Zweites Kapitel

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Ich konnte die scharlachroten Zeilen einfach nur anstarren. Alles im meinem Kopf begann sich zu drehen. Mir würde speiübel, sodass ich mich zitternd an einer der Steinkreaturen festhalten musste, da meine Beine drohten unter meinem Gewicht und der plötzlichen zusätzlichen Last auf meinen Schultern nachzugeben. Ein heftiges Schwindelgefühl sorgte dafür, dass meine Hände wieder zu zittern begannen.

Sie sind wie wir – Sie sind eine von uns,

Miss Evelyn Hunter

Ich las es erneut und noch ein weiteres Mal, doch es veränderte sich nichts. Nicht, dass ich es erwartet hätte. Dass war es nicht. Ich hatte es gehofft. Denn gerade siegte der vorgelebte Zorn. Der Hass meines Dads. Ein auf eine seltsame Art und Weise vermisste ich sie. Nicht sie, nein, dass nicht. Die Außenwelt. Es machte mir Angst, nicht nach draußen zu können. Es machte mir Angst, dass der Grund, weswegen ich hier war, wohl der zu sein schien, dass ich genauso wie sie war. Eine von ihnen. Ich schluckte. Sie mussten Recht haben, ein anderer Grund würde keinen Sinn ergeben, denn wieso sonst, sollte man eine Jugendliche wie mich an eine Ort verschleppen, dessen Verbindungen zu menschlichen Kreaturen gekappt wurden?

Doch noch während ich diese Worte in meiner geballten Faust zusammenknüllte und ausreichend weit von mir wegwarf, dass ich sie in nächster Zeit erst einmal nicht finden würde, kamen mir die Tränen. Menschlich. Sie waren nicht laut, nicht so, dass es jemand hätte mitbekommen können, leise liefen sie mir die Wangen hinunter und wurden von meiner Kleidung aufgefangen, nachdem sie von meinem Kinn tropften. Ich war nicht stark. Nicht stark genug für irgendeinen billigen Fantasyroman, in dem die Hauptrolle den Helden spielte. Vielleicht war ich in diesem Moment auch zu menschlich oder redete es mir ein. Vielleicht hatte ich auch alles Recht, in Selbstmitleid zu baden. Denn Lügen, die aufgedeckt wurden, taten immer weh. Es war die Tatsache, dass ich zu jemandem wurde, den mein Dad hasste, die derartig mir die Haut verbrannte.

Langsam ließ ich die Hand sinken, die ich, ohne es bemerkt zuhaben, gehoben hatte um die Tränen ärgerlich wegzuwischen.

„Kann ich dir irgendwie helfen?", ertönte es knapp hinter mir.

Im ersten Moment wusste ich nicht, was mich so aus der Bahn warf. Es schien ihrer Natur zu sein, sich immer fort von hinten an zu schleichen, doch dann wurde es mir bewusst. Es was die Tatsache, dass mich jemand duzte, mich auf seiner Augenhöhe sah. Dass ich ich nicht die Miss Evelyn Hunter war, die ich hier zu sein schien. Mir wurde schmerzlich bewusst, wie erleichtert ich war, wie ich es vermisst habe. Denn Miss Evelyn Hunter klang kalt. Abweisend und auf eine seltsamer Art und Weise herabschauend und fremd. Das erste Mal, dass es sich wirklich wie eine normale Schule anfühlte, auf die ich eigentlich hätte gehen sollen.

Vorsichtig drehte ich mich um.

Es war ein Junge, der vor mir stand. Jemand, der mir seltsam bekannt vorkam, sofern dies möglich war.

Er stand lässig an den anderen Greifen, zu meiner Linken, gelehnt und musterte mich mit einem Blick, den ich nicht genau deuten konnte. Seine widerspenstigen Haare fielen ihm leicht in die Stirn, während er diesen Prozess heimlich zu vertuschen versucht.

Erstaunt und leicht verwirrt starrte ich ihn an. Er hatte eine Ausstrahlung, die mich in seiner Umgebung unwohl fühlen ließ. Vielleicht war es sein starrer Blick, vielleicht auch sein verzogener Mund, doch irgendetwas störte mich an ihm, ohne dass ich genau definieren konnte, was es war.

„Du bist also das neue Mädchen", stellte er mit einem hämischen Verziehen seiner Mundwinkel fest, meine Antwort abwartend.

Sein Blick, eine Mischung aus Mitleid und Spott. Vielen Dank auch!

Wächter der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt