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Das Donghae's Kape war wie gewohnt spärlich gefüllt, als ich mich am nächsten Nachmittag in ihm wiederfand. Obwohl man in koreanischen Restaurants normalerweise die Schuhe am Eingang abzulegen hatte und dies hier nicht zutraf, glänzte der karrierte Boden im Tageslicht wie eine polierte Christbaumkugel. Die Polster in der Sitzecke, in welcher ich platz genommen hatte, machten nicht einmal einen abgesessenen Eindruck. Und auch wenn im Moment nicht so viel Kundschaft herrschte, war ich mir sicher, dass die meisten Leute hier nicht nur wegen dem guten Essen zu speisen pflegten. Ebenso der rothaarige Kellner, die stilvolle Einrichtung und die klassische Musik schienen einen, jedes Mal wenn man in der Nähe war, wie ein Magnet in das kleine Straßencafé zu lenken.
Vor mir stand ein halbvolles Wasserglas und daneben mein Schulzeugs. Mein Ranzen musste irgendwo unter dem Tisch liegen. Da ich am Vortag nicht mehr dazu gekommen war, einiges für die Schule zu erledigen und ich direkt nach der Schule hergekommen war, verbrachte ich das Warten einfach damit, den lästigen Aufsatz für den Geschichteunterricht vorzubereiten.
Aus der Ferne war Geplauder zu hören. Geräusche von Geschirr und heißer Pfannen drangen aus der Küche zu mir herüber. Was die Jungs anging, sie würden erst in einer Viertelstunde dasein. Aber zumindest blieb mir so etwas Zeit, um mich noch mit dem Thema Russisch-Japanischer Krieg auseinanderzusetzen.
Um ehrlich zu sein, galt meine Aufmerksamkeit allerdings nicht vollständig der Geschichte Koreas. Ich konnte nicht verhindern, beim Lernen an Stray Kids und das anstehende Treffen zu denken. Doch hauptsächlich beschäftigte ich mich mit meinen Gedanken an Chan.
Seit dem Vortag fragte ich mich, ob ihm mein Verhalten vor dem Blumenbeet aufgefallen war. Denn er hatte sich gestern kaum am Chat beteiligt, obwohl er ihn selbst erstellt hatte. Konnte es sein, dass er vielleicht bemerkt hatte, wie ich ihn angestarrt hatte?
Außerdem wollte ich wissen, ob das Gefühl in meinem Bauch nur Produkt einer Magenverstimmung war oder es sich möglicherweise um das Gefühl handelte, über welches Autoren in Büchern immer schrieben. Bestand die Möglichkeit, dass die Situation des vorherigen Nachmittags irgendetwas in mir entfacht hatte? Im Zusammenhang mit Chan, dem Leader einer Boygroup und angehendem Star?
Schnell verscheuchte ich diesen Gedanken aus meinem Kopf, indem ich einen großen Schluck von meinem Getränk nahm. Außer dem heutigen Frühstück, welches mein Vater mir unter viel Protest hatte aufzwingen müssen, war ich seit dem letzten Tag dabei, meinen Magen leer zu halten. Dieses Gefühl war so merkwürdig! Ich wünschte, es wäre wie eine einfache Magenverstimmung im Verlaufe des Schultages verschwunden, doch es ließ mich immer noch grübeln, wenn es bei dem Gedanken an Chan meinen Bauch plötzlich zum Kribbeln brachte. Aber nun spürte ich auch den Hunger, der mich förmlich von Innen aufzufressen schien.
Hätte mich Changbin nicht eben über ihre verspätete Ankunft informiert, wäre ich womöglich schon vor einigen Minuten aufgesprungen, um mir etwas zum Essen zu holen. Als wohlerzogener Jugendlicher blieb mir jedoch nichts anderes übrig, als auf sie zu warten.
Damit ich demgegenüber nicht in kürze vor knurrendem Magen von der Bank kippte, nahm ich einen weiteren Schluck vom Wasser.
Nicht zum ersten Mal an diesem Tag stellte sich mir eine spezielle Frage: Sollte ich Stray Kids nicht lieber von der Wahrheit erzählen? Von dem anderen Grund für Jeogins Verletzungen?
Denn selbst wenn Shiwon der Inbegriff alles Bösen war, verdiente er es zumindest, wegen Dingen beschuldigt zu werden, die er getan hatte und nicht wegen Sachen, die ich mir ausgedacht hatte. Würde es mir dabei helfen, dieses Kapitel meines Lebens abzuschließen? War ich als ihre Freundin nicht sogar dazu verpflichtet ihnen die Wahrheit zu sagen?
Es klopfte am Glas der großen Fensterfront und ein paar Kunden sahen verwundert auf. Die beiden schwarzhaarigen auf der anderen Seite der Scheibe lachten und winkten mir anschließend zwinkernd zu. Wäre ich nicht fähig dazu gewesen, Changbin und Jeongin auch mit Mundschutzmaske und Cap zu erkennen, hätte ich in der nächsten Sekunde vermutlich peinlich berührt meinen Kopf gesenkt. Nachdem Hyunjin vor dem Glas allerdings die Hände hob, um diese dann über seiner Kaputze zu einem Herz zu formen, war mir klar, dass es sich tatsächlich um meine Chaoten handelte.
Darüber weshalb sie so gut gelaunt waren, hatte ich noch nichts erfahren, aber es freute mich unheimlich, sie so glücklich zu sehen.
Während sie also durch die Eingangstür spaziert kamen, begann ich schnell die Hefter und Stifte zurück in meine Tasche zu packen. Auf die Idee, sie zu zählen, kam ich erst gar nicht.
Mit einem etwas zu lauten "Hallo!", was an den Kellner an der Theke gerichtet zu sein schien, begaben sie sich in meine Richtung und begrüßten auch mich noch einmal gemeinsam. Spaßend ließen sich Jisung, Changbin, Jeongin, Minho, Hyunjin und Felix auf den Plätzen um mich herum nieder. Minho und Felix wurden meine neuen Sitznachbarn. Changbin, Jeongin und Hyunjin hatten ebenfalls einen Platz auf der Bank ergattert, sodass nur Jisung auf einem Stuhl sitzen musste. Genauso wie drei Stühle übrig geblieben waren, fehlten allerdings auch drei Personen.
"Hatten Seungmin, Woojin und Chan keine Lust zu kommen?", erkundigte ich mich bei ihnen, nachdem jeder sich seiner Jacke und Maske entledigt hatte. Durch Blicke schienen sie entscheiden zu wollen, wer antworten sollte, woraufhin Felix sich zu Wort meldete: "Sie warten wieder gemeinsam auf Seungmin. Bis sein Gesangsunterricht zuende ist."
"Ach so.", ich nickte verständnisvoll. "Ich nehme an, wir bestellen erst, wenn sie da sind." Sie bestätigten meine Aussage mit einem synchronen Nicken und schon fingen alle wieder an, miteinander zu quatschen. Mein Magen musste sich wohl oder übel hinten anstellen, nach kurzer Zeit kamen jedoch endlich die restlichen Member dazu.
Seungmin und Woojin machten sogar wie Changbin und der Maknae durch die Fensterfront auf sich aufmerksam und grinsten mir beim Niederlassen auf den Stühlen verschmitzt zu. Ich musste in meiner Schuluniform ziemlich lustig für sie aussehen, wo sie doch alle ganz normal gekleidet waren. So normal wie man es bei Idolen eben erwarten konnte.
Als nächster setzte sich Chan und das genau gegenüber von mir. Ich musste schlucken, weil sich gleich im Anschluss an seine freundliche Begrüßung wieder dieses Gefühl in meiner Magengegend ausbreitete. Und ich hatte es gerade vergessen können. "Wollen wir bestellen? Ich sterbe vor Hunger... Oder braucht noch jemand eine Speisekarte?", sprach ich.
Weil jeder mit einer Karte versorgt war und bald alle etwas für sich gefunden hatten, kam gleich der Kellner dazu. Mit gezücktem Stift und einem kleinen Block fing er an jeden der Reihe nach, nach seinem Wunsch zu fragen. Wir waren sogar ziemlich schnell fertig, bevor der Kellner sich jedoch zum Gehen abwenden konnte, meldete Chan sich noch einmal zu Wort: "Ein Wasser hätte wir gerne noch, bitte."
Ich zog ein wenig durcheinander die Augenbrauen zusammen. Hatte er sich nicht bereits etwas zum Trinken bestellt?
Gerade als der Kellner durch die Küchentür verschwand, fiel mir ein, dass ich ganz vergessen hatte, mir ein neues Wasser zu bestellen. Immerhin war meins, welches ich mir zum Warten bestellt hatte, beinahe leer. Dann musste ich wohl, wenn er mit unserem Essen zurückkommen würde, danach fragen.
"Okay.", begann ich, nachdem ich mich den Neun wieder zugewandt hatte. "Erzählt mir von Japan!" Bei diesem Satz legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen, das Chans gestrige Aussage direkt bestätigte. Das sie aufgeregt waren, erschien mir plötzlich unglaublich untertrieben. Ein paar von ihnen veränderten ihre Sitzposition, um mir sofort mitteilen zu können, was es mit dieser Reise auf sich hatte.
"Wir werden District 9 aufführen. Mit einem neuen Intro und vor tausenden von Menschen.", prahlte Hyunjin. "Du weißt was die Kcon ist, oder?" "Ja, ich glaube schon. Gibt es die nicht auch in anderen Ländern?"
Jisung lehnte sich auf seinem Stuhl soweit nach vorne, dass ich schon befürchtete, er würde sich an der Tischkante in zwei teilen. Er hob zählend die Finger: "Also es gibt dieses Jahr auch die Kcon NY und Thailand, an denen wir vielleicht teilnehmen können."
Ich hob grinsend meine Daumen in die Höhe.
Minho neben mir erhob als nächstes die Stimme: "Neben unserem Auftritt als Gruppe haben wir aber noch einen Auftritt mit Jang Wooyoung von 2pm. Er ist auch ein Idol und etwas älter als wir." "Seine Gruppe gibt es schon seit 2008.", fügte Woojin nach einer Weile hinzu.
Ich lächelte: "Dann könnt ihr bestimmt viel von ihm lernen. Also natürlich nur im positiven Sinne gemeint. Macht es euch denn Spaß mit ihm zusammenzuarbeiten?"
Wieder nickten sie alle und ein großes Lächeln stahl sich auf meine Lippen.
Sie so aufgeregt und froh zu sehen, ließ es einfach nicht anders zu: Ein Dauergrinsen würde wohl bald zu meinem Markenzeichen werden.
Eines war klar: Solange sie noch für mich Zeit hatten, musste ich mich so oft wie möglich mit ihnen treffen, denn ich ahnte, dass es ihnen in Zukunft wahrscheinlich an freien Stunden fehlen würde.
Der mit einem Tablett voll Gläser belandene Keller riss mich aus den Gedanken zurück in die Realität. Die anderen stellten ebenfalls ihre Gespräche ein, damit der Rothaarige ungestört die Getränke verteilen konnte. Theoretisch war das gar nicht so schwer, weil fast jeder sich eine Cola besellt hatte. Nur Chan hatte sich aus irgendeinem Grund noch ein Glas Wasser dazu bestellt.
"Für wen war das Wasser?", erkundigte sich der Kellner im nächsten Moment. Ich konnte ihm die leichte Verwirrung nicht verübeln. Immerhin konnte einen das eigene Erinnerungsvermögen bei neun Leuten schon mal täuschen und vor allem, wenn einer zwei Getränke bestellt hatte.
"Für sie.", antwortete Chan und deute mit einer kurzen Handbewegen in meine Richtung. Verblüfft öffnete ich den Mund: "Oh ja... Ehm, Danke!"
Ich nahm das Glas entgegen, welches der Kellner mir reichte und gab ihm gleich darauf, das leere Glas in di Hand. Und somit musste ich mir nicht einmal ein weiteres Getränk bestellen...
Dankbar lächelnd sah ich zu Chan hinüber, doch er hatte seinen Blick bereits von mir abgewandt. Ob er dem Gespräch der Jungs tatsächlich folgte oder nur mit einem Ohr zuhörte, konnte ich nicht sagen. Aber irgendwie wirkte er ein wenig abwesend. So als wäre er in Gedanken ganz woanders.
"Wie ist eigentlich deine neue Tanzschule? So viel hast du uns ja noch nicht von ihr erzählt.", kam es nach einigen Sekunden von Seungmin. Aus Gewohnheit schlug ich die Beine übereinander und nahm einen kleinen Schluck von dem Getränk, um meinem trockenem Hals etwas gutes zu tun. "Also eigentlich läuft es dort sehr gut. Die Lehrer sind nett, die anderen Tänzer auch und lernen tut man dort viele neue Sachen. Ich muss zugeben, dass dieses Tanzstudio um einiges besser besucht ist, als meine alte Tanzschule. In meinem Kurs lerne ich nicht nur Jazz Dance und Modern Dance, sondern auch Hip-Hop und andere Tanzstile. Momentan habe ich nur Mittwochs und Samstags Training, was ein bisschen schade ist, aber an den restlichen Tagen sind eben die öffentlichen Tanzstunden. Das Tanzen im JYP-Gebäude kann allerdings durch nichts übertroffen werden, hab' ich recht?", erzählte ich. Zum Schluss vernahm ich von einigen von ihnen ein Lachen.
"Gehst du denn nicht zu den öffentlichen Tanzstunden?", hakte Minho zu meiner Rechten nach. Nach einer kurzen Überlegung schüttelte ich den Kopf: "Naja. Wenn man bedenkt, dass ich ja erst eine Woche dort Tanzen gehe, hatte ich nicht einmal viel Zeit um das öffentliche Training auszuprobieren. Ich war tatsächlich einmal dort, aber irgendwie war es mir dann zu voll. Die Gruppe, in der ich jetzt tanze, hat dagegen eine recht angenehme Größe."
"Zweimal Bulgogi?", fuhr der Kellner in der nächsten Sekunde fort und sah in die Runde. Neben ihm stand plötzlich eine weitere Bedienung und nachdem er die beiden Teller gebratenes Rindfleisch an Changbin und Joengin gegeben hatte, um die nächsten Gerichte zu holen, kam die junge Kellnerin an die Reihe. "Zweimal Ramen und einmal Süß-Sauer Chicken?", erkundigte sie sich. Schnell hatten Chan, Jisung und Woojin ihr Essen vor der Nase stehen. Das Bibimbap für Felix kam im Anschluss mit dem gebackenen Huhn, welches Minho und ich uns bestellt hatten. Hyunjins Bestellung wurde ihm als letztes gereicht, doch das war ihm das Jjajangmyeon sicherlich wert.
Nach einigen Minuten, in denen wir alle durch unser Essen vom Sprechen abgehalten worden waren, machte ich eine kurze Pause, um sie auf etwas anzusprechen: "Ich hoffe, dass ruiniert jetzt nicht die Stimmung, aber: Wie ist und war eigentlich euer Verhältnis zu meinem Vater? Er ist doch nicht strenger zu euch gewesen, nachdem er von unserer Freundschaft erfahren hat?" Für einen kurzen Moment betrachteten sie mich überrascht. Anscheinend hatte sie wirklich nicht erwartet, diese Frage jemals von mir gestellt zu bekommen.
"War er tatsächlich strenger zu euch?", wiederholte ich mich in Alarmbereitschaft, als sie anfingen, Blicke auszutauschen. Bevor ich allerdings fortfahren konnte, schüttelten gleich drei von ihnen mit dem Kopf. "Nein, so ist es nicht.", kam es schließlich von Chan und Changbin fügte hinzu: "Eigentlich verstehen wir uns seitdem sogar besser." Jisung antwortete: "Wir haben seit unserem Debut sowieso mehr Kontakt zu ihm, aber durch dich haben wir ihn erst richtig kennengelernt." Dankbar für ihre Antworten nickte ich. "Okay, ich wollte nur mal sichergehen. Habt ihr denn Vorschläge für einen Themenwechsel?"
Jeongin, der seinen Teller Bulgogi schon fast aufgegessen hatte, ließ mit erhelltem Gesichtsausdruck die Essstäbchen sinken. "Ja!", rief er freudestrahlend, woraufhin alle zu lachen begannen. Zwar ließ ihn das kurzzeitig verstummen, doch schnell hat er seine Fassung wiedererlangt. "Wann hast du eigentlich Geburtstag? Du hast uns nie davon erzählt, was du in deiner Vergangenheit so gemacht hast oder jetzt an deinem Geburtstag machst."
Verdutzt blinzelte ich. Tatsächlich. Immer erkundigte ich mich nur bei ihnen, was sie denn schon alles erlebt hatten. Dabei war mein Leben für sie wahrscheinlich gar nicht weniger interessant. Es war eben nur ich, die es für unwichtig empfand, alte Geschichten auszugraben und mal nicht im Hier und Jetzt zu leben.
"In Ordnung.", kam dann von mir, während ich mich sammelte. "Zuerst sagt ihr mir aber, wann ihr Geburtstag habt. Ihr werdet es nämlich einfacher haben euch mein Geburtsdatum zu merken als ich mir das Eure. Immerhin muss ich mir ganze neun merken und ihr euch nur ein zusammen." Lächelnd holte ich einen Zettel und einen Bleistift aus meiner Schultasche hervor und bedeute ihnen, anzufangen zu sprechen. Woojins und Hyunjins Datum hatte ich bereits im Kopf, weshalb letztendlich nur sieben andere Daten auf dem Papier notiert waren. "Und jetzt du!", beteuerte Jisung. Ich grinste: "Der fünfte Dezember."
Sie staunten allesamt aus einem Grund, den ich nicht kannte. "Eine neues Mitglied für die 01er Line !", verkündete Hyunjin und rüttelte erfreut am lächelnden Jeongin. "Also, wird sie als letzte von uns siebzehn.", kam es von Seungmin und Minho meinte: "Wie toll es für sie sein muss, im Dezember Geburtstag zu haben! Dann bekommt sie ja von uns neun im selben Monat ein Geburtstagsgeschenk und ein Weihnachtsgeschenk. Welcher Mensch bekommt bitte achtzehn Geschenke?" Seine Miene nahm einen beleidigten Ausdruck an, woraufhin ich protestierte: "Dafür muss ich aber ganze elf Monate warten, bis ich mir das nächste Mal etwas wünschen darf." Geschlagen winkte er ab.
Langsam wandte sich jeder wieder seinem Essen zu und schneller als gedacht kam der Zeitpunkt, das nächste Gesprächsthema anzusprechen. Und ich hatte einen Entschluss gefasst, was es dieses Mal sein würde. Ich würde sie irgendwann eh darauf ansprechen müssen. Wann hätte ich es demnach sonst tun sollen? Dieser Moment war der richtige.
Ich atmete tief durch, um mich auf die anstehenden Worte vorzubereiten.
Davon dass der Täter seine verdiente Strafe bekommen würde, wussten sie alle schon und auch Jeongin und seine Familie brauchten sich auch keine Sorgen mehr zu machen. Nichts desto trotz befanden sich nur zwei Leute an diesem Tisch, die über die gesamte Wahrheit bescheid wussten. Alle anderen hatten ein anderes Bild im Kopf und es war meine Pflicht, dieses zu richten.
Der letzte Schluck Wasser lief meinen Hals hinunter. "Jungs, hört mal.", nuschelte ich. Damit ihre Aufmerksamkeit ganz mir galt, benötigte es allerdings noch ein etwas lauteres Räuspern. Nachdem sich alle Gesichter mir zugewandt hatten, öffnete ich erneut den Mund: "Ich muss euch etwas mitteilen. Es gibt da nämlich etwas, das ich euch verschwiegen habe und ich möchte, das nichts je mehr zwischen uns steht."
Ich konnte Felix neben mir schlucken hören. Die anderen Member, bis auf Chan und Jeongin natürlich, schienen sich ebenfalls gefasst zu machen. Nervös wanderte meine Hand zu dem Wasserglas, doch im nächsten Moment zog ich sie wieder zurück. Das Glas war leer, obwohl mein Hals noch immer nach ein wenig Flüssigkeit durstete. "Ist deine Mutter etwa auch berühmt? Oder hast du ein Geschwisterkind, das Idol ist?", wollte Minho nach einigen Sekunden mit verwirrter Stimme wissen. Eigentlich hatte ich bereits gedacht, dass jemand auf diese Idee kommen würde. Durch einen kurzen Blick und ein schwaches Kopfschütteln machte ich ihm jedoch klar, wie ernst ich es meinte. Seine Augen huschten nervös durch die Runde.
"Zwei von euch habe ich es erzählt, aber bitte denkt jetzt nicht, ich würde euch restlichen geringer schätzen. Das hat nichts damit zu tun, wie sehr ich jemanden mag, oder so.", eine kurze Pause folgte. Verzweifelt versuchte ich, die Trockenheit in meinem unglaublich gereizten Hals erträglicher zu machen, indem ich den Rest von Spucke aus meinem Mund hinunterschluckte. Irgendwie wünschte ich mir im Nachhinein jedoch, ich hätte es nicht getan, denn es half kein bisschen. Schließlich fuhr ich fort: "Wie ihr wisst, ist der Täter gefunden worden. Und er wird eine gerechte Strafe bekommen, soweit er das als Minderjähriger kann. Was ich euch verschwiegen habe, ist ein anderes Thema... okay? Ihr müsst wissen, das ich den Täter kenne und er auf meine Schule geht. Es ist schwer darüber zu reden, deswegen fasse ich mich kurz: Ich bin in etwas hineingeraten, das mit ihm zutun hatte. Er hat mich unterdrückt und belästigt und weil ich das nicht unter Kontrolle hatte, ist es zu Jeongins Verletzungen gekommen. Bitte, fragt mich jetzt nicht darüber aus."
Stille hatte sich an unserem Tisch ausgebreitet. Dieses Mal konnten wir sogar den Kellner hören, als er sich auf uns zu bewegte. "Hat es euch allen geschmeckt? Kann ich euch noch etwas bringen?", sein fröhlicher Blick ging wieder durch die Runde. Dieses Mal ergriff ich meine Chance rechtzeitig: "Ein Wasser noch, bitte!" "Die Rechnung, bitte.", kam es leider im selben Moment von Chan. Der rothaarige Kellner, blinzelte einmal, nickte dann aber einmal lächelnd. Bevor er ging, wandte er sich noch einmal mir zu: "Soll ich dir das Wasser in einen Kaffeebecher füllen? Dann kannst du es auf dem Weg trinken." "Ja, gerne.", betonte ich. Danach verschwand er zur Theke.
Bis der Kellner mit der Rechnung zurückkam, herrschte Stille. Als sich nach dem Bezahlen jedoch alle begannen, anzuziehen und mir das Wasser gereicht wurde, löste sich die Spannung zwischen allen langsam wieder. Minho machte mir Platz, damit ich hinter dem Tisch hervorkommen und auch Felix von der Bank lassen konnte. Währenddessen richteten die anderen bereits ihre Mundschutzmasken und Mützen. Glücklicherweise redeten sie dabei wieder miteinander, denn ich hatte schon befürchtet, sie würden in meiner Gegenwart gar nicht mehr zu sprechen anfangen. Aber sicherlich wäre ich ebenfalls erst einmal ruhig geblieben, wenn mir jemand von einer Sachen wie diesen berichtet hätte.
Beim verlassen des Cafés verwickelte Seungmin mich dann unerwartet in ein Gespräch über Baseball, wodurch ich kurzzeitig abgelent wurde. Auf dem Bürgersteig angekommen, wurde mir allerdings klar, dass wir uns verabschieden mussten. Sie würden bestimmt den Rest der Woche viel zutun haben und daher erwartete ich nicht, vor Japan noch sonderlich viel von ihnen zu Gesicht zu bekommen. Nachrichten schreiben konnte sich vielleicht noch einrichten lassen.
"Bis dann. Es war schön sich zu treffen.", sagte Seungmin, während er mich in eine kurz Umarmung zog. Kaum merklich streichelte ich über den Stoff seines beigen Mantels. "Mir hat es auch Spaß gemacht.", entgegnete ich mit schiefem Lächeln. Ich würde sie tatsächlich vermissen. Und das merkte ich, nachdem ich auch die nächsten sieben umarmt hatte. Jisung hatte meine Vermutung noch einmal bestätigt, indem er mir mitgeteilt hatte, dass sie auch an einem Musikvideo drehen würden. Als nächstes war Chan an der Reihe und wenn ich ehrlich, war hätte ich diese Umarmung genauso gerne, wie ich sie verlängert hätte, auch vermieden. Es war eine sehr kurze Umarmung und ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Nicht nur die Tatsache, dass Chan mir im Anschluss nicht einmal Tschüss sagte oder in die Augen sah, verwirrte mich, sondern ebenfalls, wie ich seinen Geruch förmlich inhalierte. Das darauffolgende Kribbeln hatte mich so überrascht, dass ich mich gleich wieder von ihm hatte lösen müssen. Er drehte sich um. Hyunjin der auf ihn wartete, stand gerade in Reichweite. Bevor er sich also ebenfalls abwenden konnte, hielt ich ihn auf. "Hyunjin, warte kurz!", verwundert blieb er stehen. Aber noch verwunderter war er, als Chan einfach weiter lief, ohne irgend ein Wort von sich zu geben. "Was ist los?", fragte er. Sein besorgter und verwirrter Gesichtsausdruck verriet mir, dass er mehr wusste. "Weißt du, was mit Chan los ist? Hab ich irgendetwas falsches gemacht?", obwohl die zweite Frage auf eine andere Situation bezogen war, schien sie Hyunjin nicht durcheinander zu bringen. Er schüttelte den Kopf: "Mach dir keine Sorgen, Kairi. Du hast nichts falsch gemacht. Um ehrlich zu sein, ist er den ganzen Tag schon so."
In diesem Moment viel mir etwas anderes ein. "Ist das mit deinen Freunden eigentlich besser geworden?", murmelte ich, da ich fürchtete, dass das nicht der Fall war. Ein schiefes Grinsen entstand auf seinen Lippen und er öffnete nickend den Mund: "Alles in Ordnung. Immerhin wurde ich von der Besten unterstützt!"
Plötzlich wuschelte er mir mit der Hand durch die Haare, sodass ich erschrocken zurückwich. "Auf Wiedersehen.", lachte er. Und dann konnte ich ihnen nur noch grübelnd hinterher winken, während meine Haare vermutlich aussahen, wie nach einem Tropensturm.
Es war nur eine Woche und ich würde sie wahrscheinlich vermissen, als wäre es mindestens ein Monat gewesen. Womöglich würde mir eine kurze Auszeit aber auch dabei helfen, mir über meine Gefühle für eine bestimmte Person klar zu werden.

Unspektakulär und nicht auf Rechtschreibfehler überarbeitet, aber ein Teil dieser Geschichte und hoffentlich ein bisschen unterhaltsam.
Wir lesen uns^^

Hidden Face [Stray Kids FF]Where stories live. Discover now