Hallo Ana

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Ein Klopfen an der Zimmertür riss Sahra aus ihren Gedanken. „Es gibt Essen!", schallte die Stimme ihrer Mutter durch die geschlossene Tür. „Komme!", rief sie zurück. Ihr Handy steckte sie ans Ladekabel und ging in die Küche. Der Tische war gedeckt, Trinken stand da, der Toast war im Toaster.
„Was willst du essen?", fragte ihre Mutter und goss sich Tee ein. Sie überlegte kurz und scannte den Tisch. Butter, Käse, Streichwurst, Wurstscheiben, Frischkäse, alles war vertreten. Auch ein Teller mit Gemüse stand bereit. Gurkenscheiben, Paprika und Mörenstücke, Tomaten und Kohlrabi lagen darauf. Sie entschied sich für: „Einen Toast mit Butter und etwas Gurke", und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Just in diesem Moment spuckte der Toaster die beiden Toastscheiben aus und ihre Mutter legte die eine auf ihren eigenen Teller, die andere auf den Teller ihrer Tochter. Diese füllte ihr Glas gerade zu einem Viertel mit Apfelsaft und schüttete dann Wasser hinterher. Verdünnter Apfelsaft, Check.
Mit dem Messer verstrich sie ein wenig Butter auf ihrem Toast, nicht all zu viel, legte eine Scheibe Wurst drauf und biss von einer Ecke ab. Zwischen dem Toast schob sie sich die Gurkenscheiben in den Mund. Mehr Gemüse essen, Check.
Während sie aßen herrschte eine angenehm entspannte Tischkonversation. Ihre Mutter erzählte von ihrer Arbeit in der Schneiderei und Sahra erzählte von der Schule. Es war nicht viel passiert heute. Nur eine Ankündigung, dass sie in zwei Wochen eine Bio-Klassenarbeit schreiben würden. Aber um die machte sie sich keine Sorgen. Sie war gut in Biologie.
Als sie die Mahlzeit beendet und den Tisch abgeräumt hatten, zog sich Sahra in ihr Zimmer zurück. Dort verbrachte sie die restliche Zeit mit Filme gucken und Spiele auf dem Handy spielen. Gegen 22 Uhr schlurfte sie müde ins Bad und zog sich ihren Schlafanzug an, kämmte ihre Haare, putze Zähne und ging noch mal auf die Toilette. Dann sagte sie ihrer Mutter noch Gute Nacht und legte sich ins Bett. Sie löschte ihre Nachttischlampe und nach einiger Zeit schlief sie ein.

