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Der Colonel starrte mich an, als hätte er einen Geist gesehen.
„Hörst du mir eigentlich zu Connor? Ich sagte doch gerade, dass Flugverbot herrscht, da kann auch ich nichts dagegen tun.
Außerdem kann ich doch keinen Soldaten einfach wegschicken. Ein Soldat dient seinem Land. Dafür ist er ausgebildet.
Ein Soldat läuft nicht vor dem Krieg davon, auch keine Soldatin. Außerdem brauche ich jeden, den ich kriegen kann." brüllte der Colonel und wurde so rot, dass ich schon Angst bekam, er würde gleich einen Schlaganfall erleiden.
Redete er eigentlich gerade von Adriana?
Sprechen wir von der gleichen Person?

Langsam verlor ich die Geduld.
„Hast du mich jetzt verstanden Connor? Ich schicke keinen nach Europa und erst recht nicht einen meiner Soldaten."
Okay, das reichte.
„Adriana ist verdammt nochmal keine Soldatin. Sie will das nicht. Sie wurde zu der Ausbildung gezwungen, die sie ,nebenbei bemerkt, nicht einmal abgeschlossen hat und somit ist sie keine ausgebildete Soldatin.
Damit gehen sie zu weit. Sie können keine Frau zwingen dem Militär beizutreten, das liegt nicht in ihrer Macht."
Nun war ich es, der außer sich vor Wut war.
Das hätte ich schon viel früher sagen sollen.
Schon bevor Adriana unter die Maschine musste.
Sie hätte das alles gar nicht durchmachen dürfen.

„Hüte deine Zunge, Soldat. Du magst eine guter Soldat sein, doch das gibt dir nicht das Recht so mit deinem Befehlshaber zu sprechen.
Ich kann ausbilden, wen ich will und wann ich will.
Und wenn dieses Land es nicht schafft uns neue Rekruten zur Verfügung zu stellen, habe ich wohl keine andere Wahl. Haben wir uns verstanden?"
er drohte mir mit hocherhobenen Zeigefinger und hielt seine Stimme kontrolliert ruhig.
Das war noch schlimmer, als wenn er brüllte. Dann ist er nämlich richtig verärgert und man sollte besser auf ihn hören.
Das war auch für mich das Zeichen, ihm lieber nicht mehr zu widersprechen.
„Ja, Sir." grummelte ich.
Er atmete laut aus und sein strenger Gesichtsausdruck entspannt sich wieder.
Aber aufgegeben hatte ich noch nicht. Das durfte ich nicht.
Ich würde schon eine Möglichkeit finden Adriana nach Europa zu verfrachten.
Koste es, was es wolle.
Und wenn ich sie irgendwo hinein schmuggeln musste.
Ich wusste genau, dass das Militär noch fliegen durfte. Selbst wenn Flugverbot herrscht, ist es dem Militär gestattet trotzdem noch Maschinen zu starten. Da konnte mir der Colonel nichts vormachen.

„Geh jetzt Connor und ruhe dich aus. Du siehst fertig aus."
riet er mir mit einer Hand auf meinen Schulter.
Seine Wut schien wieder verflogen zu sein.
Ich befolgte seinen Rat und verließ die Hauptstation.

Ich schlug den Weg zurück ins Zimmer ein.
Dann öffnete ich leise die Tür und fand Adriana im Bett vor. Allerdings schlief sie nicht, so wie ich erwartet hatte.
Sie sprang sofort auf.
„Und? Hast du mit dem Colonel über Bill gesprochen?" fragte sie sofort Feuer und Flamme.
„Ja, hab ich. Ich konnte alles regeln. Seine Frau wird bald zu uns zustoßen und Bill wird beerdigt, sobald Zeit dafür ist." erklärte ich ihr das, was mir der Colonel erzählt hatte.
Dass wir auch über sie geredet hatten und was ich mit ihr vorhatte, behielt ich noch für mich.
Ich musste dies erst regeln und wollte ihr noch keine falschen Hoffnungen machen.

Erleichtert über die guten Neuigkeiten wanderte Adriana zu ihrem Bett zurück und ließ sich erschöpft darauffallen.
„Hast du eigentlich geschlafen, während ich weg war?"
Sie sah immer noch nicht so aus, als hätte sie geschlafen.
Warum hat sie sich nicht einfach ausgeruht?
„Wollte ich auch ursprünglich nur kam mir Jason dazwischen."
Okay, Frage beantwortet.
Was wollte Jason denn bitte hier?
„Er bat mich dir auszurichten, dass es ihm nochmals aufrichtig Leid tat wegen deinem Bruder und er hoffte du verzeihst ihm auch wirklich."
berichtete sie mir etwas verwirrt, da sie sicherlich keine Ahnung hatte, um was es eigentlich ging.
Langsam nervte der Typ.
Ich hab doch schon gesagt, dass ich ihm verzieh.
Heckte er etwas aus?
Es ist nämlich höchst beunruhigend, wenn der Typ so nett war.
Ich nickte nur nachdenklich und saß mich dann ebenfalls auf mein Bett.
Ich will jetzt eigentlich nur noch schlafen und mir nicht den Kopf über Jason und seine Absichten zerbrechen.

