Fressanfall

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„Ähm, Sahra, kann es sein, dass du abgenommen hast?"
Sahra hielt inne. Sie waren gerade in den Sportumkleiden und sie hatte sich gerade Hose und Shirt ausgezogen. Maria, die neben ihr stand, musterte sie von Kopf bis Fuß. Sahra blickte an sich herab. Wenn sie ihre Arme über den Kopf streckte, konnte man ganz sachte sehen, wie sich ihre Rippen unter der Haut abzeichneten. Ihr Bauch war flach, sehr flach, da sie heute noch nichts weiter als ein paar Bissen Apfel gegessen hatte. Innerlich lächelte sie. Man sah ihr also an, dass sie langsam Fortschritte machte. Das war das motivierendste, was sie seit langem gehört hatte. Zu gerne hätte sie Marias Frage bestätigt, doch Ana hatte ihr schon vor einiger Zeit eingetrichtert, was sie zu sagen hatte, falls ihr jemand diese Frage stellen sollte. Sie zuckte also mit den Achseln und sagte möglichst beiläufig: „Keine Ahnung, kann sein. Ich versuche momentan mich gesünder zu ernähren, vielleicht liegt es ja daran." Maria nickte langsam.
„Oh, okay", dann zog sie sich weiter an. Auch Sahra holte ihre Sportsachen aus der Tasche und begann sich anzuziehen. Von außen gab sie sich gleichgültig, doch innerlich freute sie sich riesig. Sie nahm ab. Sie nahm ab und man sah es ihr an! Gerade band sie ihre Schuhe zu, als Laila von den Toiletten kam.
„Beeil dich mal", lachte Sahra, „wir haben kaum noch Zeit." Sie erhob sich und ging nun ihrerseits auf Klo.
Doch als sie eine der beiden Kabinentüre öffnete, erstarrte sie kurz. Auf dem runtergeklappten Klodeckel, mit überschlagenen Beinen, saß Ana und grinste zu ihr. Sahra versuchte ihr Lachen zu unterdrücken, wodurch sie glucksende Geräusche von sich gab.
„Was machst du denn hier?", fragte sie gedanklich. Ana stand auf und verließ die Kabine.
„Ach, ich wollte nur mal kurz vorbeischauen", sagte sie und lehnte sich an eine der Wände. Sahra ging in die eben frei gewordene Kabine.
„Hast du mitbekommen,", fragte Sahra und begann zu lächeln, „dass Maria mich gefragt hat, ob ich abgenommen hätte?"
„Ja, das habe ich", sagte Ana. Sie spülte und öffnete die Tür. Ana sah sie ernst an. „Aber denkst du, dass das schon genug ist?" Sahras Lächeln verschwand.
„Genug? Wie genug?"
„Denkst du, dass du schon genug abgenommen hast?", fragte Ana, ebenso ernst wie ihr Blick. Sahra wurde unsicher.
„Ähm, naja, also, ich habe doch mein Zielgewicht erreicht... Ist das nicht genug?" Ana stieß ein lautes, kaltes Lachen aus. „Ist das nicht genug?", äffte sie sie nach. „Sahra, sieh in den Spiegel! Sieh an deinem Körper herab und sag mir, ob du zufrieden bist mit dem was du siehst! Bist du damit zufrieden, dass noch kiloweise Fett an dir rumschwabbelt?!" Sie schrie Sahra an und ihre Augen funkelten zornig. Sahra drückte sich gegen die Tür hinter sich und wurde unter Anas Schreien immer kleiner.
„Komm her!", sagte sie gebieterisch. Sahra zuckte zusammen und warf ihr einen ängstlichen Blick zu.
„Ich sagte, du sollst herkommen!" Sie lief eilig zu Ana herüber.
„Zieh dein T-Shirt hoch", sagte sie. Sahra nahm den Saum ihres Oberteils und zog ihn bis zur Brust hoch. „Jetzt sieh in den Spiegel." Sie drehte sich und blickte in den Spiegel, welcher über dem Waschbecken hing. Da stand sie. Mit hochgezogenem T-Shirt und gerötetem Gesicht. Ana holte einmal tief Luft und atmete langsam wieder aus. Als sie erneut sprach war ihre Stimme wieder sanft und ruhig.
„Siehst du es nicht Sahra?", fragte sie. „Siehst du das ganze Fett etwa nicht?" Sie blickte vorsichtig zur Seite, da wo Ana neben ihr stand.
„Ähm..."
Ana seufzte. „Dann lass es mich dir zeigen." Mit diesen Worten zog sie sich ihren Rock und die Bluse aus. Sie stellte sich Schulter an Schulter neben Sahra.
„Sieh wieder in den Spiegel." Sie drehte den Kopf. Da standen sie. Sie und Ana. Nebeneinander.
Zuerst betrachtete sie Ana. Ana, mit ihrem perfekten Körper. Mit den hohen Wangenknochen, herausstechenden Schlüsselbeinen, gut erkennbaren Rippen, sich abzeichnenden Beckenknochen und einer großen Lücke zwischen ihren Oberschenkel.
Dann blickte sie sich an.
Und jetzt sah sie es. An ihr, an ihrem Körper, überall war noch Fett. Ihre Wangen sahen aus wie Hamsterbacken, ihre Rippen waren noch immer von Fett überzogen, ihr Bauch hatte trotz allem noch eine Wölbung und ihre Beine waren dick wie eh und je. Sie erschrak. Warum war ihr das zuvor noch nicht aufgefallen? Warum hatte sie das ganze Fett übersehen? Warum hatte sie sich eingebildet, sie wäre dünn? Sie war nicht dünn. Sie war fett! Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Warum...", flüsterte sie tonlos und blickte Ana hilfesuchend an. Sie nahm sie in den Arm.
„Schh, schh. Hey, hey, alles gut, ja? Alles ist gut. Das kriegen wir hin, ja? Du hast es bis hierhin geschafft, du wirst es noch weiter schaffen. Du bist stark, du wirst dein Ziel erreichen." Sahra spürte Anas Rippen gegen ihre Haut drücken. Sie kniff die Augen zusammen um die Tränen aufzuhalten. Sie lösten sich voneinander. Sahra schaute zu Boden. Vorsichtig blickte sie auf.
„Bin ich...", fragte sie mit zusammengepressten Lippen, „bin ich denn wenigstens etwas dünner geworden?" Ana lächelte sie an. „Ja, ja das bist du. Du bist dünner als noch vor ein paar Monaten. Aber Sahra, du bist noch nicht dünn genug, nicht wahr?" Sie schüttelte den Kopf.
„Siehst du? Also dann, auf, raus mit dir und verbrenn schön viele Kalorien beim Sport." Sie nickte und wandte sich zum gehen. Doch an der Tür hielt sie inne und blickte noch mal zurück. „Ähm Ana, wie viel wiegst du?" Ana schenkte ihr ein breites Lächeln.
„Ich? Ich wiege Vierzig Kilogramm."

Einmal Ana, immer Ana.Where stories live. Discover now