Vorbereitungen

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„Neunundzwanzig, Dreißig", stöhnte Sahra und ließ sich erschöpft zurück auf die Couch fallen.
„Sehr gut", sagte Ana und lächelte sie an. Freitagabend, nach dem Abendessen. Sie machte Sport um Kalorien zu verbrennen. Gerade war sie mit Sit Ups beschäftigt gewesen, doch brauchte sie jetzt erst einmal eine Pause. Keuchend lag sie da und spürte ihr Herz in ihrer Brust hämmern. Schweiß rann ihr über die Stirn und sie fühlte sich in den Sportklamotten unangenehm heiß. Sie hustete. Durch ihre schnelle Atmung hatte sie einen ganz trockenen Hals bekommen, also raffte sie sich auf und griff nach ihrer Trinkflasche. Ein paar Schlucke Leitungswasser und es ging ihr besser. Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
„Komm schon Sahra", sagte Ana hinter ihr. Sie drehte sich um. „Du schaffst noch was. Eine Runde geht noch." Immer noch schwer atmend sagte sie: „Okay, aber gib mir noch eine Sekunde. Ich brauch eine Pause." Ana sah sie mit harter Miene an. „Gut, bitte. Wenn du unbedingt willst, dass sich die ganzen Kalorien an deinem Bauch und deinen Oberschenkeln festsetzen, dann klar, mach nur Pause. Mach Pause so lange du willst du Faules Stück. Wenn du morgen im Schwimmbad unbedingt dick sein willst, dann mach du nur", giftete sie und funkelte Sahra an. Diese schaute betreten auf den Boden. Nein, sie wollte morgen nicht dick aussehen. Sie würde vor Scham im Boden versinken, wenn die anderen im Schwimmbad über ihren dicken Körper tuschelten und lachten. Das wollte sie nicht! Allein der Gedanke daran, dass sie halbnackt, nur im Bikini, vor Dutzenden anderen Leuten aufträte, ließ Unbehagen in ihr aufkommen. Warum hatte sie Lailas Vorschlag auch zugestimmt? Warum hatte sie nicht daran gedacht, dass sie ihren Körper so unzähligen fremden Menschen präsentieren würde. Warum hatte sie so leichtfertig zugesagt?
Wortlos stellte sie die Flasche zurück auf ihren Schreibtisch und fing wieder an mit Kniebeugen. Fünfundzwanzig Stück. Danach Liegestütze, Zehn Stück (wobei sie eigentlich nur Frauenliegestütze machte, denn die anderen bekam sie einfach nicht hin). Es würden Einhundert Hampelmänner folgen und zum Schluss Dreißig Sit Ups. Erst wenn sie das geschafft hätte würde sie Pause machen. Sie musste versuchen für morgen so schlank wie nur irgendwie möglich auszusehen. Damit sie vor Scham nicht sterben würde. Ihr lief erneut ein Schauder den Rücken hinunter, als sie daran dachte, dass so viele Menschen ihren schwabbelnden Bauch sehen würden.
„Sahra?", erklang Anas Stimme wieder und sie hörte mit ihrer Übung auf und wandte sich ihr zu. „Ja?"
„Ich weiß, du fühlst dich unwohl bei dem Gedanken an morgen. Ich weiß, du schämst dich für deinen dicken Körper und ich weiß, dass du sogar ein wenig Angst davor hast, was die anderen Leute über dich denken werden. Aber versuche dich auf eine Sache zu konzentrieren: Versuche so viel wie möglich zu schwimmen, so aktiv wie möglich zu sein und so gut es nur geht Kalorien zu verbrennen. Scheiß auf die anderen Menschen die dich womöglich sehen werden, konzentriere dich auf die Kalorien. Denn wenn du viel verbrennst wirst du abnehmen. Dann hast du es all den Personen gezeigt, die sich vor deinem vielen Fett geekelte haben, dann hast du ihnen gezeigt, was für ein schlankes Mädchen doch in dir steckt. Dann musst du dich nie wieder für deinen Körper schämen und kannst stolz auf dich sein. Denn dann wirst du endlich perfekt sein."

Perfekt

Sahra nickte. Ja, sie hatte tatsächlich Angst. Aber Ana hatte recht. Sie musste sich auf das Abnehmen konzentrieren und wenn sie schon so eine gute Gelegenheit dazu bekam, dann sollte sie diese auch nutzen. Dann musste sie die auch nutzen. Ja, die vielen Menschen werden sie auslachen, werden über sie lästern, werden sich vor ihr ekeln, aber sie konnte etwas dagegen tun. Sie würde dünn werden und dann könnte sie unbeschwert baden gehen und ihren Körper zeigen, wie sie lustig war. Aber...
„Aber was werden Laila und Maria nur über mich denken, wenn sie mich sehen?", fragte sie niedergeschlagen und blickte zu Boden, vorbei an ihrem Bauch. Er war rund und sie konnte nur gerade so ihre Zehen sehen, der Rest der Füße wurde verdeckt.
Ana nahm ihre Hände und strich beruhigend mit dem Daumen darüber.
„Soll ich ehrlich sein? Ich vermute, dass sie dich in ihren Gedanken auslachen werden. Sie werden hinter deinem Rücken über dich und deinen dicken Körper tuscheln und sich gegenseitig sagen, wie abgeneigt sie doch von dir sind. Aber, und das ist das wirklich perfide daran, sie werden kein Wort davon zu dir sagen. Sie werden dir nicht sagen, dass du dick bist, sie werden nicht zugeben, dass sie dich widerlich finden. Sie werden lügen und sagen du seist nicht dick. Aber das stimmt nicht! Du bist dick. Sie sagen das nur, weil sie deine „Freundinnen"" — sie setzte mit den Fingern das Wort „Freundinnen" in Anführungszeichen — „sind und werden so tun, als würden sie dich nicht abstoßend finden. Aber glaub mir, sie lügen dir eiskalt ins Gesicht. Richtige Freunde würden dir die Wahrheit sagen, falsche Freunde werden dir Honig um den Mund schmieren und dir auf keinen Fall sagen, was sie in Wirklichkeit über dich denken." Anas Hände waren zu Sahras Schultern gewandert und packten fest zu. „Aber du wirst es ihnen zeigen Sahra, du wirst es allen zeigen! Du wirst abnehmen, du wirst dünn werden, du wirst perfekt werden! Das schaffen wir. Gemeinsam machen wir aus dir ein perfektes Mädchen, ja?"
Sie blickte auf und erschrak kurz. Auf Anas Gesicht hatte sich ein leicht wahnsinniges Grinsen abgebildet und in ihren Augen loderte Feuer. Sie jagte ihr ein wenig Angst ein.
„J-ja", stotterte sie und Ana ließ sie los. Das Grinsen war verschwunden und wurde durch ein liebevolles Lächeln ersetzt und ihre Augen wurden auch wieder normal.
„Sehr gut", sagte sie, „sehr gut. Also dann, hopp hopp, weiter gehts mit Sport."

Einmal Ana, immer Ana.Where stories live. Discover now