Achtes Kapitel

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Ich traf binnen Sekunden beim Tisch ein und wäre in das massive Holz gerast, hätte ich mich nicht kurz davor noch stoppen können. Leicht strauchelnd sah ich auf und erhaschte einen Blick auf die Zeilen der Astronomie, die in kursiver Schrift, ungewohnt klein, gedruckt waren. Es erinnerte mich an den Text, den Mr. Fensher mir überliefern ließ, der aus den selben akkuraten Buchstaben bestand.

Mein Atem ging normal und ich verspürte keine Anzeichen einer schmerzenden Lunge, das zwielichtige Stechen in der Seite suchte mich dieses mal nicht heim. Und auch so fühlte ich mich nicht mitgenommen nach diesem Sprint.
Das leichte Kribbeln unter meinen Fußsohlen verriet mir, dass ich es jeden Moment wieder machen würde. Trotz dieser Anstrengung hatte ich keine Kräfte verloren, was mich ziemlich überraschte. Vielleicht sorgte meine Schnelligkeit dafür, dass mir die Energie nicht zwischen den Fingern zerrann, so wie einem an einem warmen Tag der trockene beigefarbene Sand durch den Spalt der einzelnen Handpartien entschwand. Auch wenn dies grotesk war. So wie die Schatten in meinen Augenwinkeln, die während des Rennens zu einem einzigen dunklen Strom zusammengeschmolzen waren und mich unweigerlich an das reißende Meer in der späten Abendstunde erinnert hatten. Die harschen Wellen, die mit einer unsagbaren Geschwindigkeit in der Brandung gegen die Felsen schlagen und sich dann wieder zurück ziehen. Der stetige Gang einer monströsen Masse, die sich das zurückholt, was sie möchte. Die sich alles zurück holt und in ihre Tiefen zieht. Die matten Nuancen des Schwarzen und das Mitternachtsblau ließen mich leicht im inneren zusammen zucken und ich verdrängte den Gedanken an die schlingenden Wellen, um mich entschlossen Kate zu widmen.

Sie hatte nicht einmal bei meiner Ankunft aufgeschaut und ich bezweifelte, dass sie mich überhaupt bemerkt hatte. Sie machte nicht Eindruck, als wolle sie ihr Umfeld wahrnehmen, eher erinnerte sie an Jemanden, der sich hinter den Zeilen versteckte, um Etwas zu entfliehen, was ihn unheimlich in seinen Bann zog. In dem Licht, das durch die Panzerglasscheiben, die auf eine faszinierende Weise filigran und hauchfein wirkten, in die Cafeteria strahlte, nahmen ihre Haare einen völlig anderen Farbton an und erstrahlten in einem Indigoblau, wodurch sie einer wunderschönen Nixe ähnelte und ihr Abbild nur noch irrer wirkte. Es machte sie noch mehr zu einem übernatürlichen Wesen als vorher und mit dem Zusammenspiel der silbern Wulst ihrer einen Gesichtshälfte machte sie regelrecht einem Hexenwesen Konkurrenz. Sie war einfach Atemberaubend hübsch, auf eine andere Art und Weise.

Einmal mehr wurde mir bewusst, wie wenig ich wirklich über sie wusste. Auch wenn mich keiner auf diesem Gebiet hätte lehren können. Weder meiner Vorfahren waren so, noch meine Eltern. Mir war noch nicht einmal klar, welcher Gattung sie wirklich angehörten. Waren sie Hexenwesen? Oder noch etwas viel bizarreres?

„Kate?" fragte ich zögerlich und riss sie aus ihrer eigenen Welt. Sie zuckte zusammen und ließ vor Schreck beinahe das Buch fallen. Doch ehe es auf dem Boden aufkommen konnte reagierte sie mit einer verschwommen Bewegung und fing es im Fall auf. Die dünne Staubschicht auf dem glänzenden Boden wirbelte auf und hüllte ihre Hand ein, während sie sich wieder aufrecht hinsetze.

Ich zögerte.

„Hast du es mitbekommen?"
„Was sollte ich mitbekommen haben?" Sie runzelte die Stirn und kramte gelangweilt ein Lesezeichen aus ihrer Tasche neben sich hervor, um die Stelle in der Astronomie zu markieren.

„Das mit James" fügte ich noch ein wenig leiser hinzu. Es war ein komisches Gefühl, seinen Vornamen zu benutzen, da er sonst von den meisten nur gesiezt wurde. Es fühlte sich fremd an und war etwas völlig anderes als bei Kate.

Sie hatte es wirklich nicht bemerkt. Niemand hatte dies getan. Und ich wusste nicht, wo er sich gerade aufhielt. Doch Panik war jetzt alles andere als angebracht.

Wächter der ZeitWhere stories live. Discover now