„Connor kann ich dich etwas fragen?"
„Schieß los."
„Okay...eh also ich meine, es geht mich ja nichts an, aber was genau war mit deinem Bruder und was tat Jason Leid?"
War klar, dass sie das wissen wollte.
Danke Jason.
„Ach Adriana. Weißt du ich..."
„Nein, ist schon gut. Wenn du es nicht erzählen willst, dann musst du nicht. Ich muss ja nicht alles wissen stimmt's?" sie versuchte zu lächeln, aber ihre Enttäuschung konnte sie dadurch nicht ganz verbergen.
Es ist eben schwer, darüber zu reden,
aber ich überwand mich trotzdem irgendwie, es ihr zu erzählen.

„Mein Bruder ist vor Kurzem gestorben. Er wurde im Gefecht angeschossen und lag dann Monate im Koma. Jason hat darauf ein paar dumme Sprüche losgelassen." erzählte ich so monoton wie möglich, obwohl mich die Erinnerung an meinen Bruder innerlich zerfraß.
„Ich weiß, so etwas hört sich immer dumm an, aber es tut mir Leid Connor."
„Kannst ja nichts dafür. Aber danke."
ich musste schwer schlucken.
Plötzlich tauchte wieder das Schlachtfeld vor meinen Augen auf.
Ich sah meinen Bruder Rick blutend und röchelnd auf dem Boden liegen.
Schnell verdrängte ich die Bilder, doch ich spürte schon wie sich Tränen den Weg nach oben kämpften.
Mein Bruder war alles für mich gewesen.
Er war der einzige, der von meiner Familie übrig geblieben ist. Doch nun ist auch der letzte Halt in meinem Leben verschwunden.

Adriana stand auf und setzte sich neben mich auf meine Matratze.
„Hey Connor alles okay? Willst du darüber reden?"
Ich schluckte wieder. Ich wollte etwas sagen, doch es war als drücke jemand gegen meine Kehle um mich am Reden zu hindern.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich versuchte Adrianas Blick zu meiden, damit sie nicht sah, dass ich jeden Augenblick zusammenbrach​.
Stark bleiben, Connor.
Du wirst jetzt nicht wie ein kleines Kind zu Heulen anfangen.

Adriana sah mich mitfühlend an.
Ihr wunderschönes Gesicht trug Sorgenfalten auf der Stirn und ihr Blick war so warm und beruhigend zugleich, dass ich für einen kurzen Moment meine Trauer vergaß.
Ich kannte keine Person, der ich mehr vertrauen könnte.
Es herrschte Stille zwischen uns.
Keiner sagte etwas.
Wir saßen einfach nur da.
Doch ich hielt das nicht aus. Ich konnte nicht mehr alles in mich hinein fressen.

„Ich habe zugesehen, als mein Bruder Rick angeschossen wurde. Ich stand nur daneben und konnte nichts tun.
Es...es ging alles so schnell."
schoss es auf einmal aus mir raus.
„Ich konnte mich nicht einmal verabschieden. Er ist alleine gestorben. Er war ganz alleine..." 
meine Stimme brach ab und es war, als würde ein Damm in mir brechen.
Das war es mit meiner Selbskontrolle.
Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Ich saß einfach da, rührte keinen Gesichtsmuskel, sondern starrte einfach nur auf den Boden, während die Tränen meine Wangen hinabflossen. 
Adriana nahm mich sofort in den Arm und drückte mich fest.
„Es wird alles wieder gut. Okay Connor, das wird wieder." tröstete sie mich.
Ich genoss ihre Wärme, atmete ihren Duft ein und sofort ging es mir etwas besser.
Es war tatsächlich erleichternd.
Es fühlte sich an, als würde all der Frust, die Trauer und die Schuldgefühle aus mir weichen. Nur für einen Moment.
Adriana ließ mich vorsichtig wieder los, als sie merkte, dass ich mich wieder beruhigt hatte.
Ich wünschte, wir wären ewig so umschlungen geblieben.

„Geht's wieder besser?" sie sah mich mit ihren funkelnden Augen durchdringend an, in denen ebenfalls Tränen glitzerten.
„Ja...eh danke." ich wischte mir schnell meine Tränen weg.
Wie konnte sie sich nur um meine Sorgen kümmern, wenn sie doch selbst halb am durchdrehen war?
Sie ist einfach so stark.
„Immer wieder gern. Ich bin für dich da." sie lächelte.
Ihr Lächeln war so warm und voller Mitgefühl.
Wieder erneut verliebte ich mich in ihr Lachen.
Ihre Wärme, die sie dabei ausstrahlte und ihr ganzes Antlitz, mit dem sie mein Leben um so vieles verbessert hatte.
Ihre liebevolle Art gab mir Halt und irgendwie auch einen neuen Sinn in meinem Leben. Früher war es mein Bruder. Jetzt lohnte es sich für sie zu kämpfen.

„Connor wir sollten jetzt schlafen." sagte sie etwas verlegen, da ich sie ununterbrochen angestarrt hatte.
Ich fasste mich wieder und lächelte ihr zu.
„Ja, das sollten wir wohl wirklich."

Adriana kroch zurück in ihr Bett und kuschelte sich in die Decke.
Ich tat es ihr gleich.
„Schlaf gut Adriana und nochmal danke." ich sah zu ihr herüber und sie lächelte mir zu.
Dann wurden meine Augenlider immer schwerer und schließlich fielen mir meine Augen ganz zu und ich konnte endlich schlafen.

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