Elftes Kapitel

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Seine katzenartigen Augen huschten über mein Gesicht und versuchten meine Miene zu deuten, während ich panisch bemüht war, so viel Unscheinbares und Undurchdringliches in meine Mimik zu legen. Was mir nicht wirklich gelang, denn schlagartig veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Hohn und Zorn flammten in seinen zusammen gekniffenen Augen auf und blitzschnell befeuchtete er seine trockenen Lippen mit seiner Zunge. Er erinnerte mich in diesem Moment eher an einen Racheengel als an einen Wächter, obschon ich nicht wusste, was ihn dazu veranlagte, dem betörenden Gefühl nach Rache zu lüsten. Er war nicht die Art von Wesen, das seine Prioritäten ohne einen wahrlichen Grund über Bord zu werfen. Und genau das würde mich retten, retten vor verachtenden Blicken oder feindseligen Kommentaren, denn jeder wollte den wirklichen Grund für meine Anwesenheit hier erfahren, sei ich noch so leichtsinnig oder provokant. Es war egoistisch so zu denken, doch in Wahrheit wusste es hier jeder, auch ohne vor Wissbegierde in meinen Kopf einzubrechen. Mr. Fensher konnte es sich nicht leisten, mich zu eliminieren, obgleich er alles in Bewegung setzten würde, um mir an die Gurgel gehen zu dürfen.

Sein Blick verfolgte jeder meiner Bewegungen, während ich die Bücher auf meinem Arm fester umklammerte und sicherheitshalber mit der anderen Hand unauffällig nach dem Dolch tastete. Ihm waren zwar die Hände gebunden, dennoch war er unberechenbar und ich keine Kriegerin. Gegen ihn hätte ich weder eine Chance noch eine Wahl nicht zu kämpfen. Mein Herz schlug ein wenig schneller als ich die Kälte des Metalls durch den dünnen Stoff spüren konnte und die gefährliche Klinge entlang fuhr. Es würde mich einige Überwindung kosten, ihn aus der Tasche hervor zu ziehen, doch mein Gebet, dass ich ihn niemals ehrlich benutzen müsse, schien mir schon jetzt albern und kindisch. Selbst die Jüngsten dieses Institutes wussten, wie man einem Feind den Kopf vom Haupt trennte oder das Rückgrat durchbohrte. Ich musste einiges nachholen, wenn ich so sein wollte wie sie, obwohl ich bezweifelte das dies je eintreten würde. Sie waren anders, zu magisch und doch faszinierend. Das sie im Schatten gehalten wurden war eigentlich eine Schande für die Welt und doch konnte ich nicht anders, als das Zittern in meiner Stimme bestehen zu lassen, als ich endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, die unruhige Stille zwischen uns brach. Er fixierte mich strafend, während ich den Mund leicht öffnete und doch kaum ein Wort hervor bekam.

„Sie müssten doch am besten wissen, dass gute Klausuren Fleiß und Wille erfordern und ohne das Besuchen des Unterrichtes ist es beinahe unmöglich den anderen folgen zu können, wenn sie im Eiltempo davon schreiten, wissbegierig und zielgerichtet" ich räusperte mich „Ich denke, umso empfehlenswerter ist es für mich, mich jetzt zu den Lerntrakten zu begeben, nicht wahr?" Ich senkte den Blick, denn ich konnte die Hitze der Wut spüren, die von seinem Körper ausging, während ich die letzten Worte von mir gegeben hatte. Das in man deutlich den höhnischen Unterton in meiner Stimme hören konnte, war nicht meine Absicht gewesen doch schaden konnte es genauso wenig wie die provokanten und doch erzogenen Worte.

„Darauf lässt sich nichts erwidern, Miss Evelyn Hunter!" seine Hand zuckte in Sekundenschnelle zu einer Innentasche seines Mantels „Ich erwarte, dass Sie nun diesen Raum verlassen" kommentierte er trocken. Ich schluckte, als ich sah, was genau er umklammerte. Den Heft eines dünnen und scharfen Skalpells, auf dessen Oberfläche sich das schummrige Licht brach und Funken an der Wand tanzen ließ. Es erweckte beinahe den Eindruck, als würde er selbst die kleinen weißen und violetten Blitze erschaffen, die mich bedrohlich umkreisten und nur auf den besten Moment warteten, sich in meine Kleidung zu ätzen und meine Haut zu versenken.

Seine Aufforderung kam mir so nur allzu recht und ich hastete an ihm vorbei zu Tür hinaus, nicht darauf bedacht, dass ich mich somit direkt an seinen feindseligen Händen vorbei begab und er nicht hätte einen besseren Moment erhaschen können, um mich anzugreifen. Doch meine Kleidung blieb genauso unversehrt wie mein Körper, was mich kurz stutzen ließ. Sein Bedürfnis, mich als Informationsquelle zu nutzen hatte wohl die Oberhand über das Gelüst seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen gewonnen. Intelligenz und Vernunft siegten über Zorn und Rache. Welch Ironie.

Wächter der ZeitWhere stories live. Discover now