28

2.4K 142 22
                                    

Was ich gegen Yun Shiwon unternehmen würde? Das hatte mich Chan nach meinem Ausbruch am Vortag gefragt und ich war nun sehr entschlossen, was die Antwort auf diese Frage anging. Zur Polizei würde ich nicht gehen, weil ich keine Ahnung davon hatte, wie um alles in der Welt ich aussagen sollte. Den Grund für mein so spätes Aufkreuzen wollte ich der Polizei nur ungern nennen. Eine anonyme Aussage hätte ich bestimmt auch machen können, aber lieber erzählte ich meinem Vater davon, dem ich es schon viel zu lange verschwiegen gehalten hatte. Er verdiente es zu wissen, was an jenem Abend wirklich mit Jeongin passiert war. Außerdem konnte er mir helfen. Es war zwar das erste Mal, dass ich somit seinen Ruf und seine Position als Vater für soetwas nutzen würde und der Gedanke daran hatte mir ein mulmiges Gefühl in der Magengegend bereitet, doch es würde bei diesem einen Mal bleiben. Denn ich liebte meinen Vater und unsere Beziehung zueinander beruhte alleine auf Gegenseitigkeit. Deswegen überlegte ich sogar, ihm vielleicht auch von der anderen Sache mit Shiwon zu erzählen. Aber es war nur eine Überlegung und ich würde es auf den Moment ankommen lassen.
Chan, der mir an diesem Nachmittag geholfen hatte, war sogar auf die Idee gekommen, dass er oder jemand anderes von den Jungs mich doch von der Schule abholen könnte, wenn ich nicht alleine gehen wollte. Und das obwohl ich ihm nicht einmal von der Fortsetzung des Spiels erzählt hatte. Schnell war ihm aber bewusst geworden, wie riskant das war. Je länger wir beide darüber nachdachten, desto größer wurden die Zweifel. Es war schlichtweg unmöglich, sich als Idol in die Nähe eines Schulgebäudes zu begeben, ohne entdeckt zu werden. Wäre er also kein Idol gewesen, hätte es funktionieren können. Dafür dass er allerdings seinem Traum nachging, indem er Mitglied einer Boygroup war und Musik produzierte, musste ich ihm dankbar sein, das wusste ich. Ansonsten hätten wir uns nämlich niemals kennengelernt und auch wenn, er aufgrund dessen nicht fähig war, mir außer der mentalen Unterstützung im Zusammenhang mit Shiwon auch in der Schule zu helfen, durfte ich mich nicht beschweren. Er versuchte es. Das war die Hauptsache. Obwohl es manchmal also nicht zu viel führte, wenn Freunde einem helfen wollten, musste diese Bereitschaft wertgeschätzt werden. Hilfe angeboten zu bekommen, war in dieser großen Welt bekanntlich nicht selbstverständlich.
Ursprünglich war ich nicht nur mit ihm gekommen, um ihm zu verraten, was gerade in meinem Leben vor sich ging und was ich ihm so lange verschwiegen hatte, sondern auch um wegen des nächsten Tages Zuflucht zu finden.
Und es hatte mir wirklich geholfen. Ich wusste, was ich als nächstes tun würde.
Selbst wenn ich nicht vor dem anstehenden Tag davon laufen konnte und er mir nur versucht hatte, zu helfen und nicht da sein konnte, hatte ich einen Weg gefunden, um all dem ein Ende zu bereiten.
Nachdem ich mich beruhigt und das Gespräch mit ihm beendet hatte, war es allmählich dunkel geworden. Der Himmel hatte sich erst rosa und dann immer röter verfärbt, bis er langsam lila geworden war. Es war zwar noch nicht nötig gewesen zurück zu laufen, da ich meinem Vater eine zusätzliche Nachricht über KakaoTalk hatte zukommen lassen, damit er sich keine Sorgen machen würde, aber unser Weg hatte schon bald Richtung Zuhause geführt. Denn Chan hatte darauf bestanden, wegen der Uhrzeit heimzukehren, allerdings ebenfalls mich bis zu meiner Haustür zu bringen, bevor er sich selbst zum Dorm begeben würde. Die Straßen waren beleuchtet gewesen, so wie man sie eigentlich jeden Abend vorfand. Natürlich waren noch viele Leute unterwegs gewesen und nichts hatte den Eindruck gemacht, dass eine Stadt wie Seoul auch gefärliche Seiten hatte. Doch wenn man sich, so aufgewühlt wie ich es oft war, in den Gassen und dunklen Straßen verlor, konnte es vorkommen, dass nicht nur die Schatten einem Angst einjagten. Oft waren es ganz andere Gestalten, auch wenn die meisten von ihnen bestimmt nur harmlose Passanten waren.
Dass mein Vater mir normalerweise nicht erlaubte, so spät noch draußen herumzuwandern, blendete ich an manchen Tagen komplett aus, doch immer wenn mir beim überqueren einer leeren Straße dieses beklemmende, Furcht erregende Gefühl bewusst wurde, musste ich an seine Worte zurückdenken. Solange ich mich nicht im Dunkeln befand, nahm ich seine Aussagen nie wahr. Wurde die Stille jedoch zu laut und die Straßen leerer, wünschte ich mir immer, ihm vorher zugehört zu haben.
Seit jenem Abend allerdings war ich vorsichtiger geworden, denn es war das erste Mal gewesen, dass etwas passiert war, als ich gegen seinen Rat gehandelt hatte. Ohne Chan wäre ich an diesem Abend niemals solange draußen geblieben.

Hidden Face [Stray Kids FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt