Siebzehntes Kapitel

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Noch immer konnte ich meinen eigenen Herzschlag in meinen Ohren als ein stetiges Rauschen wahrnehmen und mir wurde speiübel, als ich stoßweise Luft holte. Auch die sicheren vier Wände meines ruhigen Raumes konnten mich nicht beruhigen, genauso wenig wie die Tatsache, dass Kate wohl direkt neben mir sein würde. Vielleicht wartete sie auf mich, vielleicht hatte sie sich Sorgen gemacht. Vielleicht aber waren dies auch nur Wünsche meines völlig überforderten Gehirnes, das nach dem Belauschen der höchsten Wächter noch immer nicht wirklich abrufbar war. Es wirkte wie eine dunkle sich bewegende Masse, die meinen Kopf vollkommen einzunehmen schien. Alles verzehrend und düster. Es schüttelte mich am ganzen Körper, als ich an die rauchige Stimme des Knaufs zurückdachte. An seine anscheinend doch vorhandene Hilfsbereitschaft und die Mühe, die er sich gegeben hatte, um mich vor Mr. DeQuincy und seinem Gegenüber zu verbergen. Er hatte mich gewarnt und ich hatte es dem kleinen Auge zu verdanken, dass sie mich noch nicht entdeckt hatten. Doch sie mussten mich gehört haben. Meine verhallenden Schritte, nachdem ich mit wild klopfendem Herzen den Korridor entlang gesprintet war, mit nur einem Ziel vor Augen. So weit weg, wie nur irgendwie möglich. Sie hätten mich finden können. Vielleicht würden sie es auch in absehbarer Zeit noch tun, denn eine verriegelte Tür würde sie nicht aufhalten, dennoch hatte ich sie längst von meinen größten Sorgen verbannt. Sie würden mich so da so im Verdacht haben, wenn man den Worten und Taten Mr. Fenshers Glauben schenkte, so half mir es nun auch nicht weiter, mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

Viel eher beschäftigte mich die Warnung, die so ruhig in den Händen der zwei Männer gelegen hatte. Es waren zehn Stunden und ich wusste noch nicht einmal, wann Mr. Fensher den Brief erhalten hatte. Sie könnten jede Minute um sein und auch Mr. DeQuincy hatte behauptet, uns läufe die Zeit davon. Es sei schon längst zu spät für die Evakuierung des Instituts gewesen, so musste es sich um eine Drohung handeln. Wollten sie das Institut niederbrennen, wer auch immer die Worte verfasst hatte? Unmöglich konnte es sich dabei um einen Scherz gehandelt haben. Es war bitterer Ernst und obschon Mr. Fensher strikt behauptet hatte, es gäbe keinen Grund zu Aufregung, so merkte ich dennoch, wie meine Knie unter meinem Gewicht nachgaben und ich erschöpft hinunter auf mein Bett sank. Die Federn quietschen erbärmlich unter meinem Gewicht und ich zuckte erschrocken zusammen, als das alte Holz gefährlich knarzte. Meine Paranoia war lächerlich, dem war ich mir bewusst, doch es konnte nur von Vorteil sein, seine Sinne auf höchste Bereitschaft hinaus zu fordern. Früher oder später entschieden Instinkt und Sinne über Leben und Tod eines Kämpfers, so konnte ich es mir nicht wirklich verübeln, dies gut zu heißen.

„Zehn Stunden", murmelte ich erneut nervös und hoffte, Kate würde schon längst schlafen. Es war ein eigenartiges Gefühl gewesen, erst mit ihnen gemeinsam am Tisch zu sitzen und sich besorgt und niedergeschlagen über Naima Mathew zu unterhalten und nur wenige Momente später eines der wohl zahlreichen Gespräche zweier hoher Wächter der Kongregation mithilfe eines sehenden Türknaufes abzuhören. Hier vergeht die Zeit anders, hatte Kate einmal zu mir gesagt. Doch das es nun Nacht sein würde, kam mir schon reichlich seltsam vor. Es war das dumpfe Gefühl in der Magengrube, das mir prophezeite, dass etwas nicht stimmte. Ein widerliches Ziehen, das meine Übelkeit nur noch weiter steigerte und ich das Gefühl hatte, mich gleich in dem gemeinschaftlichen Bad übergeben zu müssen. Doch dadurch hätte ich Kate sehr wahrscheinlich geweckt, weswegen ich mich dazu zwang, den Würgereiz krampfhaft zu unterdrücken.
Unruhig trommelten meine Finger auf der Tagesdecke, welche durch ihr schlichtes schwarz-weißes Muster die düstere Stimmung nur noch mehr untermalte. Auch mein hektisches Herz konnte sich einfach nicht beruhigen. Auch nicht, nachdem ich mir zittrig die vor Dreck starre Kleidung vom Leib zog und mich in einen flauschigen Pyjama zwang, der sich eng an meine vor Schweiß feuchte Haut schmiegte. Es fühlte sich falsch an, sich hier in einem warmen Zimmer vorzufinden, eng in einen wärmendes Kleidungsstück gekuschelt, während Naimas letzten Minuten von Kälter und Dunkelheit geprägt waren. Ich sah noch immer den steifen und vollkommen erkalteten Körper vor mir, regungslos in seiner eigenen Blutlache. Vielleicht hatte Mr. Fensher Recht und Menschen waren wirklich zu schwach, um derartiges zu überwinden, doch ich konnte mich nicht dazu zwingen, sie einfach zu vergessen. Mich an seine Regeln zu halten und sie vollkommen aus meinem Gedächtnis streichen. Das konnte ich nicht. Ich konnte die grausamen Bilder nicht aus meinem Kopf verbannen. Sie kamen einfach wieder. Still und in der späten Abendstunde. Wie jetzt, wo ich so da so keinen Schlaf fand und vor lauter Grübeleien völlig in meiner eigenen Welt versank. Sie waren da und auch wenn ich noch immer nicht wusste, was Mr. Fensher mit seinem Verbot bezwecken wollte, so konnte ich mir nur sicher sein, dass er allemal eine Panik verhindern wollte. Nicht umsonst hatte er uns nichts von der beunruhigenden Nachricht erzählt, nicht umsonst hatte er uns gegenüber nicht erwähnt, was die Erpresser letztendlich verlangten und wer sie waren. Es gab viel zu viele Geheimnisse, die ich nicht lüften konnte und so deckten sich nur noch mehr auf, so tiefer ich in die Dunkelheit hineintrat. Ich wusste nicht einmal, was der Traum zu bedeuten hatte. In welchem Zusammenhang er stand und was ich erlebt haben musste, damit mein Unterbewusstsein derartig projizierte. Nirgendwo hatte ich Gewissheit. Ich wusste nicht einmal, wo der genaue Aufenthaltsort meine Eltern war, geschweige denn, wie ich mich von all dem Chaos schützen konnte. Eines war jedoch sicher: Ich würde nicht hier nicht herauskommen, ehe nicht alle Geheimnisse gelüftet wurden. Dafür waren sie viel zu wichtig, dafür waren sie schon viel zu sehr ein Teil von mir geworden. Genauso wie Jem und Kate. Was auch immer sie verbargen, irgendwann würde ich es wohl oder übel herausfinden müssen.

Wächter der ZeitWhere stories live. Discover now