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Als endlich ein neuer Tag anbrach, waren wir auf dem Weg zu Sander. Wir wollten fragen, wie es jetzt weitergehen soll.
Als wir die große Halle betraten, die anscheinend unter einem halbwegs gut erhaltenen Gebäude stehen musste, war sie bis auf zwei Frauen und ein paar Männer leer. Wo waren denn alle hin? Und wo war Colonel Sander?

Wir standen in dem Raum und wussten nicht wohin mit uns. Da kam eine große, schlanke Frau auf uns zu. Sie hatte ihr blondes Haar zu einem langen Zopf gebunden und trug eine enges, schwarzes Top mit einer Tarnhose. Kurz gesagt, sie sah mehr als attraktiv aus. Jedes männliche Wesen würde ihr zu Füßen liegen. Ich sah zu Connor und Bill, die überaus entzückt von ihrem Anblick zu sein schienen.

„Kann ich euch irgendwie helfen?“ fragte sie mit zuckersüßer Stimme, besonders an Connor gewandt. Warum sah sie ihn so an?
Gleich war sie mir unsympathisch. Oder war ich etwa eifersüchtig? Ja, ich war definitiv eifersüchtig. Wie sie Connor anhimmelt. Zum kotzen.
„Wir suchen Sander.“ gab ich schnippisch von mir. Sie sah mich etwas irritiert an. Anscheinend hatte ich sie aus ihren Träumen von Connor gerissen.
„Er wollte noch etwas erledigen, kommt aber gleich wieder. Setzt euch doch bis derweil zu uns.“ sie zeigte in die Mitte der Halle, in der noch zwei andere Frauen und ein Mann auf ihren Matten aßen. Bei dem Anblick von Essen knurrte mir der Magen. Also setzten wir uns zu den anderen, die uns freundlich begrüßten. Ich kniete mich zwischen Connor und Bill, während Blondinchen uns Essen holte. Natürlich saß sie sich neben Connor.
Ich versuchte sie gar nicht zu beachten und aß mein Müsli.

„Ich heiße übrigens Lucie. Sander hat mich in diese kleine Gruppe aufgenommen, als ich vor den Terroristen flüchten musste.“ erzählte sie mehr Connor, als mir und Bill.
„Schön dich kennen zu lernen. Das sind Adriana und Bill. Wir sind vom Militär und kämpfen an der Seite des Präsidenten.“ Sie beachtete uns kaum, sondern hing an jedem einzelnen Wort, das Connors Lippen verließ.
„Wisst ihr warum ich fliehen musste?“
Eh nein, interessiert auch keinen.
„Die Terroristen hatten meine Familie umgebracht und wollte mich zu einer von ihnen machen. Aber ich wollte nicht und rannte einfach weg.“
Sollten wir jetzt alle ihretwegen heulen oder was? Ich weiß ich bin etwas unfair ihr gegenüber. Die Familie zu verlieren ist schrecklich. Ich weiß, wie sich das anfühlt.
Aber wieso erzählte sie uns das alles? Sie will doch nur Mitleid.
Doch Connor schien es nicht wirklich zu interessieren. Ganz im Gegenteil. Er nickte nur und genoss sein Müsli. Seine Aufmerksamkeit galt ganz allein dem Essen. Ich musste mir ein Grinsen unterdrücken, als ich Lucies verärgertes Gesicht sah.
Doch anscheinend wagte sie noch einen Versuch und redete weiter auf Connor ein, den das alles herzlich wenig kümmerte.

„Existieren wir für die eigentlich?“ flüsterte mir Bill ins Ohr.
„Kannst du vergessen.“
„Naja, aber Connor scheint auch nicht gerade angetan von ihr zu sein.“
Wir sahen beide Connor zu, wie er geistesabwesend sein Müsli futterte.
Bill und ich konnten uns ein Lachen nicht verkneifen. Da sah auch Connor von seiner Schüssel auf.
„Was ist denn?“ fragte er verdattert.
„Nichts, iss nur weiter.“ sagte Bill.
„Hörst du mir eigentlich zu?“ Lucie hatte endlich aufgehört zu reden und sah ihn nun beleidigt an.
„Redest du mit mir?“ fragte Connor etwas verwundert. Das war zu viel. Ich fiel mit Bill in schallendes Gelächter und konnte mich kaum halten. Lucie sah uns genervt an, was nicht gerade half, unseren Lachanfall wieder in Griff zu bekommen. Doch plötzlich schwang die Tür auf und Sander kam mit vier Männern herein. Wir hörten sofort auf zu Lachen. Ich frage mich, wo er  bloß gewesen ist? Aber das ging mich nichts an.

„Ah Bill, ihr könnt gleich mal zu mir kommen.“ rief er durch den Raum, als er uns entdeckte.
Sofort standen wir drei auf und ließen Lucie allein. Endlich haben wir sie vom Hals. Die Männer, die bei Sander dabei waren, mischten sich unter die anderen im Raum und wir konnten ungestört mit Colonel Sander reden.

„Also es ist so: Wir haben Geländewägen. Mit denen könnten wir euch zu eurem nächsten Stützpunkt fahren. Ich nehme mal an, dass eure Leute euch da erwarten.“
„Kann gut sein, wen sie uns nicht schon für tot erklärt haben.“ antwortete Connor. Aber das wäre genial. Dann müssten wir uns keine Sorgen mehr machen, wie wir zu den Anderen können. Ich sehe hoffentlich Lucas und Daniel wieder, die ich schon vermisste. Ich hoffe, sie haben es geschafft. Natürlich haben sie das. Ich darf mir keine Sorgen machen, sonst werde ich noch wahnsinnig.
„Gut, dann müsst ihr mir nur noch die Koordinaten eures Stützpunktes nennen und dann können wir auch schon los.“
Wir bedankten uns und Bill überlieferte Sander noch die Koordinaten. Ich frage mich bloß, wie man sich die merken konnte. Aber ich bin ja auch kein Pilot eines Kampfhelikopters.
„Was ist mit unseren Waffen?“ wollte Connor wissen. Stimmt, als sie uns überfielen, haben sie Connors und Bills Waffen eingezogen.

„Die verstauen wir im Kofferraum. Meine Männer sind ebenfalls bewaffnet. Wir sind auf alles bestens vorbereitet.“ meinte der Colonel schwer von sich überzeugt.
Wir wollten gerade aufbrechen, als Lucie zu uns herüber stolziert kam. Ich verdrehte die Augen. Was will sie jetzt schon wieder?
„Ihr geht schon?“ sie sah Connor mit großen Augen an.
„Ja, wir müssen los.“ antwortete Connor leicht genervt.
Plötzlich umarmte sie ihn und drückte sich ganz fest an Connor. Auch er schien ziemlich überrascht und versuchte sie sanft von sich zu schieben. Okay, das reicht jetzt.
„Lass ihn endlich los, wir müssen jetzt echt gehen.“ schrie ich sie genervt an.
Sie funkelte mich böse an, als wollte sie mich gleich anspringen.

„Kommt ihr.“ rief Sander uns zum Ausgang und verhinderte so wahrscheinlich gerade noch eine Schlägerei zwischen Lucie und mir. Wir setzten uns in Bewegung. Die zwei Jungs verabschiedeten sich noch von ihr. Ich jedoch sagte kein Wort.
Wir gingen mit Sander und drei weiteren Männern den Gang zum Heizungskeller entlang. Nur eben in die andere Richtung.
Auch hier gab es eine Treppe, die allerdings viel weiter nach oben führte.

Und wie ich schon vermutet hatte, waren wir im Keller eines nicht ganz zerstörten Hauses gewesen.
Durch die einzelnen Löcher oder eher Krater in den Wänden, schien die Sonne herrein. Die Decke war fast weg und der Betonboden war voll mit Schutt und einzelnen Betontrümmern. Wir stiegen durch einen großen Schlitz in der Wand nach draußen. Es war klares Wetter und auch nicht allzu kalt, wie man es sonst nicht in Herbstmonaten erwartet.

Die Gegend kam mir nicht bekannt vor. Wir waren zwar immer noch im gleichen Viertel, allerdings wesentlich weiter weg von unserer Absturzstelle. Wir marschierten hinter das Haus und dort standen tatsächlich drei Jeeps. Zusammen mit Sander stiegen wir in einen und die anderen Männer kletterten in den anderen. Wieso die auch mit mussten, wusste ich nicht. Aber Sanders wird schon wissen, was er tut. Zumindest macht er den Eindruck, als wäre es so.

Er ließ den Motor an und mit quietschenden Reifen fuhren wir über den zerbröckelten Asphalt. Wir rasten an weiteren zerstörten Häusern vorbei und bogen in die verschiedensten Gasen. Der zweite Wagen fuhr uns dicht hinterher. Ich hatte keine Ahnung, wo unser Zeil war, aber wir fuhren schon mindestens eine halbe Stunde durch die Gegend, die nicht enden mochte.
„Sander, sind sie sich sicher, dass wir noch richtig sind?“ wollte Bill irgendwann wissen.

„Glaub mir. Richtiger geht's nicht.“ gab er mit einem hinterhältigen Lächeln Bescheid. Irgendetwas an seinem Ton, war komisch.
So, als hatte er etwas vor. Aufeinmal beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ich sah Connor an, dem ebenfalls unwohl war. Doch ich bekam keine Zeit zu überlegen, da wir plötzlich ruckartig anhielten. Neben uns kam der andere Geländewagen ebenfalls zum Stillstand. Das war aber nicht der Stützpunkt. Wir befanden uns immer noch in dem Viertel und standen kurz vor einer Kreuzung. Was soll das jetzt? Gespannt wartete ich auf das was jetzt passieren würde, doch es geschah nichts. Keiner stieg aus. Stattdessen saßen wir in dem Auto und warteten. Fragt sich nur auf was?

„Ähh...“ unterbrach Bill die Stille. Doch Sander hob warnend seine Hand. Er soll still sein.
Und im nächsten Moment kam plötzlich ein Humvee, gefolgt von mindestens sechs weiteren, um die Ecke geschossen.
Sie hielten direkt vor uns.
Dann wurden die Türen geöffnet und heraus stiegen mindestens dreißig gut bewaffnete Männer. Sie hatten verschleierte Gesichter, sodass man nur die Augen sah. Sie sahen genauso aus wie die, die unsere Militärbasis angegriffen hatte.
Es waren die Terroristen.

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