KAPITEL SIEBZEHN ㅡ slowtown

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In den ersten Tagen war ihm alles verzerrt und verkehrt erschienen

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In den ersten Tagen war ihm alles verzerrt und verkehrt erschienen. Für jemanden, der sein gesamtes Leben in der gleichen Stadt verbracht hatte – einer facettenreichen und veränderungswilligen Stadt zwar – aber immer noch einer Stadt, die ihr Einzugsgebiet mit unverminderter Rigidität verteidigte, würden sich niedrige Häuser, enge Gässchen und der Geruch von Salz niemals normal anfühlen.

Aber Jeongguk konnte nicht von sich behaupten, dass er es nicht auf irgendeine Weise genoss. Das Fischerdorf von Paso Nuevo an der nördlichen Karibikküste von Kolumbien drängte sich geradezu malerisch in die felsige Bucht, von der aus man die azurblaue See von allen Winkeln überblicken können.

Die See! Noch ein neuartiges Phänomen, das er bisher eindeutig nur in einer von New York abgemilderten Version kannte; verfälscht bekommen hatte, wenn man so wollte. Der Hudson und der East River waren eine trübe, schmutzige Entschuldigung eines Meer, das von den Einwohnern der Stadt in den zweihundert Jahren, die man eine Metropole auf der Sumpflandschaft errichtet hatte, graduell in einen Abwasserkanal verwandelt worden war.

Man konnte es überhaupt nicht mit den kristallklaren Wogen der lauwarmen See vergleichen, die Kolumbien bis Maracaibo umschwemmten. Jeden Morgen brach sich das Sonnenlicht auf der glatten Oberfläche und Jeongguk war an ein Kaleidoskop erinnert, das splitterhaft seine Scherben des Lichts auf Betrachter, Sand und Bäume warf.

Paso Nuevo war ein kleines Paradies, aber nichts auf dieser Welt würde die Einmaligkeit der kleinen Insel übertreffen, die gut vierzig Kilometer von der Küste entfernt in den ewig gleichmütigen Strömungen der karibischen See lag. Jeongguk war sich nicht einmal sicher, ob die unbewohnte Insel einen offiziellen Namen trug, aber was er mit Sicherheit wusste, war die Tatsache, dass Kim Seokjin gottgesandt war.

Es war inzwischen beinahe zwei Wochen her, dass Taehyung und er in Nacht und Nebel aus Bayville geflohen waren – und Yoongi ihnen gerade so viel Zeit gelassen hatte, dass sie es bis nach Oyster Bay geschafft hatten, bevor er sämtliche Häscher des Kartells nach ihnen ausgesandt hatte. Sie waren in einer solchen Fülle unterwegs, dass Jeongguk sofort bewusst wurde: je früher sie die Stadt verließen, desto besser.

Einerseits hatte es Jeongguk unendlich geschmerzt, New York zurückzulassen – es war die Stadt, die er besser kannte als die Rückseite seiner Hand – doch auf der anderen Seite wusste er, dass Taehyung sich in ernstzunehmender Gefahr befände, wenn sie das Land nicht auf schnellsten Wege verließen.

Und an dieser Stelle war Seokjin ins Spiel gekommen.

Sie hatten sich gerade die zweite Nacht in Folge in einer verlassenen Lagerhalle verbracht, die von dem Kartell schon vor Ewigkeiten wegen schlechter Lage aufgegeben worden war, als es plötzlich an der Tür geklopft hatte.

Die Lagerhalle befand sich irgendwo draußen in den Frachthäfen von Staten Island, und Jeongguk wusste, dass sich aus Prinzip selten einmal jemand aus dem Kartell dorthin verirrte. Dennoch hatte er Taehyung avisiert, sich sofort in den hinteren Raum der Halle einzuschließen, während er selbst die einzige Waffe gezogen hatte, die er auf die Schnelle in die Finger bekam – einen alten, verrosteten Eisenhaken, den er bis zum Anschlag emporhielt.

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