10. Der feine Mr Styles

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"Natürlich hatte ich gewusst, dass Louis sauer war. Aber Amaras Aussage zerstörte sein Vertrauen zu mir komplett ..."

*****

Schon wieder übernachtete Amara auf dem Sofa meiner Wohnung. Seltsam, das letzte Mal, dass ein Mädchen mehrmals bei mir geschlafen hatte, war bestimmt einige Jahre her. Damals war es meine feste Freundin gewesen. Aber die Situation fühlte sich nun komplett anders an. Es lag wohl an den Umständen, die sie verursacht hatten.

Meine Eltern hatten mir einen fünfzehn Minuten langen Vortrag über Vernachlässigung der Arbeit gehalten, den ich schweigend über mich hatte ergehen lassen. Louis hatte Recht, es hätte mich viel schlimmer treffen können. Sie waren mir böse, jedoch stand niemals auch nur in Überlegung, mir zu kündigen. Ich war immerhin ihr eigen Fleisch und Blut.

Ich hatte nicht noch einmal versucht, Louis zu erreichen. Er hätte mir nicht geglaubt und ich hätte ihn damit wahrscheinlich nur noch mehr verärgert. Nein, ich musste es mit einem Gespräch klären! Nur leider hatte ich nicht den geringsten Schimmer einer Idee, wie ich das bewerkstelligen könnte.

Ich machte mich schon eine Viertelstunde früher als gewöhnlich für die Arbeit fertig, denn ich wollte sicher sein, dass ich garantiert nicht zu spät kam. Louis sollte sehen, dass ich meinen Vorsatz wenigstens erfüllte.

"Ich hoffe, es ist in Ordnung für dich, wenn du alleine in der Wohnung bleibst?", fragte ich Amara und band mir gleichzeitig vor dem Spiegel die Krawatte um.

"Natürlich", murmelte sie und ich warf ihr noch einen prüfenden Blick zu.

"Wenn ich du wäre, würde ich vielleicht nicht unbedingt nach draußen gehen. Sie wird die Umgebung sicher nach dir absuchen", riet ich ihr, aber Amara schüttelte mit dem Kopf.

"Ich werde so oder so gefunden werden", nuschelte sie und ich zog eine Augenbraue hoch.

"Trotzdem", meinte ich dann, "ist die Wahrscheinlichkeit geringer, wenn du hier bleibst. Das ist allerdings deine Entscheidung, ich werde dich nicht hier festhalten."

Damit nickte ich ihr noch einmal zu und verließ die Wohnung, um die Treppen hinunterzusteigen und die Hintertür zum Restaurant zu öffnen.

"Sieh an, der feine Mr Styles erscheint auch mal", hörte ich eine spottende Stimme. Es war Louis.

"Persönlich, dann muss es aber einen Anlass geben. Was für eine Ehre!", fuhr er fort und verbeugte sich tief, während er ein gekünsteltes Lächeln aufsetzte.

"Darf ich Ihnen einen Tisch reservieren? Oder begibt sich seine Hoheit zu dem niedrigen Niveau herab und hilft mit aufzubauen, sodass wir fertig werden, bevor die ersten Gäste kommen?"

"Louis", grummelte ich und nahm einen Stuhl vom Tisch, um ihn herunterzuheben. Sie standen dort, damit man den Boden besser putzen konnte. "Lass den Quatsch!"

Der Braunhaarige kniff die Augen zusammen.

"Das habe ich mir letztens auch schon mal gedacht. Du bist trotzdem abgehauen."

Seufzend drehte ich mich zu ihm und und ließ von der Arbeit ab.

"Was möchtest du haben? Geld für die Überstunden? Ich zahle dir das, was du verlangst", erklärte ich ihm, obwohl ich wusste, dass dies wohl der schlimmste Start überhaupt in ein solches Gespräch war.

Louis hob den nächsten Stuhl mit einem solchen Ruck vom Tisch, dass er mit einem lauten Geräusch auf dem Boden landete.

"Ich will dein Geld nicht", knurrte er.

