Zwölftes Kapitel

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Ich wirbelte herum, den Dolch umklammernd, und sah gerade noch, wie sich ein Schatten aus der Dunkelheit löste und Sekunden darauf wieder verschwand. Sein wehendes Gewand wirbelte Staub auf und ich hörte die hastigen Schritte, die sich eilig im langen Korridor verloren.

Ich war im ersten Moment wie versteinert und hielt den Atem an, so sehr war ich darauf fixiert zu realisieren, was gerade geschehen war. Wer war es, der um diese Stunde vor meiner Tür diesen Lärm erzeugt hatte? Der nun auf der Flucht vor mir war? Es konnte keine Absicht gewesen sein, dass er gegen meine Tür gestürzt war, denn sonst würde seine Flucht jetzt keinen Sinn machen. Wer auch immer es war, er hatte Angst vor mir. Und es musste Zufall sein. Er konnte sich seinen Unfall noch nicht einmal selbst verzeihen und verfluchte sich selbst, während er durch das Alpha-Gebäude strauchelte, da war ich mir sicher.

Stumm setzte ich einen Fuß vor den anderen, ohne darüber nachzudenken, was dies für Folgen haben könnte, und stürmte dann in einer unglaublichen Geschwindigkeit den Gang entlang. Auf den Fersen des Flüchtenden. Das mir dabei der Wind entgegenschlug verwirrte mich genauso wie die Tatsache, dass mein Täter nicht weit gekommen war. Schwer atmend lehnte er an der Tür, die ihn in die Freiheit bringen würde, und hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. Sein Anblick war seltsam verzerrt. Sein frustrierter erbärmlicher Gesichtsausdruck zu den starken Armen, die man im bleichen Licht der Nacht erkennen konnte, da er sich die Ärmel seines Hemdes aufgekrempelt hatte. Sein zusammengekauerter Schatten an der Wand ließ mein Herz zusammenziehen und ich erwischte mich dabei, dass ich Mitleid empfand, denn nun konnte ich auch ausmachen, wer vor mir die Flucht ergriffen hatte.

James hockte elendig dort und sah nicht einmal auf, als ich mich ihm langsam näherte. Er drehte etwas in seinen Händen und schien so in seinen Gedanken versunken zu sein, dass er die Außenwelt aus seinem Kopf verband hatte. Seltsam, wenn ich bedachte, dass er es eben noch ziemlich eilig hatte.

„James?" fragte ich zögerlich in die dämmrige Stille hinein und rechnete beinahe schon damit, dass er aufspringen würde, um endlich ins Freie zu gelangen, doch dem war nicht so. Er strich sich einige seiner Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht gefallen waren, beiseite und richtete sich dann auf.

„Was ist Evelyn?", er ließ den Gegenstand in seiner Manteltasche verschwinden und wandte sich dann mir zu „Was habe ich jetzt wieder getan?!"

Ich konnte nicht fassen, was er da von sich gab. Wie konnte man nur so eingebildet sein? Ich war bewaffnet, wäre er nicht vorher geflüchtet, hätte er in Berührung mit meinem Dolch kommen können. Ich hatte gelernt aufmerksam zu sein und verdammt noch mal schnell und wendig. War er nicht auch Krieger? Wusste er nicht auch, dass er schon längst hätte attackiert werden können? Allein schon wegen der Tatsache, dass er sich mitten in der Nacht im Gebäude herum schlich, als würde er nur den besten Moment suchen, einen Wächter im Schlaf zu überraschen. Erst da kam mir der Gedanke, dass ich noch nie ein Mordwerkzeug in seiner Gegenwart gesehen habe.

Er trug keine Messer an seinem Gürtel oder einen Bogen über der Schulter und damit bildete er die Ausnahme. Es gab keinen Wächter der unbewaffnet war, denn es war viel zu gefährlich, nicht für den Angriff bereit zu sein. War es Kate, die mir einen Dolch verschafft hatte? Sie musste gewusst haben, dass ich zuvor noch keine Waffen bei mir getragen hatte.

Doch Jem? Er musste einen Grund gehabt haben, dies zu tun. Es war offensichtlich, doch aus welchem Grund versuchte er dies zu leugnen? Was auch immer es getan hatte, es musste gegen die Regeln verstoßen haben. Und das war ihm genauso bewusst wie mir.

„Pass auf Jem, ich habe keine Ahnung, was du hier machst und das geht mich auch gar nichts an, aber lass mich dann wenigstens schlafen!" Ich zog sauer die Augenbrauen zusammen, was er als Gefahr deutete und sich unauffällig gegen die Tür lehnte, um sie zu öffnen. Das er versuchte, mir aus dem Weg zu gehen, bestätigte mich nur noch mehr. „James, wirklich. Was zur Hölle hast du gemacht!?", Meine Lippen spien förmlich die Worte aus und nun konnte ich den verärgerten Unterton nicht mehr aus meiner Stimme verbergen. Jem holte zitternd Luft.

Wächter der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt