Von Philosophie und Pilzragout

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Mannheim, 31. Oktober 2013

Die Gänge des Hotels rasten an uns vorbei, als wir mitten in der Nacht mit dem Kofferwagen, den Lukas gefunden hatte, durch den Keller sausten. Lukas hielt sich wild lachend mit beiden Armen an den Stangen fest und ich schob ihn an. Meine Lunge pfiff langsam aber sicher schon das Lied vom Tod und meine Beine brannten höllisch von der ungewohnten Bewegung, aber trotzdem konnte ich einfach nicht aufhören zu rennen. Lukas genoss die Fahrt viel zu sehr, er verfiel von einem Lachanfall in den nächsten, seine Haare flogen wild in der Gegend herum und hin und wieder drehte er sich zu mir um, um mich anzugrinsen, was meine ohnehin schon schwachen Beine noch schwächer werden ließ.

Ich gab ihm einen Klaps auf den Hintern und verlangsamte mein Tempo ein wenig, um auch noch den Rest des Weges zu überstehen. Lukas Ziel war die Hotelküche und die schien noch ein gutes Stück von uns entfernt zu sein. Das Hotel war zwar groß, aber so groß eigentlich auch wieder nicht. Wenn ich recht überlegte glaubte ich, könnten wir schon längst in der Küche angekommen sein. Ich vermutete jedoch, dass Lukas mich absichtlich falsch schickte, um die Fahrt noch ein bisschen länger genießen zu können.

So viel war in den letzten Tagen passiert. So viel, dass ich es gar nicht so recht fassen konnte. Seltsame Gedanken und Gefühle waren in mir aufgekeimt, wie ich sie vorher noch nie für einen Mann gehabt hatte. Lukas hatte mich auf der Bühne geküsst. Wir hatten heimlich rumgemacht, ein paar Tage später sogar miteinander geschlafen und kurz darauf hatten wir uns gegenseitig unsere Gefühle gestanden. Das alles, ohne dass einer von den anderen Mitgliedern der Band auch nur den leisesten Hauch davon mitbekommen hatte. Verrückt, wenn man mal so darüber nachdachte.
Da verbringt man Tage und Wochen auf engstem Raum miteinander, bekommt alles von den anderen mit und gleichzeitig doch überhaupt nichts.

„Timi du wirst voll langsam, alte Schnecke. Gib Gas, Mann", gluckste Lukas und drehte sich zu mir um. Sein Atem roch stark nach Alkohol und ich fragte mich, wie er es die ganze Zeit über geschafft hatte, nicht vom Wagen zu fallen. „Du wirst doch jetzt nicht schlappmachen?"
„Nee, ich hab nur über was nachgedacht", antwortete ich ihm und lief wieder ein bisschen schneller.
Lukas zeigte plötzlich nach rechts und ich bekam die Kurve gerade noch so. Wir standen nun direkt vor der Tür, die zur Hotelküche führte. Ich sah mir die große Topfpflanze in der Ecke an und stellte fest, dass ich mindestens schon sieben Mal an dieser vorbeigerauscht war.

„Du wusstest die ganze Zeit, dass wir schon mehrmals hier vorbeigekommen sind, oder?"
Lukas lachte ein lautes, vergnügtes Lachen. „Klar wusste ich das. Aber jetzt will ich lieber hören, über was du schon wieder so angestrengt nachdenkst, und ich glaube deine Raucherlunge verträgt sich da nicht mit großen Reden und viel Bewegung."
Dankbar legte ich ihm meine Hand auf die Schulter. „Zu großzügig. Dankeschön."

Lukas sah sich noch einmal auf dem Korridor um und legte dann die Hand auf die Türklinke, um diese langsam und vorsichtig runterzudrücken. Die Tür war nicht abgeschlossen und ließ sich sofort öffnen.
„Du bemühst dich echt, die Tür lautlos aufzumachen, nachdem wir gerade eine Stunde oder so lachend und schreiend mit einem Gepäckwagen durch die Flure gepoltert sind? Meinst du nicht, derjenige, der jetzt die Tür hätte hören können, hätte uns da nicht schon viel früher gestoppt?"
Lukas legte die Stirn in Falten und überlegte angestrengt. Wenige Augenblicke später prustete er los, ließ seinen Oberkörper nach vorne fallen und stützte sich nach Luft schnappend und bebend vor Lachen auf seinen Knien ab. Dann legte er den Kopf schief und guckte aus seinen glasigen Augen zu mir hoch. „Vodkalogik", sagte er nur und richtete sich wieder auf.

Leise schlichen wir uns durch die riesige Küche des Hotels. Zu meiner großen Erleichterung war es sehr sauber hier unten. Alles war ordentlich in die Regale geräumt worden, nirgends standen irgendwelche Reste herum und die stählernen Arbeitsflächen glänzten blitzsauber im Licht einer Straßenlaterne, die durch die flachen Fenster nahe der Decke schien. Seitdem ich vor noch gar nicht so langer Zeit mal eine überaus ekelerregende Reportage im nächtlichen TV angeschaut hatte, hatte ich nämlich gewisse Bedenken, was das Essen in Hotels und Restaurants anging.
„Und du willst hier jetzt ernsthaft was zu essen machen? Du spinnst doch", sagte ich grinsend, während ich mich auf einer Arbeitsfläche niederließ.
„Baby, Benni hat wohl genug Kohle um uns freizukaufen, selbst wenn wir jetzt erwischt werden. Wir sind Gäste in diesem Hotel, ich hau mir jetzt einfach nur was in die Pfanne und habe nicht vor, die komplette Küche in ihre Einzelteile zu zerlegen. Wo ist das Problem?"
Ich lachte leise auf. „Lukas ey, diese kriminellen Energien hätte ich dir gar nicht zugetraut."

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