"Was dann?", fragte ich verzweifelt und er sah mir einen Moment lang wütend in die Augen, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte.

"Die Wahrheit wäre schön", fauchte er dann, "denn ich hoffe, du hast einen wirklich guten Grund für dein Verhalten. Sonst würde ich nämlich sagen, dass du ein Riesenarschloch bist."

"Verdammt Louis, ich habe dir schon die Wahrheit gesagt! Ich schwöre dir, dass Amara verfolgt wird! Es ist eine Frau mit roten Haaren, die sich in ihre Wohnung geschlichen hat!"

Ungläubig starrte mein Freund mich an, doch nun hörte ich, wie sich eine Türklinke herunterdrückte. Mein Kopf fuhr herum, um das hellblonde Mädchen zu sehen, das durch den Hintereingang eintrat.

"Amara?", meinte ich fragend, doch sie schien abgelenkt zu sein.
"Da draußen" wisperte sie und deutete mit ausgestrecktem Finger auf die Fensterscheibe. "Er ist wieder da ..."

"Er?", sagte ich verwundert, "Ich dachte ..."

Sie nickte in Richtung eines Mannes, der sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit einem unserer Nachbarn zu unterhalten schien.

"Das ist er. Er beobachtet mich."

Ihre Stimme war viel zu hoch und wirkte panisch. Verwirrt starrte ich erst auf sie, dann nach draußen.

"Glaubst du, es ist eine ganze Gang?", mutmaßte ich schließlich, worauf keiner mehr etwas antwortete. Das Geräusch eines weiteren Stuhles, der viel zu fest auf dem Boden aufkam, riss mich aus den Gedanken.

"Tja, ihr solltet euch wenigstens die gleiche Lüge einfallen lassen", meinte Louis hart, seine Lippen verengten sich zu einem Strich.

"Louis, ich ...", begann ich, sah dann noch einmal Amara an und breitete verzweifelt meine Arme aus.

"... ich habe absolut keine Ahnung, was hier los ist", beendete ich meinen Satz dann und sah verärgert zu Amara.

"Was war mit der rothaarigen Frau? Ich dachte, die würde dich verfolgen!", meinte ich entgeistert.

Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. War es möglich, dass Amara mir alles nur vorgespielt hatte? Aber wozu sollte sie das tun? Was für einen Grund sollte es dafür geben? Außerdem sah sie nicht gerade so aus, als würde sie irgendetwas vortäuschen. Ihr stand die Angst ins Gesicht geschrieben.

"Du bist kein guter Lügner, Harry", meinte Louis, "aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du dich an die Arbeit machen könntest. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."

Geknickt half ich ihm dabei, die Stühle auf den Boden zu stellen. Warum musste hier alles nur so unglaublich falsch laufen?

"Entschuldigen Sie, könnten Sie das Restaurant möglicherweise verlassen? Wir möchten gleich öffnen", erklärte Louis Amara mit gezwungener Höflichkeit.

"Ist schon okay", schaltete ich mich ein, "willst du zurück in die Wohnung? Ich werde den Typen von hier aus beobachten und dafür sorgen, dass er nicht näher kommt."

Das Mädchen nickte mit einer abgehackten Bewegung, machte dann auf dem Absatz kehrt und verschwand durch die Tür ins Treppenhaus.

"Hoffen wir mal, dass du dich wenigstens heute zusammenreißen kannst", grummelte mein Freund, während er einen Putzlappen holte und begann, die Tische abzuwischen.

Ich erwiderte nichts darauf, einerseits, weil er so wütend war, dass ihn kein Argument der Welt hätte umstimmen können, andererseits, weil ich nicht wusste, wie ich ihm die Lage erklären sollte. All meine bisherigen Versuche waren gescheitert. Ich konnte nicht begreifen, was Amaras Aussage von dem Mann sollte. Konnte es wirklich sein, dass sie von einer ganzen Gruppe verfolgt wurde? Ich wusste es nicht, doch was ich wusste, war, dass es gefährlicher werden könnte, als mir lieb war.

Engelsgleich || h.s. ✓Kde žijí příběhy. Začni objevovat