Ich stehe in einem weißen Raum. Es ist hell und angenehm warm. Zumindest denke ich, dass es ein Raum ist. Ich kann zwar keine Wände sehen, aber ich stehe auf einem strahlend weißen Boden. Vielleicht gibt es auch keine Wände, und es geht einfach endlos in alle Richtungen weiter. Ich blicke mich um. Niemand sonst ist hier. Nur ich, alleine in diesem ewigen Weiß.
„Hallo", erklingt eine sanfte Stimme hinter mir. Oh, wohl doch nicht so alleine. Ich drehe mich um und da steht ein Mädchen. Aus dem Nichts, wie aus dem Boden gewachsen, steht sie da.
Ein schlankes Mädchen. Ihre dünnen Beine schauen unter ihrem Rock hervor und die blaue Bluse liegt eng an ihrem Körper. Ihre langen, schwarzen und sehr gepflegten Haare liegen auf ihren Schultern und umrahmen ihr Gesicht. Dadurch wirkt ihre Haut noch heller. Sie ist sehr hübsch.
„Hallo", wiederholt sie und lächelt mich an. Ihre Zähne sind strahlend weiß. Ich starre sie an „Äh, hallo", antworte ich. „Wer bist du?"
Das Mädchen lächelt noch eine Spur breiter und streckt mir ihre schlanke Hand entgegen. „Ich bin Ana", stellt sie sich vor. „Und du bist Sahra, stimmt's?" Ich nehme ihre Hand und schüttle sie kurz. „Hallo Anna, ja, ich bin Sahra."
Sie lächelt weiter und setzt zum nächsten Satz an: „Du sprichst es falsch aus." Ich schaue sie verdutzt an. „Was?", frage ich.
„Meinen Namen, du sprichst ihn falsch aus. Du sagst „An-na" mit doppeltem „n", aber ich werde „A-na" mit nur einem „n" ausgesprochen", klärt sie mich auf.
„Oh, okay. Tut mir leid „A-na"", entschuldige ich mich. Sie lächelt mich weiter an. „Alles gut."
Ihre Stimme ist so zart. Sie klingt sehr schön.
„Was genau machst du eigentlich hier?", frage ich sie. Sie schaut mir in die Augen und antwortet: „Nun, du träumst gerade und ich bin dir im Traum erschienen."
„Und warum bist du mir erschienen?" Ich sehe sie fragend an. Sie lächelt wieder, atmet ein und beginnt zu erklären: „Nun, das ist leicht: Ich bin hier, weil du dir etwas vorgenommen hast. Du hast dir vorgenommen abzunehmen und ich bin deine Motivation."
Jetzt habe ich mehr fragen als vorher. „Meine Motivation? Wie meinst du das?", frage ich stirnrunzelnd. Ana erklärt weiter: „Nun, ganz einfach: So wie ich aussehe, also meine Figur, so willst du aussehen." Ich will gerade etwas dazu sagen, da spricht sie weiter: „Du standest heute vor dem Spiegel, hast dich angesehen und dir gesagt, dass du zu dick bist, stimmt's?" Ich nicke stumm. „Während du das gemacht hast, hat sich in deinem Unterbewusstsein ein Wunsch gebildet. Ein Wunsch für eine Körperfigur, die du gerne hättest. Deine Traumfigur. Und diesen Wunsch verkörpere ich. Ich bin also sozusagen dein Unterbewusstsein." Sie wedelt mit ihren Händen umher und zieht eine Grimasse.
Langsam begreife ich, was sie mir gesagt hat und hake nach: „Also so wie du aussiehst, von der Körperfigur her, so will ich insgeheim aussehen?"
„Exakt!", sagt Ana fröhlich. „Nicht war? Oder bist du da anderer Meinung?", fragt sie mich.
Dies kann ich nur verneinen. Sie hat recht. Ich wünsche mir irgendwie schon, so eine schlanke Figur wie sie zu haben. Die schönen langen Beine, die dünne Taille, die schlanken Arme, es sieht so gut aus.
Ich schüttle also den Kopf. „Na siehst du", sagte sie. Plötzlich wird ihr Gesichtsausdruck ernst. Sie spricht: „Ich möchte, dass du meinen Körper beschreibst. Wie er aussieht, wie dünn er ist, ob du ihn schön findest und ich möchte, dass du dich mit mir vergleichst." Sie schaut mir in die Augen. „Warum das denn?", frage ich nach kurzem Zögern. Ana lächelt wieder. „Als Motivation", sagt sie. „Und damit du mehr von mir sehen kannst werde ich mich, wie du heute, bis auf die Unterwäsche auszuziehen."
Mit diesen Worten lässt sie ihren Rock die Beine hinuntergleiten und beginnt die Bluse aufzuknöpfen. Ihre Unterwäsche ist rein schwarz und steht ihr wirklich gut, wie ich feststelle. Nachdem sie die Bluse zum Rock auf den Boden legt, stellt sie sich aufrecht hin und sagt: „Nun, fang an." Zögerlich blicke ich an ihrem Körper hinab. „Also...", fange ich an, „du hast auf jeden Fall einen flacheren Bauch als ich. Meiner ist immer gewölbt. Auch deine Beine sind schlanker als meine, du hast sogar eine kleine Lücke zwischen den Oberschenkeln. Ich habe keine. Meine Beine reiben beim gehen sogar immer aneinander, das ist unangenehm. Deine Hüftknochen kann man sehen und deine Schlüsselbeine schauen auch etwas hervor. Meine Schlüsselbeine sind nur wenig zu sehen und meine Hüftknochen glaube ich gar nicht. Und- kannst du mal deine Arme nach oben strecken?" Sie tut wie ihr geheißen. „Und wenn du deine Arme so hebst kann man deine Rippen erahnen. Das geht bei mir absolut gar nicht", beende ich meine Aufzählung und schaue etwas resigniert an mir herunter. „Jetzt fühle ich mich dick", sage ich betrübt. Ana lächelt mich an. „Wie gesagt, ich bin deine Motivation." Mit diesen Worten löst sie sich in Luft auf.

Einmal Ana, immer Ana.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt