Kapitel 20: Große Schwester

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Nun stehen wir vor dem eingezäunten Käfig. Der Wind pfeift um uns herum. Die Äste der Bäume rascheln in der nächtlichen Stille. Der Verkehr ist in dieser Gegend kaum vorhanden. „Hör auf alles was ich sage. Ansonsten kann ich nicht für deine Sicherheit garantieren." kommt es kalt von meinem Vater. Ich nicke standhaft. „Such nach lockeren Dielen." Ich schaue ihn fragend an. „Du meinst das die eine Art Geheimeingang haben?" Er nickt. „Ich glaube nicht das sie jedesmal herüber klettern und einen anderen Eingang gibt es nicht." ich nicke. Er hat recht. Ich beginne leise gegen die Leisten zu drücken. Nichts. Das geht eine Weile so, bis mein Vater mich plötzlich zu sich winkt. Er drückt oberhalb gegen sie, wodurch sich unten ein Eingang bildet. Ich beginne zu Grinsen und krabbel durch. Danach halte ich sie von der anderen Seite, damit er nachkommen kann. Schritt 1 wäre somit erledigt. Hinter dem Zaun verbirgt sich ein dunkler und kleiner Vorhof. Zwei Mülltonnen stehen auf ihm. Der Boden besteht aus Dreck und Beton, was die ganze Sache noch härter wirken lässt. Der Käfig besteht auch aus Beton. Es könnte im Innern eine riesige Lagerhalle sein. Mein Vater geht vor und ich folge ihm. Es dauert nicht lange bis er stehen bleibt und nach oben zeigt. Dort ist ein offenes Fenster. „Das wird unser Weg hinein." Zögernd schaue ich ihn an. „Wir wissen doch gar nicht was auf der anderen Seite ist. Außerdem ist es recht hoch." Mittlerweile hat er eine von den Mülltonnen direkt darunter platziert. „Man stirbt nicht aus dem Fall einer solchen Höhe. Zudem bin ich mir recht sicher das wir nicht fallen werden." Er steigt auf die Mülltonne und klettert hinauf. Woher will er das wissen? Und woher hat er das Fenster so schnell bemerkt? Warum gibt es hier überhaupt ein Fenster? Mir bleibt keine Zeit darüber nachzudenken. Ich muss ihm folgen, sonst verliere ich ihn. Falls mich einer hier finden sollte, kann ich alleine nichts gegen ihn ausrichten. Schnell klettere ich auch auf die Mülltonne. Jetzt nur noch durchs Fenster. Das erinnert mich daran wie ich bei Celine über ihren Zaun geklettert und direkt danach in einen Haufen Glasscherben gefallen bin. Kurz nachdem sie getötet wurde. Ich schlucke. Bitte lass mich diesmal einfach mehr Glück haben. Ich könnte es echt gebrauchen. Ich will nicht das einer stirbt.
Ich springe und halte mich am Saum des Fensters fest. Ich versuche mich hochzuziehen, was sich als schwieriger erweist als ich dachte. Ich bin so unglaublich schwach. Gut das mir soviel Adrenalin durch den Körper fährt. Sonst hätte ich das bestimmt nie geschafft. Oben angekommen schaue ich in den Raum. Es ist eine große Halle. An den Rändern steht beleuchtete Beete. Sie Pflanzen also Gras an. Außerdem gibt es ziemlich viele Seitentüren. Großartig das wir dann das Fenster nehmen.
In der Mitte der Halle stehen Stingy und seine Leibgarden. Neben ihnen Liam. Seine Hände sind auf seinem Rücken festgebunden, aber er lebt. Ich atme etwas auf. Er sieht ziemlich fertig aus. Zudem frage ich mich wo alle anderen sind.
Vor Stingys Gruppe steht Dima. Bei ihm sind Johnny, Deamon, Juri und zwei weitere Männer. Sie kommen bestimmt von Sallah. Er würde Dima nie im Stich lassen. „Also wo ist sie?" höre ich Stingys Stimme. „Ihr werdet sie nie bekommen." kommt es von Johnny. Ihre Stimmen hallen umher. Mein Vater steht unten und schaut mich erwartungsvoll an. Jetzt so leise wie möglich runter kommen. Unter dem Fenster stehen Kisten. Auf ihnen liegt eine Plane. Einfach leise auf die Kisten springen und du hast es geschafft. Das wird doch wohl möglich sein. Ich lasse mich langsam am Fenster runterhängen. Jetzt einfach loslassen und du hast es geschafft. Gesagt, getan. Nur das ich auf einer ziemlich wackligen Kiste gelandet bin. Ich kann das Gleichgewicht nicht halten und fliege samt mit der Kiste auf den Boden. Kann ich eigentlich irgendwas? Ich reibe mir leicht den Arm und siehe auf. Die Blicke der anderen sind auf uns gerichtet. Warum hat mein Vater das eigentlich geschafft? Er ist doch viel älter als ich.
„Na da haben wir sie doch und Sven ist auch gleich mit bei ihr. Lang nicht gesehen!" ruft Stingy. Was? Stingy kennt meinen Vater. Ich blicke ihn entsetzt an und springe auf. „Was heißt 'lange nicht gesehen'?" fragt Deamon. „Das würde ich auch gern wissen!" ich finde endlich meine Stimme wieder. Der Schock wandelt sich langsam in Wut um. Mich hat soviel in letzter Zeit schockiert, dass ich es fast gewohnt bin. „Euer Vater hat damals für uns gearbeitet. Bei einem großen Deal, so wie er heute auch stattfindet, wurde er dann damals erwischt mit ein Par anderen. Seitdem saß er dann seine Zeit im Gefängnis ab." kommt es locker von Stingy. „Sag das dass nicht wahr ist." Sage ich und versuche ruhig zu bleiben. „Zoe hör zu. Ich kann das erklären." beginnt er. „NEIN." schreie ich. „Sag jetzt bloß nichts. Ich hab dir alles anvertraut und du ziehst sowas ab? Willst du mich eigentlich verarschen?" brülle ich. Wut und Adrenalin fährt durch meinen Körper. Das kann einfach nicht wahr sein. Jetzt werde ich schon von jeder Seite aus belogen. Erst von Dima, dann von meiner Mutter und jetzt von meinem Vater. Ist denn keiner mehr ehrlich? „Zoe was machst du hier?" holt Dima mich zurück aus meinen Gedanken. „Das würde ich gerne mal von dir wissen! Wie kannst du mir sowas verschweigen. Du bist einer der Person in meinem Leben der ich am meisten vertraut habe und du dankst es mir so? Danke Dima. Echt Danke." sage ich zum Ende hin herablassend. „Zozo ich wollte dich nur beschützen. Komm das ist nicht fair und das weißt du." kommt es von ihm. Ja das weiß ich. Dennoch ist es mir so unglaublich egal im Moment. Ich trete von meinen Vater weg und gehe auf die anderen zu. „Habt ihr mir vielleicht noch was zusagen? Johnny? Deamon?" frage ich aufgebracht. „Ja habt ihr?" fragt Stingy belustigt. „Immerhin haben nun ihre eigene Mutter und ihr Vater sie verraten. Du Dima hast ihr ihren Bruder verschwiegen. Was mag wohl noch kommen?" fügt er hinzu. „Zoe hör mir zu!" kommt es von Liam. Liam. Ich blicke ihn fokussiert an. „Sie hat uns schon immer belogen oder nicht? Wir sind es doch von ihr gewohnt. Das einzige was dich jetzt so wütend macht ist die Hoffnung. Du hattest Hoffnung das sie ihre Fehler endlich einsieht. Wir haben darüber gesprochen nicht? Unsere Eltern werden es wohl nie einsehen. Außerdem war unser Vater doch kaum da für uns, warum auch immer. Er kann das bestimmt erklären. Nicht jetzt, doch irgendwann wenn wir bereit sind. Zoe du hast doch mich. Wir halten zusammen, dass haben wir uns immer versprochen. Ich hab dich lieb große Schwester, genauso wie die anderen hier. Wie Dima, Johnny, ja selbst Deamon. Also lass deine Wut nicht an ihnen, sondern an den Verursacher der ganzen Situation hier aus." Wie immer schaffen Liams Worte es mich zu beruhigen. Er hat recht. Mit allem was er sagt. Ich bin so unglaublich froh das ich ihn jetzt endlich wieder habe. Wir müssen uns jetzt einfach darauf konzentrieren ihn hier sicher raus zubringen. Meinen kleinen Bruder.

Märchen existieren nicht | Johnny Diggson FFWhere stories live. Discover now