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Den Schulweg hatte ich ohne jegliche Zwischenfälle hinter mich gebracht und nun stand ich vor dem Eingang des Schulgebäudes, welches wie eine riesige Festung vor mir aufragte. Würde ich es hineinwagen?
Die Bank auf dem Schulhof hatte ich längst hinter mir gelassen, da sie in meinem Kopf zu viele Erinnerungen hervorrief. Schließlich wollte ich nicht zulassen, dass die Angst, für die ich an diesem Morgen leider keine Lösung mehr gefunden hatte, meinen Entschluss in irgendeiner Weise beeinflusste.
Die Schüler strömten an mir vorbei und durch die großen Türen, wie ein nicht enden wollender Strom von Wasser es bei einem Stein in einem Fluss getan hätte. Sie murmelten lediglich irgendetwas, wenn sie wegen mir die Richtung wechseln mussten, aber das bemerkte ich gar nicht. Die Krone auf meinem Kopf galt nicht diesem Königreich und falls ich es betrat, musste höchste Vorsicht geboten sein. Meine Feinde würden vor nichts zurückschrecken, auch wenn mein neues Selbstbewusstsein sie wahrscheinlich zuvor zögern lassen würde.
Ich atmete einmal tief durch. Dann setzte ich mich wieder in Bewegung. Die Hand, die ich unbewusst um den Riemen des Rucksacks geklammert hatte, musste ich im nächsten Moment leider von diesem lösen. Kein Zeichen von Schwäche sollte für die anderen zu erkennen sein und obwohl ich entschieden hatte, ab hier nicht mehr zurückschauen, musste ich mich nun ziemlich zusammenreißen.
Mein Blick fuhr durch die Reihen und zwischen den Schließfächern umher, doch nirgendwo konnte ich Shiwons Gestalt erkennen. Erst als ich in den zweiten Stock gelangte, wo sich außerdem mein Klassenzimmer befand, spürte ich das erste Mal zwei Augenpaare in meinem Rücken. Durch einen Blick hinter mich, konnte ich die Übeltäter sofort ausfindig machen: Yejun und Sarang, ein anderes Krösuskind.
Ich machte Halt. Irgendetwas an ihrem Gesichtsausdruck sorgte dafür, dass sich die Haare in meinem Nacken aufstellten und mein Arm sich bereits wieder in Richtung des Schulterriemens bewegen wollte.
Mit zusammengepressten Lippen ließ ich die Hand erneut sinken. Nein, sie hatten keine Kontrolle mehr über mich. Und zulassen, dass sie diese wiedererlangten, würde ich auf keinen Fall.
Der Ausdruck in Yejuns Gesicht löste Verwirrung in mir aus. Er schien meinem eigenen Gesichtsausdruck, irgendetwas entnehmen zu wollen. Als wüsste ich etwas, das er ebenfalls wissen wollte. Doch ich war mir sicher, dass es nichts gab, das ihn an mir interessieren könnte. Ein unangenehmens Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus.
Warum schaute er so? Faszinierte ihn meine neue Haltung so sehr, dass er nicht anders konnte oder hatte es vielleicht etwas damit zu tun, dass ich noch gar nicht auf Shwion getroffen war?
Das Mädchen an der Seite des Rothaarigen schien ebenfalls, irgendetwas in Frage zu stellen, weil ihre Augen sich bei unserem Blickkontakt zu engen Schlitzen zogen.
Ich kniff mir in den Unterarm, um meine Aufmerksamkeit wieder auf das Erhalten meines neuen Selbstbewusstseins lenken zu können. Bei dem Anblick der beiden Krösuskinder hatten sich auf meiner Rüstung nämlich schon ein paar tödliche Risse gebildet.
Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden und weil es geklingelt hatte, wandte ich mich von ihnen ab. Der Unterricht würde demnächst beginnen. Weil wir uns im Unterricht allerdings nicht zu melden, sondern nur mitzuschreiben hatten, blieb mir glücklicherweise etwas Zeit und Ruhe zum Spekulieren. Bevor die Pausen anstanden, musste ich unbedingt herausfinden, weshalb die Krösuskinder sich heute so merkwürdig verhielten.

Es läutete zur Pause und ich erhob mich von dem harten Holzstuhl. Ließ den kleinen Einzeltisch und meine Schultasche hinter mir, da die nächste Unterrichtsstunde wieder im selben Raum stattfinden würde.
Beim Verlassen des Raumes wurde mir meine heranwachsende Nervosität bewusst. Normalerweise traf ich spätestens im Treppenhaus auf Shiwon und dann würde die Zeit gekommen sein, ihm meine neue Einstellung zu präsentieren.
Die paar Meter waren wie die Fahrt in einer Geisterbahn - jeden Moment erwartete ich eine Hand auf meiner Schulter oder in meinem Rücken. Doch es kam nichts. Selbst im Erdgeschoss angekommen, konnte ich nirgendwo seinen schwarzen Haarschopf erkennen. Ich empfand zwar nichts außer Hass für Shiwon, aber diese Situation besorgte mich. Stand mir irgendetwas grausames bevor? Lag es am heutigen Tag, dass er noch nicht aufgetaucht war?
Ich schüttelte den Kopf. Bestimmt hatte er nur wieder etwas zu erledigen.
Ein Schwall frischer Luft umhüllte mich, während ich das Gebäude verließ und mich auf den Schulhof begab. Meine Augen huschten zu den Wegen, die zum Sportplatz und den Sporthallen führten und hinüber zum Schultor. Nirgendwo war sein Gesicht oder eines der Krösuskinder zu erkennen. Nur das altbekannte Grüppchen der Schülervertreter, die Leute, die auf dem Weg zum Sportplatz waren, weil sie als nächstes Sportunterricht haben würden und die restlichen Schüler, welche einfach Luft schnappen wollten, waren zu sehen. Ich hatte zwar nicht vor mich zu den Krösuskindern zu gesellen, aber in gewisser Hinsicht interessierte es mich schon, wo sie sich denn gerade aufhielten.
Das Haargummi in meiner Hand wurde kräftig durchgeknetet. Sollte ich weitersuchen? Oder mich doch lieber zurück ins Gebäude begeben?
Ein letztes Mal schaute ich mich um, jedoch war auch dieses Mal niemand zu erkennen. Deshalb beschloss ich umzukehren.
Ich wusste, dass sie zu Suchen eigentlich nicht zu meiner neuen Einstellung passte, aber ich konnte nicht anders. Als wäre ich tatsächlich abhängig von ihnen gewesen, wurde die Verwirrung in jeder weiteren Sekunde ohne sie größer.
Nach einem kurzen Toilettenbesuch, bei dem ich mir erst einmal ordentlich das Gesicht gewaschen hatte, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, wurde ich bereits von der Klingel in den Unterricht zurückgerufen.

Hidden Face [Stray Kids FF]Where stories live. Discover now