14. Falsche Hoffnung

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"Vertraue niemals einem Glücksgefühl. Es lässt dich in dem Glauben, dass alles in Ordnung sei, auch wenn es das nicht ist. Es lässt dich glauben, du würdest fliegen, aber nur, damit der Aufprall noch schmerzhafter ist ..."

*****

Meine Glücksstimmung verflüchtigte sich so schnell, wie sie gekommen war. Dies lag alles an einer einzigen Entscheidung, die ich getroffen hatte: Amara dazu zu überreden, mit mir zusammen in eine Disco zu gehen.

Es war langsam Abend geworden und wir hatten nicht gewusst, was wir machen sollten, deshalb hatte ich es vorgeschlagen. Stundenlang hatten wir vorher einfach im Café gesessen und miteinander geredet.

Die Musik war ohrenbetäubend laut, es war eng und voll. Eigentlich war ich weder der Typ für solche Art von Partys, noch war ich vorher auf vielen gewesen. Jedoch wollten wir uns den Abend dadurch nicht verderben lassen. Wir waren so glücklich und zufrieden, dass wir nicht mehr auf die Vernunft hörten, die uns sagte, dass wir zurück gehen und das Glück nicht überstrapazieren sollten. Denn wenn man so voller Freude ist, wie wir zu diesem Zeitpunkt, fällt es einem schwer, die negativen Dinge zu sehen, die eine Handlung vielleicht haben könnte.

Amara war anfangs ziemlich unsicher. Als wir durch den Eingang hinein traten, zog sie die Schultern hoch und blickte ängstlich auf die große Menschenmenge, die sich auf der Tanzfläche zur Musik bewegte.

"Warst du schon mal in einer Disco?", fragte ich sie und sie schüttelte mit dem Kopf.

"Keine Angst, es ist nicht schlimm", beruhigte ich sie, griff entschlossen nach ihrer Hand und zog sie mit mir zur Tanzfläche hin.

"Man muss so etwas im Leben einmal gemacht haben", erklärte ich ihr und begann damit, leicht im Takt auf und ab zu wippen.

"Komm schon", ermutigte ich sie dann, nahm auch ihre andere Hand und zog sie zwischen vielen Tanzenden vorbei zu einem freien Platz irgendwo in der Mitte.

Sie schien unsicher zu sein, was sie machen sollte, doch ich lächelte ihr nur aufmunternd zu.

"Schließe einfach deine Augen und höre auf die Musik", meinte ich und lehnte meinen Kopf ein wenig in ihre Richtung, damit sie mich auch bei diese Lautstärke gut verstehen konnte. "Und jetzt: folge einfach deinem Gefühl. Du kannst nichts falsch machen."

Sie nickte einmal knapp, schloss dann aber wirklich ihre Augen. Ihr Brustkorb, der sich vorher durch zu schnelles Atmen hektisch auf und ab bewegt hatte, entspannte sich nun ein wenig, ihr Atem wurde gleichmäßiger, während sie einfach so mit geschlossenen Augen auf der Tanzfläche stand und der Musik lauschte. Wir kümmerten uns nicht um die anderen Leute, die begonnen hatten, uns schräg dafür anzusehen, dass wir uns nicht bewegten.

Irgendwann fing sie an, leicht im Takt auf und ab zu wippen, genau wie ich es vorher getan hatte. Grinsend bewegte ich mich nun ebenfalls ein wenig und zog sie mit mir. Erschrocken riss sie ihre Augen auf, bis sie erkannte, dass lediglich ich es war. Dann begann sie zu grinsen.

"Du tanzt", rief ich triumphierend. "Du tanzt in einer Disco!"

"Ja!", antwortete sie glücklich und drehte sich einmal um die eigene Achse.

"Wow", murmelte sie dann überwältigt. "Das hätte ich niemals erwartet. Nicht in meinen Träumen hätte ich mir so etwas ausmalen können! Es ist ... wundervoll!"

Sie strahlte mich an, weshalb ich nur noch breiter grinsen musste. Der Moment war einfach so perfekt!

"Wollen wir etwas trinken?", fragte ich sie dann und sie nickte überschwänglich.

Gemeinsam gingen wir zur Bar und bestellten uns etwas, was es war, konnte ich später nicht mehr sagen, so überwältigt war ich von all dem, was um mich herum passierte. Erleichtert, glücklich ...

Ich glaube, wir verbrachten dort mehrere Stunden ganz einfach mit Tanzen oder Gesprächen, obwohl man wegen der lauten Musik kaum etwas verstehen konnte.

