KAPITEL FÜNF ㅡ kiss the blood off my hands

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Jeongguk drückte Wonpils Anruf gerade zum vierten Mal in Folge weg, als der Bus mit quietschenden Bremsen vor dem UNO-Hauptquartier hielt und er sich eilig an einer mit Einkaufstüten bepackten, älteren Frau vorbei durch die klapprigen Türen drängte

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Jeongguk drückte Wonpils Anruf gerade zum vierten Mal in Folge weg, als der Bus mit quietschenden Bremsen vor dem UNO-Hauptquartier hielt und er sich eilig an einer mit Einkaufstüten bepackten, älteren Frau vorbei durch die klapprigen Türen drängte. Im Bus war die Lüftung ausgefallen und es war so heiß und stickig gewesen, dass sein T-Shirt nun an seinem Rücken klebte.

Durch die Sechsundvierzigste zog ein erfrischender Ostwind, der dem East River entsprungen war und über dem niedrigen Häuserkomplex der UNO so viel an Fahrt aufgenommen hatte, bis er sich zwischen den hoch aufragenden Wolkenkratzer einfädeln musste wie in ein Nadelöhr.

Aus alter Gewohnheit warf er einen Blick über seine Schulter in Richtung Brooklyn, dessen altmodische Backsteingebäude gerade zwischen dem Eingang der ersten beiden Hochhäuser auf der Ostseite von Turtle Bay zu erkennen waren. Über den vertrauten Umrissen seiner Kindheitsstätte schwebte die Sonne, die sich in Manhattan hinter den Wolken versteckte, und er wandte sich schnell von dem Anblick ab, ehe eine unwillkommene Sentimentalität von ihm Besitz ergreifen konnte. Es war schon viel zu lange her, seit er das letzte Mal einen Fuß nach Brooklyn gesetzt hatte – und er fragte sich, ob sich der Borough in den letzten Jahren einer solch gravierenden Veränderung unterzogen hatte, so wie sie ihm widerfahren war. Vermutlich nicht. Brooklyn war steinern in seiner zeitlichen Beständigkeit; es waren schon bessere Menschen aus dem südöstlichen Borough fortgegangen und als Verbrecher zurückgekehrt. Wenn sich ein Stadteil von New York City als Hafen der Verdammten rühmen konnte, dann war das wohl tatsächlich Brooklyn; dicht gefolgt von der Bronx, natürlich.

Jeongguk riss sich vom sonnenbeschienenen Anblick Brooklyns los, und zwang sich, seinen Blick auf das hohe, schlanke Gebäude auf der anderen Seite des 1st Avenue Tunnels zu richten; dort, wo Taehyungs Wohnungskomplex aus dem Boden hervorbrach und sich hunderte Fuß nach oben in den Himmel erstreckte – die Wolkendecke gerade nicht berührte und dennoch die diffusen, stark gebrochenen Sonnenstrahlen eines bedeckten Himmels reflektierte wie ein Glasobelisk.

Er hatte ihm das letzte Mal vor wenigen Minuten geschrieben, um ihm die schlechte Nachricht zu überbringen, die Wonpil seit einer halben Stunde erfolgslos versuchte, zu ihm durchzustellen – und so wusste er, dass er dort oben war und vermutlich mit wütend gefurchter Stirn über die Stadt blickte, die eines Tages sein Erbschaftsrecht sein würde.

Als hätte ihn der Gedanke beschworen, begann Jeongguks Handy in diesem Augenblick ein erneutes Mal in seiner Hosentasche zu vibrieren und er zog es mit einem überdrüssigen Augenrollen hervor, während er sich zwischen zwei Autos durchschlängelte, die mit lähmender Geschwindigkeit über die Plaza zogen.

Diesmal drückte er ihn nicht weg.

„Ja, was ist?", fragte er anstelle einer Begrüßung, und Wonpil, der selbst im Augenblick seines Todes vermutlich noch einen schlechten Witz reißen würde, schnaubte pikiert.

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