

Lukas nahm sich sein angebissenes Stück Pizza von vorhin und aß weiter. „Müssen wir deshalb in diesem Billighotel pennen, weil du wegen dem Pferd das letzte Geld rausrücken musstest?", fragte er kauend.
Benni zog die Augenbraue hoch. „Wegen dem und wegen dem, was ihr zwei letzte Nacht veranstaltet habt!"
Mir wurde ganz heiß, als ich an die vergangene Nacht dachte und hoffte, dass Benni nicht auf den misslungenen Strip von Lukas anspielte. Aber woher sollte er davon wissen und warum sollte er uns Geld kosten?
„Was meinst du?", fragte Lukas.
„Na heute Morgen, als wir völlig zerstört ins Hotel zurückkommen, droht mir der Typ von der Rezeption damit, die Polizei zu rufen, weil die Überwachungskameras euch zwei Idioten dabei gefilmt haben, wie ihr die halbe Bar sauft und euch durch die Hotelküche fresst!"

Mein Herz setzte für ein paar Schläge aus, mir wurde verflucht heiß und gleichzeitig spürte ich, wie mein ganzer Körper von einer eiskalten Schweißschicht überzogen wurde. Was hatten Lukas und ich in der Bar getan? Hatten wir herumgeknutscht oder so?
Ob wir uns in der Bar näher gekommen waren, wusste ich nicht mehr so genau. Aber als ich an die Geschehnisse in der Küche zurückdachte, wurde mir direkt schlecht. Da hatte Lukas mir auf jeden Fall im Schritt rumgefummelt und irgendein Typ vom Hotel hatte sich dann diese Bänder angeschaut. Wusste Benni jetzt davon und würde es gleich ansprechen?

„Und warum... hat das Geld gekostet?", fragte Lukas vorsichtig und ich konnte hören, wie seine Stimme leicht zitterte. Er dachte wohl an das selbe wie ich.
„Na weil ich den ganzen Scheiß bezahlt hab, den ihr da leer gefressen und gesoffen habt. Und der Spast wollte noch Schweigegeld haben."
„Warum Schweigegeld?", fragte Lukas eine Spur zu schnell und eine Spur zu laut.
Benni sah ihn irritiert an. „Warum so panisch? Ist doch alles gut."
„Wie, alles gut?"
„Na der wollte halt einfach noch ein paar Scheinchen extra haben. Nicht nur das Geld, was das Zeug gekostet hat... damit er halt auch was davon hat. Warum benimmst du dich so seltsam? Was dachtest du denn, was für Schweigegeld der haben will?"
Benni sah Lukas mit bohrendem Blick an und Lukas starrte panisch zurück. Für einen kurzen Augenblick dachte ich, dass gleich alles vorbei wäre. Ich sah in Gedanken, wie die Fassade von Lukas brach und er Benni alles berichtete, was ich und er die letzten Tage so getrieben hatten. Außerdem stellte ich mir Bennis fassungsloses Gesicht vor, wenn er hörte, dass Lukas und ich nur wenige Meter von ihm entfernt gebumst hatten.
Doch kurz darauf verflog der Ausdruck aus Lukas Gesicht und er grinste Benni breit an. „Ich wollte dir nur ein bisschen Angst machen. Hast du dir eigentlich die Überwachungsbilder angeschaut?"
„Nee, ich war voll fertig, weil ich dem Pferd hinterhergerannt war. Ich wollte einfach nur noch pennen. Verdammt schnell, die Dinger!"

Benni schlief wenige Augenblicke später einfach ein. Lukas und ich nahmen uns noch jeweils ein Stück Pizza mit in unser Zimmer, nachdem wir den Karton wieder neben Benni aufs Bett gestellt hatten. Vielleicht würde er ja in der Nacht aufwachen und sich dann über einen sofort griffbereiten Snack freuen.

„Gott ich dachte total, dass er uns jetzt sagt, dass er die Bänder gesehen hat und uns fragt, warum wir aneinander rumfummeln", sagte Lukas und lachte erleichtert, während er sich ins Bett fallen ließ.
„Das dachte ich auch für einen kurzen Moment...", meinte ich und legte mich neben ihn.
„Als das mit dem Schweigegeld kam, ist mir einfach total schlecht geworden."
„Ja, ich dachte da auch, dass mir jeden Moment der Kreislauf abkackt."
Lukas drehte sich zu mir und rückte unter lautem Quietschen der Bettfedern an mich heran, dann legte er seinen Kopf auf meiner Brust ab.
„Die anderen dürfen das auf keinen Fall irgendwie zufällig erfahren. Ich will das denen wenn dann richtig sagen."
„Ich muss mich da auch erst drauf vorbereiten, wenn es irgendwann mal soweit sein sollte", antwortete ich und strich Lukas seinen Pony aus der Stirn.
Lukas gähnte. „Gute Nacht, Timi."
„Wie, du legst dich mit mir ins Bett und versuchst nicht mal mich nackt zu bekommen?", fragte ich und lachte leise.
„Ich kann es auch kaum glauben, aber in diesem Bett kann man ja leider kaum atmen, ohne dass es sich anhört als ob hier zehn Stepptänzer wild auf der Matratze herumturnen."
„Was für ein seltsamer Vergleich."
„Sei ruhig und schlaf", murmelte Lukas leise und schnarchte direkt im Anschluss an seine Worte schon los, während ich mich noch eine halbe Stunde lang fragte, wie er das immer so schnell schaffte.

Zehn SekundenWhere stories live. Discover now