"Das ist einer der schönsten Tage meines Lebens", lächelte Amara irgendwann und ich blickte freudig überrascht zu ihr.

"Komisch, mir geht es genauso", grinste ich und ein fröhliches Kribbeln machte sich in meinem Bauch breit. Vor allem wirkte sie heute so anders. Ich denke nicht, dass es ein Wort gibt, um dies zu beschreiben. Sie war normal und dennoch so außergewöhnlich für mich. Aber außergewöhnlich auf eine gute Art und Weise.

Doch irgendwann musste ich auf meine Armbanduhr schauen und feststellen, dass es schon lange nach zwölf war.

"Vielleicht sollten wir zurück zu Zayn?", schlug ich deshalb schweren Herzens vor. "Er wird sich garantiert Sorgen machen."

Meine Notiz hatte lediglich ausgesagt, dass wir ein wenig nach draußen gegangen waren. Davon, dass wir erst am nächsten Morgen zurückkehren würden, war nie die Rede gewesen, wahrscheinlich, weil auch niemand den Verlauf dieses Tages so geplant hatte, am wenigsten ich selbst.

"Müssen wir?", fragte sie traurig. Ich nickte.

Seufzend ergriff nun sie meine Hand. Zusammen gingen wir hinaus in die kühle Luft der Nacht. Die Musik war nur noch leise zu hören und ein einzelnes Auto fuhr durch die Straßen.

Amara rückte näher an mich heran und legte ihren Kopf auf meine Schulter.

"Ich will noch nicht zurück", murmelte sie wehmütig. "Ich möchte einfach hier bleiben und alles andere vergessen."

Zögerlich hob ich meinen Arm und legte ihn leicht um sie.

"Wir können das noch mal machen", sagte ich dann, "ich werde schauen, wann ich mir einen Tag frei nehmen kann und dann gehen wir einfach noch mal hier hin und wiederholen das alles. Nur weil der heutige Tag zu Ende ist, heißt es ja nicht, dass so etwas nie wieder passieren kann ..."

"Stimmt", lachte sie leise. "Wir haben noch ewig viel Zeit vor uns!"

"Genau", gab ich zurück. "Von mir aus machen wir das, bis wir alt und grau sind und uns kaum mehr auf den Beinen halten können."

Noch einmal lachte sie glücklich. "Vielleicht ja sogar noch danach."

"Ja, vielleicht auch dann ..."

Ich seufzte und sah die Straße hinunter. Die meisten Geschäfte hatten schon geschlossen, nur hier und da war noch eine Leuchtreklame zu sehen. Der letzte Bus war schon lange weg, wir würden wahrscheinlich zu Fuß laufen müssen. In diesem Moment erschien mir das jedoch nicht weiter schlimm, ich hätte wahrscheinlich alles gemacht, um ein wenig mehr Zeit mit ihr zu verbringen.

Doch den Mann, den ich, kaum zehn Meter von uns entfernt, entdeckte, war nicht unbedingt der, dem ich auf einem gemütlichen Spaziergang in Richtung Zayns Wohnung begegnen wollte. Er stand so, dass das gelbliche Licht der Straßenlaterne ihn gerade so erfasste. Unter der Kapuze, die er sich tief in die Stirn gezogen hatte, konnte ich lediglich einen Dreitagebart erkennen. Er war in dunklen Farben gekleidet und kam stetig auf uns zu.

"Amara", meinte ich in warnendem Tonfall und verstärkte meinen Griff um ihre Seite. Erstaunt sah sie zu mir auf.

"Was ist los?"

"Gehen wir", zischte ich ihr zu und beobachtete die Person aus dem Augenwinkel, die immer näher kam. Ihr Blick folgte meinem und sie starrte einen Moment lang auf den Mann, während ich merkte, dass sie sich verkrampfte.

"Oh scheiße", murmelte sie leise.

Der Bartträger stand nun nur noch einen Meter von uns entfernt.

"Willst du nicht mit mir kommen, Blondie?", grinste er bedrohlich und Amara schüttelte panisch mit dem Kopf.

"Das tut mir aber leid", meinte er mit einer widerlichen, schmierigen Stimme und kam noch näher, sodass er nun unmittelbar vor uns stand. Hinter uns war die Hauswand, wir hatten keine Möglichkeit zum Zurückweichen.

"Du wirst nämlich keine andere Möglichkeit haben", knurrte er, hob seine Hand und zeigte uns das scharfe Messer darin.

Engelsgleich || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt