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Später im Tanzstudio der Jungs, nachdem alle vom Mittagessen zurückgekommen waren und Chan und ich etwas von der Pizza abbekommen hatten, erzählte ich den Jungs schließlich von meiner Kopfverletzung. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich diesen Moment auch hinauszögern können. Allerdings war nun Jeongin ebenfalls der Verband an meiner Stein aufgefallen, wodurch auch Changbin und Felix wieder auf ihre Frage von zuvor zurückkamen. Eigentlich war nichts schlimmes oder schwiederiges daran, ihnen von dem Grund der Verletzung zu erzählen. Es kam mir nur komisch vor ihnen nach all dieser Zeit wieder von Shiwon zu erzählen, wo alle ihn schon längst vergessen haben mussten und dies nur ein altes, unangenehmes Gesprächsthema wieder an die Luft rief.
Chan hatte man ebenfalls nach seinem Gesicht und den Händen ausgefragt, sodass letztendlich jeder über allesbescheid wusste, auch wenn Chan und ich uns beide kurzgefasst hatten.
Da seine Mitbewohner allerdings zu erkennen schienen, dass ihm das Thema etwas unangenehm war und er sich bewusst kurz gefasst hatte, blieben weiter Fragen aus. Sie baten ihn lediglich, demnächst vorsichtiger zu sein und seine Hände zu schonen. Mich hatte man gebeten sitzen zu bleiben und anschließend mit ihren Jacken zugedeckt. Und obwohl ich ihnen schon verkündet hatte, dass ich weder frohr, noch wie ein kleines Mädchen behandelt werden wollte, hatten Seungnmin und Jeongin mir tatsächlich eine Wärmflasche und ein Kissen geholt. Ich seufzte schmunzelnd, als sie begannen sich für das Tanzen aufzuwärmen. Wie dankbar ich ihnen war, dass sie nicht weiter nachfragten. Sie wussten, dass ich sie ansprechen würde, sobald ich über mehr reden wollte. Chan sah um einiges schlimmer aus als ich und sie machten sich trotzdem Sorgen um mich.
Es war nicht einmal so unbequem in all den kuscheligen Jacken und mit einem Kissen im Nacken. Vielleicht sogar angenehm, aber als ich die Musik in den Ohren vernahm, fiel es mir plötzlich schwerer mich zu entspannen. Wie gerne ich mich zu ihnen gesellt hätte, um mit ihnen zu tanzen. Das war es, was ich am Besten konnte. Doch ich wusste, dass mein Körper Ruhe brauchte. Deshalb wandte ich den Blick vom großen Spiegel an der gegenüberliegenden Wand ab und schloss müde die Augen, bis die Musik wieder aufhörte.
Machmal stellte ich mir vor, wie es hätte sein können, wenn ich ebenfalls Teil des Unternehmens meines Vaters wäre. Würde ich auf großen Bühnen stehn? Im Rampenlicht und würde ich dort alleine stehen oder in einer Gruppe? Würde ich singen oder rapen?
Alle diese Fragen blieben unbeantwortet, doch ich wusste, dass ich mich im hier und jetzt besser fühlte. Einerseits weil ich es hasste im Rampenlicht zu stehen, andererseits weil das Gespräch, welches die Jungs als nächstes führten, mir viel zu kompliziert vorkam. Und das obwohl ich nur dabei saß und nichts tat. Sich alleine eine Choreographie für einen Song auszudenken war eine Sache, aber sich eine Choreo für das eigene Lied und als Gruppe auszudenken, war etwas anderes. Jisung, Changbin, Chan und Minho dabei zuhören zu müssen, wie sie versuchten, passende Tanzschritte für den Rap-Teil ihres neuen Songs zu finden, während die anderen Jungs entweder tanzten oder auf der anderen Seite des Raums Quatsch machten, machte mich ganz brausig. Ich überlegte für einen Moment, ob ich rausgehen und Wasser für uns alle besorgen sollte. Da ich jedoch von mindestens einem der Anwesenden aufgehalten werden würde, bevor ich einen Schritt machen konnte, beließ ich es dabei und holte stattdessen mein Handy raus. Tauschte Nachrichten mit meinem Vater aus und wollte es gerade wagen, ein Foto von den Vier im Kreis sitzenden aufzunehmen, als Seungmin sie unterbrach. Vier Wasserflaschen wurden ausgehändigt, dann hielt er mir eine vor die Nase.
Ich bemerkte, dass es die letzte Wasserflasche war, während meine Augen an seiner Hand hingen. Und nachdem ich kleine Schweißtropfen an seiner Stirn glänzen sah, schüttelte ich verneinend den Kopf. "Nimm du sie, es ist die letzte. Ich habe eh keinen Durst.", die Wüste in meinem Hals sagte zwar das Gegenteil, aber das musste er ja nicht wissen. Dankend erwiederte er mein Lächeln und wandte sich wieder den anderen auf der Tanzfläche zu.
Eine halb volle Wasserflasche wurde mir vor die Nase gehalten und ich blickte Chans Hand entgegen. "Hier, du bist sicher durstig." Ich zögerte zuerst. Da ich allerdings nicht lügen konnte, solange mich seine braunen Augen anstrahlten, nahm ich die Flasche schließlich dankbar entgegen. Schmunzelnd nahm ich einen Schluck der kühlen Flüssigkeit und wie von selbst legte sich mein Kopf dann auf seine Schulter. Erst schloss ich meine Augen und lächelte, doch als ich sie wieder öffnete, hatte man aufgehört zu sprechen. Ich sah in die Runde, um herauszufinden, was die plötzliche Stille verursacht hatte. Das einzige was ich jedoch entdecken konnte, war ein Changbin, der aussah, als hätte er sich soeben an seiner eigenen Spucke verschluckt, und das nur bei meinem Anblick. Langsam und ohne zu atmen bewegte ich mich zurück in die Senkrechte. Hoffte, dass er nicht das dachte, was ich befürchtete. Warum hatte ich mich bloß so unüberlegt an Chans Schulter gelehnt? Sie würden nur auf dumme Ideen kommen!
Der auf dem schwarzen Sofa sitzende Minho sah ebenfalls auf mich hinab, auch wenn sein Blick nicht ganz so einen geschockten Ausdruck machte. Ich sah, wie er Changbin mit dem Fuß antsupste und somit die Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkte. Ob er dies tat, um mir zu helfen oder damit nicht jemand darauf kam, ihn ebenfalls darauf anzusprechen, dass Jisung halb auf ihm lag, wusste ich nicht. Vielleicht war es auch beides. Oder er wollte mir nicht die Möglichkeit geben, mich und Chan als Erklärung mit ihnen beiden zu vergleichen. Aber wer wusste das schon? Minho war mir genauso ein guter Freund, wie er mir ein Rätsel blieb.
Ich dachte für einen Moment, Minhos Stupser würde Changbin ablenken. Jedoch wandte er sich so schnell wieder uns zu, wie er Minho einen verwirrten Blick zugewandt hatte. "Sag mal, läuft etwas zwischen euch?", ich spürte das Blut in meine Wangen steigen. Wenn ich weiterhin über diese Frage nachdachte, würde meine Gesichtfarbe mich womöglich verraten. Deshalb holte ich tief Luft und antwortete: "Was ist so schlimm daran, sich an jemanden zu lehnen? Jeongin und Seungmin haben schließlich auch nichts am Laufen." Wie aufs Wort fuhren die Köpfe der Jungs herum und sie sahen verwundert zum Zentrum des Raumes, wo Seungmin sich mitten im Tanz auf das jüngste Mitglied schmiss. Minho zeigte mir ein Grinsen, welches ich nicht deuten konnte. Also erwiderte ich nur ein krummes Lächeln.
Ich spürte Chans Blick von der Seite, doch ich war zu fokussiert darauf, lässig und ruhig rüberzukommen, damit sie auf keinen Fall herausfanden, dass ich sie gerade indirekt anlog!
"Bin ich der einzige, der es trotzdem merkwürdig findet, wie ihr in letzter Zeit förmlich aneinander klebt?", ich hatte unsere Beziehung zueinander noch nie auf diese Weise gesehen, bevor Changbin dies sagte.
Irgendwie hatte er Recht. Ich hatte in den Augen der Jungs noch nie so viel Zeit mit ihrem Leader verbracht wie heute. Es musste wirklich etwas komisch rüberkommen, zumal sie nie mitbekommen hatten, wie Chan und ich uns regelmäßig außerhalb und alleine verabredet hatten.
Wie sollte ich mich ihnen bloß erklären? Konnte ich sie anlügen, wenn ich es ihnen später sowieso erzähle musste?
"Hätte jemand etwas einzuwenden, wenn wir mehr als nur Freunde wären?", ein Wasserschwall verließ meine Mund und ich musste bei dem Versuch nicht zu ersticken, versuchen an Jisungs Gesicht vorbeizuhusten. Noch nie hatte ich mich so verschluckt. Jisung sah erst mich erschrocken und dann fassungslos Chan an. Und hätte Minho -, der komischerweise nicht den Anschein machte, überrascht zu sein - nicht angefangen zu lachen, hätte ich jetzt vielleicht gewusst, wie meiner Lunge zu helfen war. Alle Augen hatten sich auf uns gerichtet. Changbin sah etwas sprachlos aus, obwohl er als erster darauf eingegangen war und ich seine Reaktion anders erwartet hatte. Und irgendwie konnte ich es Chan nichtmal böse nehmen. Nur war es ein bisschen unerwartet gewesen und vielleicht nicht der allerbeste Zeitpunkt.
"Hätte nicht gedacht, dass unser Leader uns als erster Ärger einbringt. Dabei hat unsere Kariere nicht einmal richtig angefangen.", kam es von Hyunjin, der etwas entfernt von uns stand und Chan seine Meinung zwar vorwurfsvoll aber nicht verärgert mitteilte.
Die anderen ließen uns erst gar keine Zeit zwischen ihren Aussagen über das gesprochene nachzudenken. Von überall her kam es,
"Minho und Jisung sind doch auch so gut wie verheiratet!"
"Warte mal, Kairi. Wie wirst du das deinem Vater erklären?"
"Sollten wir uns nicht für sie freuen oder zumindest so tun?"
"Wer umarmt mich jetzt, wenn Chan vergeben ist?"
"Ich!"
Chaos.
Meine vorletzte Sorge hatte sich erledigt, bevor ich überhaupt darüber hatte nachdenken können, wie ich den Jungs von Chan und mir erzählen würde. Und obwohl sie es nicht schlecht aufzunehmen schienen, wusste ich nicht, was ich von diesem Kindergarten halten sollte.
Ich sah zu Chan hinüber. Sein enttäuschter Blick war auf die Jungs gerichtet, die sich so laut verhielten, dass er seine Augenbrauen verzweifelt zusammenzog.
Ich verspürte zwar ein Gefühl von Ärger, da er nicht mit mir auf den richtigen Moment gewartet hatte, doch sein Gesichtsausdruck ließ die gemischten Gefühle verschwinden. Er machte den Anschein, als hätte er die Reaktion der Jungs anders erwartet. Gehofft das dieser Zeitpunkt womöglich der Richtige wäre.
"Hör auf sonst bekommst du noch Falten.", bei diesen Worten erhob sich sein Burstkorb, als hätte er für eine Weile die Luftangehalten. Dann blickte er mit der selben angestrengten Miene zu mir herüber. "Es tut mir leid, Kairi.", sein Kiefermuskel zuckte kurz, während ich meinen Daumen zwischen seinen Augenbrauen plazierte. "Wahrscheinlich hätten wir nie den richtigen Moment gefunden, also entschuldige dich nicht. Aber hör auf mit deinen Augenbrauen nutzlose Falten zu produzieren. Nachher bekommst du noch Kopfschmerzen.", er tat, wie ich ihm befahl und ich lächelte. Dann wandte er sich wieder mir zu: "Wäre es schlimm, wenn ich dich jetzt nach Hause bringe? Es ist schon spät und ich glaube, sie werden sich, wenn du auch hier bist, bis morgen nicht mehr abregen."
Nachdem ich verstehend genickt hatte, ergriff er meine Hand vom Boden und zog mich mit sich auf die Beine.
"Lass uns einfach ein paar Minuten frische Luft nehmen.", wiederholt er sich lauter, wie um den Jungs mitzuteilen, dass er für eine Weile abwesend sein würde. Felix, welcher sich gerade mit einem englischen Ausruf auf uns zubewegt hatte, blieb bei Chans Ankündigung an Ort und Stelle und sah uns nur still beim Verlassen des Raumes zu. Selbst wenn er aussah, als hätte er die Neuigkeiten jetzt verarbeitet, konnte ich ihm lediglich zuwinken. Dann hatte Chan die Studiotür geöffnet und zog mich an seiner Hand heraus.
Konnte es sein, dass dies unser richtiger Anfang war? Jetzt wo wir fast alle Hürden überschritten hatten und hoffentlich acht oder mehr Leute auf unserer Seite standen? Würde es jetzt einfach werden, oder überhaupt anders?
Seine Hand lag warm in meiner und auch wenn es sich merkwürdig anfühlte, so unbeschwert mit ihm durch ein Gebäude zu laufen, in welchem es beinahe jeder Person verboten war, eine Beziehung wie diese zu führen, konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Die Zukunft war für uns bestimmt und ich würde nicht einen Moment an meinen Gefühlen für ihn zweifeln. Niemals.

Hidden Face [Stray Kids FF]Where stories live. Discover now