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Ich nahm nun die Decke und presste sie auf die Wunde. Doch das wird nicht reichen. Ich müsste sie ihm fest umbinden, aber alleine schaff ich das nicht. Verdammt. Langsam stieg Panik in mir hoch. Meine Hände zitterten und ich hatte furchtbare Angst, etwas falsch zu machen. Beruhig dich, Adriana. Du musst etwas tun.
„Gut Bill. Hör mir jetzt genau zu okay. D...Du darfst nicht einschlafen. Versprich es mir. Mach die Augen auf." Meine Stimme war zittrig, genau wie alles andere an mir.

Es dauerte eine Zeit, bis seine Augenlider zuckten. Aber er öffnete sie.
„Super. Jetzt sieh mich an. Ich werde dich etwas anheben müssen, um dir die Decke umzubinden. Allerdings musst du mir dabei helfen. Hast du mich verstanden?"
Ich konnte Bills leichtes Nicken erkennen.
„Gut, dann los." Ich schob meine zittrigen Hände langsam unter ihm hindurch und drückte leicht gegen seinen Rücken, um ihm zu zeigen, dass er sich jetzt langsam aufrichten muss. Bill kniff die Augen zusammen, stützte sein ganzes Gewicht auf seinen Armen ab und stemmte seinen Oberkörper nach oben. Schnell breitete ich die Decke unter ihm aus, während ich ihn mit einer Hand unter seinem Rücken stützte. Mit einem Stöhnen ließ Bill seinen Körper langsam wieder auf den Sitz sinken.

Ich nahm mir beide Enden der Decke, zog sie fest um seinen Bauch, um sie über der Wunder zu zuknoten. Mehrmals rumwickeln ging nicht, da Bill zu wenig Kraft hatte, seinen Körper aufzurichten. Provisorisch wird es so aber reichen. Muss es, denn mehr kann ich nicht tun, als zu hoffen, dass wir bald an der Polizeistation ankamen. Hoffentlich gibt es dort einen Erste-Hilfe-Kasten.
Ich kletterte wieder nach vorne zu Connor. Er sah mich kurz mit einem sorgenvollen Blick an. Er machte sich genauso viele Sorgen um Bill, wie ich. Irgendwie wussten wir beide, dass er es nicht überleben würde, wenn er keine professionelle Hilfe bekam. Wir konnten nur noch hoffen. Außerdem war ich mir auch noch nicht ganz sicher, ob die Terroristen nicht doch noch die Verfolgung aufnehmen. Allerdings waren wir schon ziemlich weit weg und mit jedem weiteren Meter, mit dem die Entfernung wuchs, fühlte ich mich sicherer.

„Da vorne müsste die Polizeistation sein." meinte Connor, als er gerade in eine weitere Straße einbog.
Die Häuser und die Straße sahen gut aus, fast so, als hätte der Krieg dieses Viertel verschont. Wenn hier nicht alles totenstill wäre, könnte man meinen, hier wohnten noch Menschen. In der Ferne konnte ich schon das Polizeischild erkennen, welches immer näher kam.
Ruckartig hielt Connor den Humvee an.

Wir stiegen beide aus.
Das Polizeirevier war riesig und zwei Glastüren, die mit einer dicken Kette versperrt waren, stellten den Eingang dar. Vor der Tür war eine Kamera angebracht worden, die allerdings ihre besten Tage schon hinter sich hatte. Die Polizei hatte, wie alle anderen in diesem Viertel, alles zurückgelassen und dem Militär die Arbeit überlassen. Es gab nicht mehr viele Leute, die noch hier in San José lebten. Die meisten wurden in andere Länder in Amerika evakuiert oder sind gleich mit dem nächsten Flieger nach Europa, da das Schlimmste sich hier in der USA ereignete. Das alles nur, weil diese Terrormiliz den Präsidenten stürzen und einen Gottesstaat wollten. Deshalb wurde der Präsident nach Anweisungen des Militärs nach San José verfrachtet, weswegen die Stadt zu einem der schlimmsten Kriegsgebiete wurde. Und somit eine Geisterstadt. Obwohl auch andere Städte von mehreren Terroranschlägen geplagt wurden, war es hier am schlimmsten.

Connor stand mittlerweile vor dem Eingang und betrachtete kritisch die Kette mit dem Schloss vor der Tür. „Adriana, kannst du im Kofferraum nach einer Zange sehen?" War ich sein Dienstmädchen? Er konnte doch selbst nachsehen. Doch ich stand schon vor dem Kofferraum und wühlte zwischen den tausend Plastikplanen, die im Kofferraum ausgebreitet waren. Wozu hat man bitte Plastikplanen in einem Terroristenauto? Ich entdeckte nochmal ein kleines Fach im Boden des Kofferraums, das ich ohne groß zu überlegen öffnete. Und tatsächlich befand sich darin eine große Drahtzange zusammen mit Waffenmunition. Ich eilte damit zu Connor, der sie mir gleich abnehmen wollte, doch ich riss die Zange weg.
„Du könntest dich wenigstens bedanken, wenn ich dir schon alles hinterher tragen muss. Hast ja selbst funktionstüchtige Beine, oder?" fragte ich ihn herausfordernd. Er war eindeutig über meinen plötzlichen Tonfall überrascht, was mir eine gewisse Genugtuung verschaffte.
Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. Ich wappnete mich innerlich vor das was jetzt kommen würde.

„Ist das dein Ernst Adriana? Jetzt pass mal auf. Wir sind gerade vor einer ganzen Terrormiliz geflohen. Bill ist angeschossen und stirbt vielleicht und ich versuche wirklich alles, um und aus diesem verdammten Loch rauszuholen. Also bitte verzeih mir, wenn ich mich nicht für deine ohnehin mangelnde Hilfe bedankt habe." Seine eisblauen Augen funkelten mich kalt an. Jetzt war ich es, die überrascht war. Hat er das wirklich gerade gesagt? Was bildete sich dieser blöde Idiot eigentlich ein?
Ja gut, ich hatte vielleicht etwas überreagiert, aber das gab ihm noch lange nicht das Recht so über mich zu reden.
„Entschuldige mal, mangelnde Hilfe? Wer wurde fast vergewaltigt?"
Meine Stimme begann zu zittern.
"Wer hat sich von dreckigen Händen überall begrabschen lassen müssen und fühlt sich nun in seinem eigenen Körper fremd?" Ich brach ab. Ich wollte eigentlich drohend wirken, aber jetzt war ich den Tränen nahe.
Connor berührte mich plötzlich sanft an den Schultern, aus Angst ich würde zurückschrecken, und brachte mich dazu ihn anzusehen. Sein Blick war durchdringend.

„Scheiße Adriana. Es tut mir so leid für das, was ich gesagt habe. Ich hab die Fassung verloren. Meine Nerven sind selbst am Ende, weil ich furchtbare Angst habe dich und Bill nicht heil hier rausbringen zu können. Bitte, verzeih mir." Er schloss mich fest in seine Arme und drückte mich an sich.
„Wir schaffen das schon. Bill wird überleben, okay. Muss er einfach. Wir brauchen ihn noch." Er ließ mich wieder los und sah mich nochmal an. Sein Blick und seine Worte hatten etwas beruhigendes, dass mir neue Mut gab und mich vergessen ließ, wie sauer ich gerade noch auf ihn gewesen bin. Überhaupt sein ganzes Auftreten erinnerte mich daran, nicht aufzugeben. „Gut dann lass uns endlich diese Tür aufbrechen." Lächelnd überreichte ich ihm die Zange. „Danke."
Er zwinkerte mir zu und legte dann die Zange an die Kette und drückte zu.

Seine Armmuskeln spannten sich an. Und nein, ich werde nicht auf seine Muskeln starren, weil jetzt echt der falsche Zeitpunkt dafür ist.
Mit einem Ruck durchtrennte die Zange die Ketten, die klirrend auf den Betonpodest vor der Tür fiel.
Connor trat die Tür auf und wir standen in einem großen Eingangsbereich. Links und rechts führten Gänge weg.
Es war fast dunkel, da durch die kleinen Fenster nur wenig Licht viel, doch ich konnte in einem Gang mehrere Stühle und auch eine Bank erkennen.
„Gut, dann lass uns mal Bill holen gehen." Zusammen rannten wir zum Fahrzeug zurück. Connor riss die Tür auf und blickte auf Bill, der mittlerweile seine Augen wieder geschlossen hatte.

„Hey Bill. Kumpel mach die Augen auf!" flüsterte Connor ihm ruhig zu, doch er reagierte nicht. Seine Atmung ging flach und langsam. Die Decke war schon fast durchgeblutet.
„Wir müssen ihn schnell reinbringen." Connor richtete Bills Oberkörper auf und griff unter seine Arme. Den Griff fest um seine Schultern, zog er ihn aus dem Auto raus. Ich packte daraufhin seine Füße und wir schleppten ihn nach drinnen. Vorsichtig legten wir Bill auf einer Bank ab. Er machte immer noch keinen Mucks. Nicht mal ein Stöhnen.

SurviveWhere stories live. Discover now