Hear me screaming, see me bleeding

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Erfurt, 03. November 2013 

Schon auf dem finsteren langen Flur, der zu unserem kleinen Raum im Backstage führte, konnten wir Benni schreien hören. Was genau er schrie, konnten wir nicht verstehen, doch es hörte sich wirklich nicht gut an. Er schien auf alle Fälle ziemlich wütend zu sein. Bis auf Benni hörte man niemand anderen, was mich nicht weiter wunderte. Er konnte manchmal wirklich aufbrausend sein und man hatte dann das Gefühl, ein wildes Tier im Blutrausch vor sich zu haben. Es gab dann nur zwei Möglichkeiten: Entweder man verschwand so schnell es ging, oder man verhielt sich ruhig, in der Hoffnung nicht aufzufallen.
Als Lukas und ich an der Tür des Raumes angekommen waren, warfen wir einen vorsichtigen Blick hinein.
Stille.
Keine Bewegung.
Lukas sah mich an, nickte mit dem Kopf Richtung Tür und ich zuckte mit den Schultern.
„Was ist denn los?", fragte Lukas vorsichtig, als wir uns dazu entschlossen hatten, den Schritt hinein zu wagen. Ich stellte die Tüte vom Supermarkt auf dem Tisch ab. Sofort kamen Stefan und Igor wie aus dem Nichts angerannt und zogen die Schnapsflaschen heraus.
Benni saß auf einem Sessel, rollte mit den Augen und wischte sich mit einem nassen Lappen auf der Hose herum. Er sah erschöpft aus.
„Ich hab Lukas darum gebeten, dass er mir Bier holt", sagte er sehr langsam.
„Ja richtig, hab ich ja auch gemacht."
„Wenn ich Bier verlange, dann will ich das nicht erst eine Stunde später. Außerdem hättest du Arschloch mir auch sagen können, dass wir keins mehr haben. Ich bin zwar die wichtigste Person hier im Raum, aber ich bin ja wohl auch in der Lage, mir meinen Scheiß selbst zu kaufen."
„Ist doch kein Problem. Ich hab sowieso noch ein paar andere Sachen gebraucht", erwiderte Lukas und setzte sich mit seiner Tüte Studentenfutter auf eine abgewetzte Couch in der Ecke.
„Ist doch kein Problem? Ist doch kein Problem?", schrie Benni und schlug auf die lederne Lehne seines Sessels, sodass es einmal richtig im Raum knallte. Igor, Stefan, Lukas und ich sahen ihn an.
„Wie siehst du überhaupt aus?", fragte ich und begutachtete Benni nun etwas genauer.
„Wie ich aussehe? Wie ich aussehe?", schrie er zurück. Ich verstand nur Bahnhof.
Benni stand auf und nahm sich eine Flasche Schnaps vom Tisch, schraubte sie auf und nahm einen großen Schluck. „Weil ihr Ficker Ewigkeiten weg wart und ich aber Durst hatte wie ein Pornodarsteller nach seinem vierten Gangbang, bin ich eben selbst in den Markt gelaufen."
„Und was ist da jetzt so schlimm dran?", fragte Lukas.
Benni warf ein Kissen nach ihm. Als er verfehlte, nahm er direkt noch eins. Aber auch das traf nicht. „Lass mich doch mal ausreden!"
„Ist ja gut", murmelte Lukas, stopfte sich ein paar Nüsse in den Mund und hatte sichtlich Schwierigkeiten damit, ein Lachen zu unterdrücken. Ich hoffte inständig, dass ihm das auch gelingen würde. Man sah Benni zwar an, dass er ein wohl nicht ganz so angenehmes Erlebnis hinter sich hatte, doch das Wie und Warum galt es noch herauszufinden.
„Jedenfalls bin ich in diesem Markt, hol mir mein Bier, geh an die Kasse und bezahle."
„Wie man das halt so macht", flüsterte Lukas und grinste in Bennis Richtung. Ich mochte das Aufmüpfige, was Lukas manchmal an sich hatte. Mittlerweile machte es mich sogar in bestimmten Momenten tierisch an, doch in diesem Fall wünschte ich, er würde jetzt einfach mal ruhig sein. Obwohl Benni ein sehr guter Freund von mir war, würde ich es nie wagen, so mit ihm zu reden. Ich hatte eine seltsame Art von Respekt vor ihm, die ich nicht richtig in Worte fassen konnte.
„Wenn du jetzt nicht die Fresse halten kannst, dann erzähl ich hier gar nichts mehr", schrie Benni schrill.
„Also verdammte Scheiße. Ich bin an der Kasse und sehe an der Kasse nebenan zwei ultrageile Bräute. Die waren verdammt heiß, aber die rothaarige... scheiße hat die es mir angetan. Ich hab die Engel singen hören, ich schwöre. Sie sieht mich an und grinst. Ich grinse zurück. Zu dem Zeitpunkt bin ich noch der Meinung, dass ich die Alte heute Abend sowas von buttern werde. Denn dieses Früchtchen sieht aus, als wollte es geerntet werden. Naja, sie geht raus, ich geh raus, sie dreht sich zu mir hin und gerade als ich was sagen will, scheißt so eine verfickte Taube auf meinen Kopf. Die Scheiße läuft mir über die Stirn übers komplette Gesicht. Ich fang an zu schreien wie eine dumme Tusse und wisch mir im Gesicht rum und das fängt an zu brennen wie sau. Ich hör die blöden Weiber nur noch lachen. Dann komme ich vom Gehweg ab und lande wohl irgendwie in der Wiese, wo so ein Arschloch von Köter einen Haufen - so riesig, dass man neidisch drauf werden könnte, abgelegt hat. Ich rutsche auf der Scheiße aus und knalle auf die Wiese, meine kompletten Sachen voller Matsch und Hundescheiße, mein Gesicht voll mit Taubenscheiße. Und die Tussi hat mich fotografiert und ist dann einfach abgehauen."
Ich sah mich im Raum um. Auch die anderen hörten die Geschichte in Gänze wohl gerade zum ersten Mal. Lukas kaute hektisch seine Nüsse. Igor sah Benni mit großen Augen an. Stefan atmete hektisch und starrte an die Wand. Wir alle waren kurz davor, lachend zusammenzubrechen, aber niemand traute sich zu reagieren.
„Los ihr Fotzen, lacht schon", seufzte Benni und nahm einen großen Schluck Bacardi aus der Flasche. Was folgte, war ein gefühlt zehnminütiger Lachanfall von uns allen. Sogar Benni lachte irgendwann mit, während er noch immer versuchte, seine Klamotten sauber zu bekommen. Unter der Heizung standen seine vollgeschissenen Schuhe, die den Geruch mittlerweile durch den ganzen Raum verströmten.
Ich ging zum Fenster hin, um ein wenig frische Luft rein zu lassen. „Die Schuhe sind hinüber", sagte ich und konnte unten auf der Straße schon die ersten Fans, die zum Abschlusskonzert unserer Tour gekommen waren, erkennen. Sie unterhielten sich in kleinen Grüppchen, einige waren schon gut angetrunken, andere saßen ganz gechillt auf einer Mauer.
Benni stand auf, nahm die Schuhe und schleuderte sie aus dem Fenster heraus mitten in die wartende Menschentraube. „Hier, schon mal ein kleiner Vorgeschmack!", schrie er und knallte das Fenster zu, ohne eine Reaktion abzuwarten. Dumpf konnte ich das schockierte Geschrei einiger Mädels hören, als Benni schon wieder gemütlich auf seinem Sessel saß.

Zehn SekundenWhere stories live. Discover now