KAPITEL SECHZEHN ㅡ sic semper tyrannis

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Der letzte Tag des Jahres hatte entschieden, sein Ende gebührend einzuläuten

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Der letzte Tag des Jahres hatte entschieden, sein Ende gebührend einzuläuten. Meteorologen in sämtlichen New Yorker Radiostationen sprachen von einem historischen Silvestertag, der gegen sechs Uhr morgens mit einem kräftigen Regenschauer begonnen hatte und so intensiv über die Stadt gepeitscht war, dass mehrere historische Tannen im Battery und Central Park enormen Schaden genommen hatten.

Noch ehe Botanikbegeisterte der Stadt den entstandenen Schaden ausgiebig betrauert hatten, da hatte sich ein scharfer Polarwind, der über Michigan aus Kanada gekommen war, über die Stadt gesenkt und die ohnehin schon herausgeforderte Stadtverwaltung einige tiefgreifende Schicksalsschläge gegen das örtliche Telefonnetz erleiden lassen.

Um zehn Uhr morgens schon war von diesen destruktiven Launen des Wetters kaum mehr etwas zu erkennen, denn die Wintersonne schien vom Himmel, als habe sie nie etwas anderes anderes getan – angeblich waren Wind und Regen über Long Island hinweg in den Atlantik gezogen, um in ein paar Tagen das europäische Festland zu erreichen und Paris und London auf die Nerven zu fallen.

Jeongguk musste ehrlich sagen, er interessierte sich wenig für das, was aus den Radiostationen und Lokalzeitungen zu ihm durchdrang – auch die paar bärtigen Verschwörungstheoretiker am Straßenrand, die sich mit ihren vertrauten DAS-ENDE-NAHT-Schildern auf den Gehwegen aufstellten und sie arglosen Touristen oder angepissten New Yorkern ins Gesicht hielten, ließen ihn insofern kalt, dass er die Melodramatik seiner Stadt zu gut kannte.

New York war der Sumpf der irrationalen Wahnsinnigen, der salonfähigen Verrückten und allgemein derjenigen, die für jede Okkasion ein passendes Schild auf dem Dachboden herumstehen hatten. Das Wetter als Vorboten eines Schicksals zu erklären, das sie, wie sie hofften, von der aktuellen politischen Landschaft befreien würde, sah ihnen ähnlich. Sie waren so skurril in ihrer absoluten Desillustioniertheit, dass Jeongguk sie schon vor langem ins Herz geschlossen hatte.

Was Jeongguk jedoch viel mehr interessierte als das Wetter war die Tatsache, dass Taehyung sich seit gestern Abend nicht mehr bei ihm gemeldet hatte, und er langsam, aber sicher kurz davor war, seinen Verstand zu verlieren. Es war das eine, den eigenen Freund fast vierundzwanzig Stunden lang nicht zu erreichen – und das ganz bedeutsame andere, wenn diese Kommunikationsdürre auf eine fast verzweifelte, atemlose Umarmung folgte, die Jeongguk nicht einmal in seinen Träumen losließ.

Als er gerade dabei war, Manhattan zugunsten von Bayville zu verlassen – das erste Mal, dass er die Fahrt nach Long Island in dem schwarzen McLaren antrat, den seine Freunde ihm zu Weihnachten geschenkt hatten, wählte er zum dreizehnten Mal in Folge Taehyungs Nummer, nur, um von dem vertrauten, frustrierenden Ton begrüßt zu werden, der jedes der vergangenen zwölf Male bedrohlicher und aufgeladener geklungen hatte.

„Ach, komm schon, Taehyung", murmelte Jeongguk, während er in den Tunnel unter dem Freeway einfuhr.

Sora oder Areum hatten oft darüber geklagt, dass Taehyung ihre Anrufe grundsätzlich wegdrückte oder ignorierte – aber Jeongguk wusste, dass Taehyung immer abgehoben hatte, wenn er angerufen hatte; oftmals nach nur wenigen Sekunden, ganz gleich, wie beschäftigt er gewesen war. Jeongguk war sich bewusst, dass dieses Verhalten aus der inhärenten Angst geboren war, dass Jeongguk vielleicht seine Hilfe benötigte – und er durch Zögern oder willentliche Nichtbeachtung ihn vielleicht in eine Situation brachte, die für Jeongguk in keiner Hinsicht als förderlich zu betrachten war.

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