Fünfzehntes Kapitel

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Die tiefen Spuren in der Erde, die unmöglich die eines Wächters sein konnten, hoben sich unweigerlich von ihrem Untergrund ab und waren nur allzu gut sichtbar. Das die Leiter des Instituts, sie noch nicht entdeckt hatten war ein unverhofftes Wunder und in mir breitete sich ruhige Erleichterung aus, die mein Herz langsamer schlagen ließ und das Adrenalin hinunter schraubt, das meinen Körper seit der hitzigen Jagd geleitet hatte. Es ließ sich nicht leugnen, dass es mich in den Wahnsinn getrieben hatte. Dass ich mit einem Mord in Verbindung gebracht wurde, der mich mehr schockierte als die meisten Wächter des Instituts zu wissen glauben. Es übertritt die Grenzen ihres Verstandes, sobald sie versuchen, die Zusammenhänge zu finden und analysieren. Denn da gibt es keine. Ich kann nicht für etwas die Ursache sein, das jegliche Verbindung zu mir eingestellt hatte. Sie hatte mich gehasst und eine Kluft zwischen uns erschaffen, die nicht zu überbrücken war. Sie hatte sich distanziert, so schien es unmöglich, dass ich einen Grund haben könnte, ihr das Leben zu nehmen. Doch glaubte man einer Mörderin? Sie hätten mich schon längst weggesperrt, wenn es nach einigen Jüngeren gegangen wäre, weshalb sie es noch nicht getan haben, war mir schleierhaft. Doch es war zu meinem Vorteil, wodurch ich mir nicht erlaubte, einen Kommentar diesbezüglich zu machen. Immerhin war Kate auch der Überzeugung, dass es schier lächerlich wäre, mich zu beschuldigen. Doch sie war meine Freundin, eine potenzielle Verbündete. Ihr würde man genauso wenig Glauben schenken wie mir.

„Sie könnten noch aus den letzten Tagen stammen. Wären sie älter, wären sie schon längst verblasst", merkte Kate erstaunt an und fixierte fasziniert die tiefen Abdrücke, die jemand im weichen Erdboden hinterlassen hatte. „Niemals war das ein menschliches Wesen!", fügte sie noch ein wenig später hinzu, doch ihre Stimme schien nicht mehr so selbstsicher. Plötzlich war sie leise geworden und mit weit aufgerissenen Augen sah sie die anderen an. Ihr Mund hatte sich geöffnet, doch sie brachte kein Wort über die Lippen. Wie erstarrt hielt sie mitten in der Bewegung inne, unfähig etwas von sich zu geben. Regungslos stand sie da. Ihr Blick war von Angst geprägt und der kämpferische Ausdruck war jäh verschwunden. Sie ähnelte keiner Wächterin mehr, eher einem kleinen Kind, das zum ersten Mal in seinem Leben etwas derartig Grausiges gesehen hat. Sie wirkte so verschreckt und ich konnte nicht anders, als sie leicht und beruhigend an der Schulter zu berühren. Mein Herz zog sich zusammen und ich war unfähig nachzufragen, was im Detail ihr einen solchen Schrecken eingejagt hatte. Sie zitterte am ganzen Leib und in ihren Augen bildeten sich glitzernde Tränen, die ihr still und sachte die Wange hinunter liefen und binnen Sekunden ihr Oberteil durchnässten. Sie schloss die Augen und verschränkte ihre Finger mit meinen, ehe ihr Körper leicht erbebte und von angestautem Schmerz durchgeschüttelt wurde.

Wortlos überreichte James mir einen seinen Mantel, den ich der völlig aufgelösten Kate umlegte und sie beruhigend in den Arm nahm. Ihr Gesicht ruhte an meiner Schulter und sie flüsterte etwas in den weichen Stoff meiner tristen Kleidung. Ich spürte, wie ihr Herz rasend schnell gegen ihre Rippen schlug und ihr Brustkorb sich unregelmäßig hob und senkte. Ich wusste nur allzu gut, wie sie sich jetzt wohl fühlen mochte. Es versetzte mir einen Stich ins Herz, als ich sie so leiden sah. Sie hatte es nicht verdient. Was auch immer sie derartig aus der Bahn warf, sie hatte es niemals verdient, auf diese Art und Weise zu trauern.

„Sie erinnern mich an etwas", murmelte sie und hob nur einen Bruchteil einer Sekunde danach den Kopf, sodass ich ihr in das Tränen verschmierte Gesicht blicken konnte. Ihre Augen waren gerötet und unterstrichen nur noch mehr die dunklen Schatten unter den Augen, die von schlaflosen Nächten erzählten. Ihre Lippe war spröde und riss an einer Stelle, als sie erneut den Mund öffnete und nun deutlich lauter fortfuhr.

„Die Spuren, sie erinnern mich an etwas", vorsichtig kämpfte sie sich aus meinem Arm und sah sich dann forschend nach den anderen um „Sie erinnern uns alle an etwas!" Ihr Stimme war heiser von all den salzigen Tränen, die ihr Gesicht hinab geflossen sind und ihr Rachen musste staubtrocken sein, da sie sich mehrmals räuspern musste, ehe sie ihre Erzählung fortsetzen konnte.

Wächter der ZeitWhere stories live. Discover now