Kapitel 24: Fühlt sich so sterben an?

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Mein Blick ist starr an die Wand gerichtet. Wie angewurzelt sitze ich auf dem kalten Boden, welcher von dem großen beigen Teppich überdeckt ist. Er ist voll mit Franzen. Es ist fast wie Erde auf der Gras sprießt. Meine nackten Füße krallen sich in ihn. Umhüllt von Dunkelheit lehne ich an dem Holzbett. Meine blassen Hände umschlingen meine Beine schlaff. Ab und zu tauchen Lichtschimmer an der Wand auf. Sie kommen durch das nicht ganz abgedeckte Fenster und ziehen durch den Raum. Sie sind das einzige was ihn hin und wieder erhellt. Doch so schnell sie gekommen sind, desto schnell verschwinden sie auch wieder. Ich atme laut aus. Mein Inneres bebt. Ein unglaublicher Schmerz zieht durch meinem Brustkorb. Ich will schreien. Ich will ausrasten. Irgendwas tun um gegen diesen Schmerz anzukämpfen. Doch ich tue nichts. Ich sitze still auf den Lasten. Menschen brauchen andere Menschen. Wir brauchen jemanden den wir Vertrauen können. Haben wir erstmal so jemanden in unseren Leben, sollten wir wirklich alles dafür tun um ihn zu behalten. Denn so einen Menschen zu verlieren ist das schlimmste was einem passieren kann. Er kommt nie wieder. Er lässt dich alleine mit all deinen Problemen. Deinen Gedanken. Deinem Schmerz. Deiner Angst. Deiner Zukunft.
Ich musste diese Erfahrung machen.
Falls ich mal nicht weiter wusste war er da. Er war immer da. Er hatte immer einen Plan. Er hat mir die Hoffnung geschenkt, dass alles einmal gut wird. Nun ist er weg und mit ihm auch die Hoffnung. Alles was mir bleibt ist die Einsamkeit und dieser unglaublicher Schmerz. Ein Schmerz, der wenn er erstmal auftaucht, nicht zu verschwinden scheint. Er quält mich. Er zerstört mich. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Ich will nichts mehr. Ich will nicht reden. Mich nicht bewegen. Ich kann nicht weinen. Nicht schreien. Ich hab nicht die Kraft andere Menschen zu sehen. Ich will nur alleine sein. Ich will das alles aufhört. Zugleich will ich das jemand kommt und mir hilft. Der mir diesen Schmerz nimmt und mir meine gottverdammte Hoffnung wieder gibt. Der meine verschwommene Sicht wieder klar macht. Der mir den Weg wieder zeigt. Ich fühle mich so fernab von ihm. Gefangen in der Weite der Dunkelheit. Eine Dunkelheit in der nie das Licht scheint. In der die Zeit still steht. In der die ganze Welt an einem vorbei zieht, während man nur regungslos dabei zusehen kann, wie man dabei ist in Vergessenheit zu geraten. Menschen leben ihr Leben. Mit oder ohne dich spielt dabei keine Rolle. Sobald sie das Interesse verloren haben lassen sie sich liegen. Sie machen sich nicht die Mühe dir zu helfen oder dich gar auf ihrer Reise mit zunehmen. Darauf sollte sich niemand verlassen.
Wenn es dann soweit ist und der letzte dich vergessen hat, kannst du dir selber beim Sterben zusehen. Falls du nicht bereits gestorben bist.
Ich frage mich ob dieser Schmerz ein Teil vom Sterben ist. Fühlt sich so sterben an?
Wieder atme ich laut aus.
Meine Augen brennen. Dieser Druck in meiner Brust macht mich fertig. Dieser Schmerz. Er soll verschwinden. Ich würde lieber gar nichts fühlen, als das hier. Sowas wünscht man niemanden.
Warum musste er sterben? Warum habe ich ihn nicht retten können.
Er wird nie wieder kommen. Nie wieder. Ich bin alleine. Ich werde nie wieder seine Stimme hören können. Nie wieder in seine Augen blicken können. Nie wieder dieses Lächeln sehen können. Er wird mich nie wieder aufbauen oder mir diese doofen Witze erzählen. Ich kann nicht zu ihm gehen wenn ich ein Alptraum hatte. Und verdammt die habe ich, falls ich dann mal schlafe. Ich bin so unglaublich müde. Mein Körper schreit nach Schlaf. Nach der Ruhe. Nach einer Pause. Doch jedesmal wenn ich meine Augen schließe sehe ich ihn. Er sieht so friedlich aus. Im nächsten Moment schwindet alles und er steht von Blut durchtränkt vor mir. Sein Gesicht verzerrt sich. Er schreit.
Dann schrecke ich auf. Mein Puls rast und in meinem Hals ist ein riesen Knoten. Mein Blick richtet sich automatisch zur Tür. Jedesmal hoffe ich inständig das er einfach über die Schwelle tritt und für mich da ist. Doch das tut er nicht. Das wird er nie wieder tun. Er ist tot. Er kommt nie wieder. Nie wieder.
Das schwerste am Anfang ist es zu akzeptieren. Sollte man diesen Schritt gemeistert haben dauert es nicht lange bis die nächste Hürde kommt. Man muss lernen damit umzugehen. Nun sag mir, wie tut man das? Wie geht man damit um seinen Bruder zu verlieren? Die Person die einem im Leben am meisten bedeutet. Wie soll man dabei nicht ausrasten? Wie soll ich alleine weiter machen? Nicht in Tränen ausbrechen?
Ich habe ihn geliebt und er hat mich verlassen. Passiert es nicht immer so mit Menschen die man liebt? Früher oder später werden sie einen immer verlassen. Wobei man nicht außer Acht lassen sollte das auch Menschen gehen, die man nicht liebt. Nur das man jenes leichter übersieht. Sie stehen im Vergleich niedriger.

Märchen existieren nicht | Johnny Diggson FFWhere stories live. Discover now