Kaloriengrenze

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Der restliche Schultag verlief einigermaßen entspannt. Maria bekam keine schlechte Note in Englisch und bedanke sich während des Unterrichts noch einmal im Flüsterton bei Sahra. Diese flüsterte zurück, dass man so etwas eben für Freunde tut, doch dann wurden sie von Frau Ring ermahnt leise zu sein. Danach hielten beide die Klappe und konzentrierten sich auf die Aufgaben.

Als sie Zuhause ankam stellte sie ihre Mappe in ihr Zimmer und zog sich eine bequeme Jogginghose an. Ihr Plan für den restlichen Tag war; Ihr Essen aus der Schule zu essen, danach Sport, dann Hausaufgaben und zum Schluss Freizeit. Also nur sie, der Laptop, Serien und ihr Handy.
Sie holte ihre Brotdose aus dem Ranzen und wollte in die Küche gehen... aber da saß schon jemand.
„Ana?", fragte Sahra ungläubig und blickte sie an, wie sie da seelenruhig auf einem der Stühle am Esstisch saß und sie anschaute. Sie grinste. „Na Sahra, überrascht mich zu sehen?", fragte sie und legte den Kopf schief.
„Um ehrlich zu sein, ja", sagte diese und starrte Ana noch immer an. Sie deutete auf den Platz neben sich und sagte: „Du musst da nicht wie ein Baum rumstehen. Komm, setz dich doch zu mir." Sie tat wie ihr geheißen und ließ sich auf den Stuhl fallen. Dann fragte sie: „Warum bist du hier?"
Ana begann zu erklären: „Nun, das ist leicht. Da wir es letzte Nacht nicht mehr geschafft hatten uns eine Kaloriengrenze für dich zu überlegen, weil dein Wecker uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, bin ich hier, damit wir das nachholen können. Also, keine Sorge, du hast nichts falsch gemacht, es ist nichts schlimmes passiert und ein neues Gebot gibt es auch noch nicht." Sahra atmete erleichtert auf. Gut. Gut gut, sie hatte nichts falsches gemacht, da war sie froh drüber. Sie war nur hier wegen der Kaloriengrenze. Doch eine neue Frage keimte in ihr auf. Eine essentiell wichtige Frage. „Ähm, Ana", begann sie und schaute auf ihren Schoß hinab, indem ihre Hände die Brotdose festhielten, „wie zählt man eigentlich Kalorien?" Sie blickte auf und drehte den Kopf nach links zu Ana. Diese lächelte weiterhin.
„Das ist eine sehr gute Frage, nicht wahr? Wie zählt man eigentlich Kalorien? Ich bin stolz auf dich, dass du gefragt hast. Das zeigt nämlich, dass es dir wichtig ist."
Über Sahras Gesicht zuckte ein Lächeln, als Ana erwähnte, dass sie stolz auf sie war. „Kalorien zählen ist anfangs etwas schwierig. A, musst du dir merken welches Lebensmittel wie viele Kalorien hat und B, musst du schätzen wie schwer das Lebensmittel ist. Als Beispiel nehmen wir mal dein Frühstück. Du hast zwei Mandarinen gegessen. Weißt du wie schwer eine Mandarine ist?" Sahra schaute die verdutzt an. „Nein", sagte sie. Woher sollte sie das auch wissen?
„Dann google!", forderte Ana sie auf. Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und tippte „Mandarine Gewicht" ein.
„Also, eine Mandarine wiegt ungefähr Fünfzig Gramm und hat pro Einhundert Gramm Fünfzig Kalorien. Äh, Kilokalorien meine ich", sagte sie und hielt Ana das Handy vor die Nase.
„Genau. Und jetzt rechne: Du hast Zwei Mandarinen á la Fünfzig Gramm gegessen und Einhundert Gramm haben Fünfzig Kilokalorien. Wie viel hast du also zum Frühstück gegessen?", fragte sie.
Was gab es da denn groß zu rechnen? „Na Fünfzig Kilokalorien. Zwei mal Fünfzig sind Hundert und Einhundert sind gleich Fünfzig Kilokalorien." Ana applaudierte ihr grinsend. „Korrekt. Die Kandidaten kriegt Einhundert Punkte!", rief sie aus und fing an zu lachen. Sahra verdrehte belustigt die Augen. „Danke danke", sagte sie, ebenfalls grinsend und verbeugte sich wild gestikulierend, „diese Aufgabe hat mich wirklich bis an meine Grenzen gebracht, ich bin froh sie schlussendlich doch noch gelöst zu habe." Dann stimmte auch sie in das Lachen ein.

„Okay, genug rumgeblödelt", sagte Ana und hörte auf zu lachen. „Jetzt das Essen, was du in deiner Brotdose hast. Pack es mal aus." Sie öffnete die Dose und zum Vorschein kamen jeweils Zwei zusammengeklappte Toastbrote mit Marmelade und einem Kinder Country.
„Also, erst die Vier Toastscheiben. Wie viele Kalorien haben die?" Sahra überlegte. „Äh..."
„Du kannst auch einfach auf der Verpackung nachsehen, da steht das drauf", sagte Ana und kicherte. Innerlich gab sie sich einen Facepalm und stand auf und holte die Toastpackung aus einem der Küchenschränke. Sie schaute auf die Nährwertangaben. „Einhundert Kilokalorien", sagte sie und stellte die Packung wieder zurück. Jetzt, wo sie diese Zahl sah fiel ihr auch wieder ein, dass sie doch schon einmal nach den Kalorien einer Toastscheibe geguckt hatte, doch anscheinend hatte sie es vergessen. Dann setzte sie sich zurück auf ihren Platz.
„Also haben wir schon einmal Vierhundert Kilokalorien für die Toastscheiben. Jetzt die Marmelade. Was würdet du schätzen, wie viel Gramm sind darauf?" Sahra verzog das Gesicht. „Im Schätzen bin ich wirklich schlecht", sagte sie. Ana legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Dann lass mich dir helfen. Ich würde schätzen, es sind Fünfzehn Gramm pro Brot. Da es etwas dicker aufgetragen ist vielleicht auch Zwanzig. Das wären, gerundet, Vierzig bis Fünfundvierzig Kilokalorien. Das mal Zwei wären also zwischen Achtzig und Neunzig Kalorien. Wenn wir es jetzt noch zusammenzählen und aufrunden kommen wir auf Fünfhundert Kilokalorien."
Sahra war beeindruckt. „Wow, du kannst das ja gut." Ana zwinkerte. „Ich mach das ja auch schon eine ganze Weile. Wenn du die Möglichkeit hast, dann wiege dein Essen vorher, damit du die Kalorien besser ausrechnen kannst. Schlussendlich musst du aber auch vieles schätzen, deswegen schätze ich immer ein bisschen zu viel als zu wenig. Dann ist man auf der sicheren Seite. So, jetzt zurück zu deiner Kaloriengrenze."
Sie nickte. „Also, letzte Nacht habe ich das Beispiel mit Eintausend Kilokalorien gebracht."
„Ja, aber da hast du zum Schluss gesagt, dass ich eine andere Grenze haben soll", unterbrach sie Ana.
Sie lächelte. „Genau. Meiner Meinung nach sind Eintausend einfach zu viel, deswegen würde ich sagen, wir peilen so die Achthundert an, was sagst du dazu?" Sie überlegte. Achthundert, das klang ziemlich wenig, wenn sie bedachte, dass ihre jetzige Mahlzeit schon Fünfhundert Kilokalorien hatte, den Kinder Country nicht mal mitgezählt. Andererseits wollte sie ja dünn werden und wenn Ana sagte, dass sie so ihr Ziel erreichte, würde sie das auch so machen.
„Okay", sagte sie also. Ihr Blick fiel auf den Schokoriegel. „Ähm, und was mache ich damit?", fragte sie und stupste den Riegel an. Anas Miene verhärtete sich. „Nun, das ist dir überlassen. Theoretisch dürftest du ihn, was deine Kaloriengrenze betrifft, essen. Jetzt frage ich dich aber; willst du das? Schokolade ist eine Kalorienbombe und macht dick. Entscheide du. Aber denk daran; je größer dein Kaloriendefizit, desto besser." Ihr Griff auf Sahras Schulter hatte sich etwas gefestigt. Sie überlegte. Einerseits dürfte sie die Schokolade essen, da es noch im Bereich ihres Kalorienlimits lag, andererseits wäre es vollkommen überflüssig das zu essen. Es würde ihr nichts bringen, außer mehr Fett auf den Hüften. Und einen wunderbar süßen Geschmack. Nein, Stopp! Daran durfte sie nicht einmal denken. Sie wollte nicht schon wieder einen Fressanfall haben, ausgelöst durch den süßen Geschmack.
„Ich werde ihn nicht essen", entschied sie sich. Ana lächelte. „Sehr gut."
Dann verschwand sie.

Einmal Ana, immer Ana.Where stories live. Discover now