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Nur eine Nacht war seit dem gestrigen Abend vergangen, doch es viel mir bereits jetzt unheimlich schwer, ohne mein Smartphone zurechtzukommen. Da ich meinem Vater am letzten Tag nicht noch eine schlechte Nachricht hatte überbringen wollen, hatte ich ihm nicht von dem Missgeschick in der Badewanne erzählt.
Bestimmt hätte er mir trotz des Ärgernisses ein neues Handy besorgt, doch mir war nicht danach, ihn erneut wie ein Kleinkind um etwas zu bitten. Vor allem nicht nachdem er wegen mir so viel Stress hatte und ständig etwas anderes erledigen musste. Leider konnte ich deswegen aber keine Nachrichten mehr verschicken oder empfangen, da ich weder die Nummern der Jungs kannte noch ein anderes Gerät für meine SIM-Karte, die wie durch ein Wunder überlebt hatte, besaß. Außerdem hatte ich ohne ein Mobiltelefon die Fragen meiner Klassenkameraden nicht Beantworten und sie somit beruhigen können, sodass ich mich angesichts des anstehenden Schultages ein bisschen entmutigt fühlte.
Im Endeffekt hatten meine Befürchtungen sich allerdings als nützlich erwiesen, denn durch die vielen Spekulationen darüber, wie der erste Schultag nach den Neuigkeiten aussehen würde, war ich zumindest auf die Blicke der anderen Schüler vorbereitet gewesen. Ihr Geflüster war zwar nicht angenehm, aber es beruhigte mich die Wahrheit zu kennen.
In der großen Pause hatten mich zwei Mädchen über den ganzen Schulhof verfolgt, um mich später doch anzusprechen und zu fragen, ob ich die Geliebte des CEO sei und endlich meinen Traum, ein Trainee zu werden, erfüllt hätte. Ihr spitzes Kichern hallte mir noch immer in den Ohren nach, doch was mich mehr verblüffte, war, dass auch sie über meine große Leidenschaft, das Tanzen, bescheid zu wissen schienen. Und nach allem hatte ich ihnen, als wir uns gegenüber gestanden hatten, nicht einmal eine Antwort geben können. Obwohl ich nichts zu befürchten gehabt hätte und es doch besser gewesen wäre, sie darauf hinzuweisen, wie falsch sie mit ihrer Annahme lagen, war meine Mund nicht zu öffnen gewesen. Musste man denn gleich Trainee werden, nur weil man gerne tanzte? Warum steckten sie mich direkt in eine Schubladen, ohne sich vielleicht erst einmal zu erkundigen, wie ich zu dem Ganzen stand?
Mein Mund war trocken wie eine Wüste gewesen und hätte ich ihn wohl doch geöffnet, wäre wahrscheinlich kein einziges Wort herausgekommen.
Ähnliches ereignete sich in der letzten Unterrichtsstunde, während wir Mädchen in der Umkleide der Sporthalle etwas trinken gingen. Ich hatte mich aufgrund des anstrengenden Sportunterrichts und den flüsternden Mitschülern eigentlich auf fünf Minuten Ruhe gefreut, doch die Mädchen meiner Klasse schienen das anders zu sehen. Ich setzte mich gerade auf die alte Holzbank neben meinen Rucksack, um mir die Wasserflasche zu schnappen, da gesellten sie sich dazu. Es kam mir fast so vor, als würden sie mich wie eine Herde hungriger Tiere umzingeln, damit ich auch bloß nicht ausprobierte, wegzulaufen. Sie drängten sich geradezu um mich. Nachdem ich meine Flasche hatte sinken lassen, begann eine von ihnen zu sprechen: "Jetzt, verrat uns endlich, was du gemacht hast, damit sich jemand wie Park Jin-young mit dir abgibt." Ihre Augenbrauen wuchsen in die Höhe und sie musterte mich wachsam. Als sie sich mir darauf folgend mit verschränkten Armen näherte und sich mit abfälligem Blick zu mir hinunter beugte, hätte ich mich beinahe an meiner eigenen Spucke verschluckt.
Ihren Namen hatte ich nicht in Erinnerung, da ich generell nicht oft mit meinen Klassenkameraden zu sprechen pflegte, doch eins wusste ich: Sie war definitiv die Respektsperson zwischen den Mädchen. Das falsche Lächeln und das Klimpern mit den langen Wimpern schien jedoch seine Wirkung zu zeigen. Wie von selbst öffnete sich mein Mund: "Das ist ein Missverständnis... ihr irrt euch..."
Ein Seufzen aller Anwesenden war zu hören. Die ein oder andere warf sogar eine abwertende Bemerkung in den Raum, doch ich konnte meine Augen nicht von den Gesichtszügen meines Gegenübers abwenden. "Warum sollten wir uns bitte irren? Erklär mir das mal, nachdem dein Gesicht durch das halbe Netz gewandert ist!", sie beugte sich tiefer. Ich fragte mich schon, wie weit es noch war, bis sich unsere Nasenspitzen berühren würden, wurde dann allerdings von einer weiteren Stimme aus den Gedanken gerissen. "Hast du sie nicht gehört? Antworte gefälligst!"
Der Griff um die Bankkante wurde fester. "Genau, wie unhöflich!", kam es aus der anderen Ecke und ich konnte Jiae, meine langzeitige Sitznachbarin, erkennen. Panisch fiel ich zurück gegen die Wand des kleinen Raumes. Wie es aussah, würde mir nichts anderes übrigbleiben, als ihnen von der Wahrheit zu erzählen.
"Also, gut. Ihr habt gewonnen.", verkündete ich, woraufhin einige ihrer Gesichter sich erhellten.
Das Mädchen von mir legte den Kopf schief. "Und? Weshalb gibt sich ein so berühmter Geschäftsführer mit jemandem wie dir ab?", wiederholte sie die Frage.
Ein letztes Mal sah ich nervös durch die Runde. Danach kam mein Blick wieder bei ihr an. Ich schluckte: "Er ist mein Vater."
Stille. Sie schienen wohl zu glauben, sich verhört zu haben, denn vier reagierten mit einem verwirrten "Was?". Mit etwas mehr Selbstbewusstsein setzte ich erneut zu einer Antwort an, doch aus der sollte nichts werden. Bevor nur ein Wort meinen Mund hatte verlassen können, begann das Mädchen vor mir prustend von mir Abstand zu nehmen. Sie torkelte fast bis zum anderen Ende des Raums, während ihre verzogenen Lippen sich erneut auseinander bewegten: "Sie seine Tochter. Das ich nicht lache!"
Durch ihr Geschrei bekamen die restlichen der Mädchen nun auch von meiner Aussage mit. Und natürlich stimmten sie direkt in das Gelächter mit ein. "Das kann die doch nicht ernst meinen...", bemerkte ein Mädchen am Rand, das mich mit in Falten gelegter Stirn betrachtete.
Mein Herz machte einen Satz und irgendwie fühlte es sich so an, als wäre es mir soeben in die Hose gerutscht. Der Kloß in meinem Hals fing an größer zu werden.
Um mich herum wurde sich vor Vergnügen in die Hände geschlagen und vor Lachen der Bauch gehalten, während ich nur dasaß und ihnen dabei zuschaute. Irgendwann begaben sie sich dann zurück in die Halle, da wahrscheinlich der Lehrer in seine Trillerpfeife geblasen hatte, doch ich bewegte mich nicht vom Platz. "Für wen hält die sich? Sie ist bestimmt auf den Kopf gefallen.", waren ihre letzten Worte gewesen und irgendwie tat es mir leid. Nicht ich mir, sondern sie mir. Warum hatte ich ihnen auch davon erzählt? Hätte ich ihnen etwas dergleichen abgekauft? Wohl kaum. Und hätte ich nichts gesagt, hätten sie spätestens heute Abend die Wahrheit erfahren.
Obwohl keine ihrer Aussagen der Wahrheiten entsprach, spürte ich ein unangenehmes Stechen in meiner Brust. Nie im Leben hätte ich erwartet, dass Menschen so auf die Gerüchte reagieren würden. Zwar hatte ich nicht viel mit meinen Mitschülern zutun, aber so etwas hätte ich besonders von ihnen nicht erwartet.
Geknickt löste ich meinen Griff um die Kante der Bank und erhob mich zum Gehen.
Dieses Ereignis würde nichts an meinem Platz in der Klassengemeinschaft ändern. Deshalb machte ich mir nicht allzu große Sorgen, auch wenn mich das Gespräch auch nach dem Unterricht noch beschäftigte: Was sie wohl denken würden, wenn sie heute durch die Presseversammlung die Wahrheit erfuhren?

Hidden Face [Stray Kids FF]Where stories live. Discover now