Karawane der Liebe

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Braunschweig, 19. Oktober 2013

Wegen unserer langen, fast komplett durchgefeierten Partynacht hatten wir alle bis in den frühen Mittag hinein geschlafen und mussten uns nun ganz schön beeilen, um rechtzeitig zum Soundcheck in Bochum zu sein. Wir hatten immerhin noch eine Fahrt von ungefähr dreieinhalb Stunden vor uns, je nach Verkehr vielleicht sogar noch länger.
Ich stand schon eine ganze Weile mit Igor draußen am Bus und rauchte. Irgendwann kam dann auch Benni raus, der aussah wie der Tod persönlich. Er hatte tiefe, dunkle Augenringe, war sehr blass und wirkte, als würde er gleich kotzen. Er hatte es offenbar noch ganz gewaltig krachen lassen, als ich mit Lukas schon auf dem Weg zurück ins Hotel gewesen war.
Bei der Erinnerung an gestern Nacht musste ich direkt anfangen, zu grinsen. Das war einfach die schönste und gleichzeitig lustigste Nacht, die ich seit langer Zeit hatte. Die Küsse mit Lukas vor, während und nach dem Konzert, der heiße Moment in diesem Hinterhof, das Berühren im Taxi... Dann dieser zum schreien komische Taxifahrer, die Autopanne, das ultrawitzige Verhalten vom betrunkenen Lukas, sein kleiner Unfall mit der Lampe...
Ich wünschte, jemand hätte den ganzen Abend und die Nacht gefilmt, damit ich mir das wieder und wieder ansehen könnte, um kein Detail davon zu vergessen.

Ich wurde von Bennis kehligem Lachen aus meinen Gedanken gerissen und sah mir an, worüber er sich so amüsierte.
„Gott Lukas, was ist das denn für ein neuer Style", fragte er. Lukas sah tatsächlich nicht viel besser aus, als Benni, als er auf uns zulief. Auch er hatte kaum Farbe im Gesicht und es fiel ihm sehr schwer, in der Helligkeit der Mittagssonne die Augen aufzulassen. Das, was Benni so amüsierte, war ohne Zweifel die Frisur von Lukas. Er hatte sich seinen Pony extrem weit in die Stirn hinein gekämmt. Bestimmt wollte er damit die Spuren von seiner kleinen Begegnung mit der Lampe verdecken. Er ging auf Benni zu und schob dann sein Haar etwas zur Seite, um ihm die fette, blaue Beule auf seiner Stirn zu präsentieren.
„Ich hab mir ein bisschen weh getan", sagte er und lächelte gequält.
„Wie hast du das denn geschafft?", fragte Benni, noch immer lachend.
„Besoffen ans Regal gerannt", erklärte Lukas. So ganz gelogen war das ja nicht.
„Du machst Sachen!" sagte Benni und schlug Lukas kameradschaftlich auf die Schulter. „Los, rein da. Gucken wir, dass wir fort kommen. Wir müssen noch Stefan von Zuhause abholen und sind eh schon verfickt spät dran."

Igor saß auf dem Fahrersitz, Benni hatte sich den Beifahrersitz gekrallt und ich saß mit Lukas in der hintersten Reihe. Die mittlere Reihe blieb erst mal frei.
„Geht es dir gut?", fragte ich leise.
„Ja schon. Tut nur noch ein bisschen weh", sagte er und lächelte mich dabei so süß an, dass ich ein leichtes Kribbeln im Bauch spüren konnte.
„Du warst sehr betrunken gestern."
Lukas lachte leise und seufzte dann. „Ja, das merk ich heute auch."
Mich überkam plötzlich ein ganz ungutes Gefühl. Was, wenn Lukas das gestern alles gar nicht so ernst gemeint hatte? Hatte er es vielleicht ausschließlich deswegen getan, weil er so betrunken gewesen war und gar nicht wirklich wusste, was er da tat und sagte? Diesmal wollte ich mich jedoch nicht wieder selbst stundenlang mit endlosen Monologen in meinem Kopf quälen, sondern beschloss, ihn einfach zu fragen. Benni und Igor hatten die Musik ziemlich laut aufgedreht und waren außerdem gerade total in ein Gespräch vertieft, so dass ich gerade nahezu ungestört mit Lukas reden konnte.

„Ähm...also...weißt du noch alles, was so passiert ist?", fragte ich vorsichtig.
Sofort zog sich ein breites Grinsen über sein Gesicht und er drehte sich etwas zu mir um. „Ich weiß noch alles, Timi. So betrunken war ich nicht, dass ich einen Filmriss haben könnte. Ich kann mich an jedes Wort erinnern und an alles, was passiert ist. An alles, was wir gemacht haben..."
„Okay", sagte ich erleichtert und grinste ihn ebenfalls an.
„Ich hoffe so sehr, dass die Zimmer diesmal ein bisschen besser aufgeteilt werden. Ich will endlich mit dir alleine sein", flüsterte er mir zu. Das hoffte ich auch. Und wie!

Zehn SekundenWhere stories live. Discover now