Kapitel 26

321 30 0
                                    

Ich starrte vor mich hin, versuchte auf keinen Fall an die Dinge zu denken, über die ich nicht nachdenken wollte. Hoseok. Der Junge. Was er sagte. Hoseok. Wie er ihn wohl behandelte? So wie mich? Hatte er ihn lieber? War er besser?

Nein.
Stopp.
Atmen.
Nicht darüber nachdenken.

Weiße Wand, grüner Vorhang, blaue Bettwäsche, dunkler Fensterrahmen, Schreibtisch.

Stille. Es durfte nicht still sein... Wie soll ich mich sonst ablenken.

War er so unfassbar süß zu ihm wie zu mir? So besitzergreifend? Wie eine Blume, die das Wasser ganz für sich haben wollte. Nicht wie ein Stier, der nicht genug vom roten Tuch bekommen konnte. Diese Art von besitzergreifend. Er war so süß zu mir... gewesen.

Nicht darüber nachdenken... Fühlen. Der Stoff der Bettwäsche, die warme Morgensonne auf meinem Gesicht, mein Kopfkissen, die raue Wand, der weiche Pullover...

... Hoseok's Pullover. Ich biss mir auf die Lippe. Wieso trug ich ihn überhaupt noch? Wieso verbannte ich ihn nicht wie all meine Erinnerungen an ihn auch?

Natürlich. Weil es Hoseok war. Ich konnte ihn nicht verdrängen. Ich konnte mich nicht einmal ablenken.

Hausdächer, weiße Wand, Decke, Klamotten auf dem Boden.

Stille. Vielleicht sollte ich mir Musik anmachen? Aber ich wollte meine Eltern und meinen Bruder nicht wecken, falls sie noch nicht wach waren.

Ich atmete tief ein und seufzte. Was brachte das schon? Meine Gedanken wanderten immer wieder zurück. Zurück zu dem Telefonat mit Hoseok und dem Jungen. Zurück. Noch viel, viel weiter zurück...

Schüchtern lächelte ich Hoseok an. "Ähm, ich warte vor der Umkleide auf dich!"
Ich holte ihn von dem Sporttrakt ab. Wir wollten heute noch zusammen zum Tanzstudio. Es war unser Lieblingsort und wir beide liebten das Tanzen, umso besser, dass wir es zusammen machen konnten, auch wenn unsere Tanzstile verschieden waren, ich liebte diese Zeit zusammen. Er scheinbar auch.
Sanft lächelnd nickte er, während ich verunsichert hinter seinen Rücken lugte, wo sich die Jungs des Sportkurses versammelt hatten und uns amüsiert ansahen. Manche ihrer Blicke gefielen mir nicht, ich konnte es nicht genau erklären. Ich fühlte mich wie eine Robbe auf der Sandbank, die Jäger im Wasser lauernd.

"Wir sehen uns!" Damit drehte er sich um und ging mit den restlichen Jungs in den Umkleideraum. Erleichtert stellte ich meine Tasche ab, seufzte einmal laut auf und fing an meine angespannten Muskeln zu lockern, indem ich mich streckte.

Bald hätten wir Zeit für uns alleine.

Plötzlich ertönte lautes Gepolter und Gebrüll aus der Umkleide. Verwirrt wollte ich mich gerade zu der Geräuschkulisse umdrehen, als das Quietschen der Tür ertönte, gefolgt von einer tiefen, perversen Stimme.

"Nice ass!"

Mit großen Augen sah ich den Jungen, der meinen Arsch gerade angesprochen hatte, an. Ich war viel zu verwirrt, um irgendetwas über meine Lippen zu kriegen. Amüsiertes Getuschel erklang von den anderen Jungs, die dem Größeren aus der Umkleide gefolgt waren.

"Lass ihn in Ruhe", knurrte eine Stimme hinter ihm. Hoseok. Ich lächelte. Mit schnellen, bestimmten Schritten eilte er zu mir und legte beschützerisch einen Arm um mich. Sprich nie wieder so über meinen Freund, wie du es eben getan hast!"

Mit einem letzten bösen Blick in die Richtung des Arsches, band er mir seine Sweatjacke um meinen und ging, mit einem Arm um mich, mit mir davon.

"Was war in der Umkleide los?"

Stumm sah er mir in die Augen. Dann lächelte er sein schönstes Sonnenschein-Lächeln.
"Nichts worüber du dir Sorgen machen müsstest. Es hat mich nur aufgeregt, wie sie alle über dich geredet haben, als ob du ein Sexobjekt wärst!"

Warst du jemals besser?

"Aber keine Sorge, falls diese hirnlosen Affen noch einmal sowas sagen, ist dein Freund sofort zur Stelle, um die Prinzessin aus der Not zu retten!" Grinsend knuddelte er mich einmal durch und ließ seine Hände unter mein T-Shirt fahren. Sekunden später brach ich in lautem Lachen aus."Hoseok, das kitzelt!" Japsend versuchte ich ihn von mir zu drücken und mich gleichzeitig irgendwie auf den Beinen zu halten.

"Du bist MEIN kleiner Jiminie!" Lachend kitzelte er mich weiter, bis er endlich aufhörte und mich sanft ansah. "Mein fester Freund."
"Ich mag deine Worte, fester Freund!", grinste ich und stieß ihn leicht in die Rippen. Er grinste zurück.

Glücklich fing mein verliebtes Herz an höher zu schlagen.

Schmerzerfüllt verkrampfte sich mein gebrochenes Herz.

Ich hasste all diese Erinnerungen an ihn und doch waren sie das Wertvollste, das ich von ihm besaß.

 Ob Hoseok auch den neuen Jungen so behandelte? Wie konnte er all diese Momente vergessen? Ich konnte es nicht und es quälte mich von Tag zu Tag. 

Plötzlich wurde meine Zimmertür geöffnet und mein geliebter Bruder trat ein. Seine Miene war neutral und doch hatte er diesen mitleidigen Glimmer in den Augen, ich wusste, er hatte nichts Gutes zu sagen.

"Unsere Eltern wollen, dass du wieder zur Schule gehst."

LAST | JihopeWhere stories live. Discover now